Donnerstag, 25. April 2024

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"Amor vien dal destino" in Berlin
Unberechenbare Gefühle

Agostino Steffani schuf 1690 die Oper "Amor vien dal destino", die damals schon künstlerisch vorwegnahm, was Sigmund Freud erst viel später theoretisch untermauerte: Die unbewussten Wünsche führen ein höchst folgenreiches Eigenleben. Der Akademie für Alte Musik gelang mit der Oper eine echte Neuentdeckung.

Von Julia Spinola | 24.04.2016
    Die Staatsoper im Schillertheater Berlin, fotografiert am 28.04.2014.
    Die Staatsoper im Schillertheater Berlin, fotografiert am 28.04.2014. (picture alliance / dpa - Hauke-Christian Dittrich)
    Göttin Venus stimmt einen Jubelchor auf die Liebe an, die im Himmel entstand, wie es im Text heißt, "aus den heitersten und schönsten Sternen". Um die Macht Amors und die Unberechenbarkeit der Gefühle geht es zuallererst in Agostino Steffanis Oper. Als empfindsamer Künstler hatte Steffani im Jahr 1690 schon heraus, was Sigmund Freud zwei Jahrhunderte später theoretisch untermauern sollte: Dass nämlich unsere unbewussten Wünsche weitgehend ungerührt von unserer Vernunft ein höchst folgenreiches Eigenleben führen - und dass der Weg zu ihnen nicht über den Intellekt, sondern viel eher über die Träume führt.
    Erzählt wird eine Geschichte aus der römischen Mythologie: Turnus und Aeneas befinden sich im Zweikampf gegeneinander um die schöne Lavinia. Doch die Verwicklungen der Handlung dienen dem Komponisten nur als Anlass für eine musikalische Erforschung der von Amor verwirrten Seelentiefen der Figuren. Was er kompositorisch zutage fördert, weicht in erstaunlicher Weise vom Schema barocker Nähmaschinenmusik mit obligater Da-Capo-Arie ab und dringt zu einem höchst erfüllten melodischen Ausdruck vor.
    Olivia Vermeulen singt mit betörend klangschönem Soprantimbre die Partie des Turno, der Lavinia als Ehemann versprochen ist. Zugleich erweist sie sich als wandlungsfähig genug, um der inneren Zerrissenheit dieser heimlichen Hauptfigur der Oper gerecht zu werden. Die Koloraturen der Wutarie im 1. Akt feuert sie wie ein Flammenwerfer in den Saal.
    Steffani zaubert in diesem Werk ein wahres Kaleidoskop an kontrastierenden Arien, Rezitativen und Duetten hervor. Mal betört er mit einem reich verzierten, harmonisch abgründigen Lyrismus, mal haut er komödiantisch auf die Pauke. Mit der Tenorrolle der Amme Nicea schafft er eine Vorlage für derbe Travestie. An anderer Stelle versetzt er zu stampfender Tamburinbegleitung die wild gewordene Dienerschaft in bacchantische Verzückung.
    Unbestechliches Gespür für die Partitur
    René Jacobs und seine Akademie für Alte Musik haben ein unbestechliches Gespür sowohl für die hoch expressiven Schönheiten als auch für die aufsässige Exzentrik dieser Partitur. Das Stück ist eine echte Entdeckung. Und die Staatsopernpremiere prunkt mit einer luxuriösen Sängerbesetzung: Die amerikanische Sopranistin Robin Johannsen ist mit ihrem hell zwitschernden, sehr charakteristischen Timbre als Venus und als verwirrte kleine Schwester der Lavinia zu erleben. Und Katarina Bradic verströmt in der Altpartie der liebeskranken Lavinia schokoladig-dunkle Schwermutsklänge. Im Duett harmonieren sie perfekt mit dem feinem Mozarttenor von Jeremy Ovenden als Aeneas.
    Dem Regisseur Ingo Kerkhof ist mit sparsamen Mitteln eine sommernachtsverträumte Inszenierung gelungen, die die Geschichte mit leichter Hand und Charme erzählt. Die Götter tragen Zuckerwatte-Perücken und goldene Handschuhe und spielen mit Papierschiffchen. Die Menschen sind Gefangene ihrer eigenen Besessenheiten und taumeln traumtrunken durch einen zunehmend dichteren Ährenwald. Denn hinter der stummen Rolle eines zauseligen Gärtners, den der Regisseur hinzuerfunden hat, verbirgt sich Amor. Und der schießt nicht nur Ährenpfeile ab, sondern er sorgt auch dafür, dass die Bühne im Laufe des knapp vier Stunden dauernden Abends zu einem dichten Kornfeld zuwuchert.