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Ampelanlagen
Aktiv durch die Rotphase

Wenn die Ampel auf rot springt, heißt das für Fußgänger normalerweise stehen und warten. Das Start-up Urban Invention aus Hildesheim hat einen smarten Ampeltaster entwickelt, um die Wartezeit mit Spielen und Clips zu überbrücken. Ein voller Erfolg: Verkehrsplaner aus der ganzen Welt zeigen jetzt Interesse an der Erfindung.

Von Mirco Smiljanic | 11.03.2016
    Die Studenten Amelie Künzler und Sandro Engel installieren am 18.11.2014 ihre selbstentwickelte Streetpong-Ampel in Hildesheim (Niedersachsen). Die zwei Studenten der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim haben ein Spiel entwickelt, das Langeweile an der Ampel vertreiben soll. Mit dem Videospiel _Pong_ können Fußgänger die Wartezeiten an einer roten Ampel spielerisch überbrücken. Foto: Julian Stratenschulte/dpa
    Die Initiatoren der ersten Streetpong-Ampel in Hildesheim, Amelie Künzler und Sandro Engel (dpa / Picture Alliance / Julian Stratenschulte)
    Oberhausen, Sterkrader Tor in unmittelbarer Nachbarschaft des Technischen Rathauses. Reger aber fließender Verkehr an diesem Vormittag, gesteuert von einer modernen Signalanlage. "Ganz normale Kreuzungsanlage," erklärt Jenny Wegmeyer, "alle vier Richtungen und eine hohe Fußgängerfrequentierung mit einem sehr breiten Überweg"
    Verkehrsingenieurin Jenny Wegmeyer ist in der 200.000-Einwohner-Stadt verantwortlich für knapp 300 Signalanlagen. Die Kreuzung am Sterkrader Tor überqueren täglich einige Tausend Menschen. Im Detail bedeutet das: Männer und Frauen, Alte und Junge gehen auf die jeweilige Ampel zu – und bleiben stehen, wenn das Signal 'Rot' anzeigt. Mit rund 40 Sekunden sind diese Phasen zwar vergleichsweise kurz, für die IT-Entwickler der Hildesheimer Firma "Urban Invention" aber lang genug, um den Blick der Passanten auf eine kleinen, regelmäßig vor sich hin klopfenden Kasten am Signalmasten zu lenken. Und aus dem Kasten klopft es leise. "Das ist der 'ActiWait'", stellt Amelie Künzler vor, "ein Signalanforderungstaster, den wir smart gemacht haben."
    Digitales Tischtennis in der Rotphase
    Und was es mit "smart" auf sich hat? "Smart deshalb", sagt die Entwicklerin,"weil er ein Touchscreen drin hat und eine Recheneinheit, worüber Applikationen ablaufen können, in dem Fall wie hier in Oberhausen das Spiel 'StreetPong'."
    Amelie Künzler ist Produktentwicklerin und Mitgründerin des Hildesheimer Start-ups Urban Invention. 'ActiWait' setzt sich aus den Worten 'Action' und 'Wait' zusammen und signalisiert, dass während des Wartens auf "Grün" etwas passieren kann. Im einfachsten Fall könnte der Passant 'StreetPong' spielen, eine Art digitales Tischtennis. Mit dem rechten Zeigefinger bewegt Amelie Künzler auf dem smartphonekleinen Display einen Balken mal nach rechts, mal nach links und steuert so einen hin- und herspringen Ball. Kein wirklich neues Spiel, neu ist allerdings, dass der Gegner eine unbekannte Person auf der anderen Straßenseite sein kann: Zeitvertreib bis zur Grünphase. "Das ganze System ist so ausgelegt", erläutert Firmengründer Sandro Engel, "dass es nur in der Rotphase funktioniert, das heißt, wenn die Menschen stehen und warten. Sobald es grün wird, hört die Applikation auf, und der Touchscreen ist dann nicht mehr bedienbar."
    Ein Spiel für Sekunden? Ebenso schick wie nutzlos? In wenigen Jahren reif fürs Technikmuseum? Auf keinen Fall, so Sandro Engel, Gründer und Entwickler von Urban Invention, der mit den kleinen Kästen an Oberhausener Ampelmasten Großes vorhat:
    Von Bürgerumfragen bis Navigation
    "Grundsätzlich ist es eine austauschbare Plattform, wie ein Smartphone kann man sich das vorstellen. Hier kann alles Mögliche drauf laufen. Wir sind gerade dabei, so etwas wie zum Beispiel Bürgerumfragen damit zu machen, was auch live ausgewertet werden kann. Die Taster sollen zukünftig Internetanbindung bekommen, sollen quasi der Grundstein für die SmartCity werden."
    Den ‚ActiWait‘ stellt sich der Firmengründer also Informations- und Kommunikationsschlüssel für öffentlich vernetzte Städte vor. Einsatzgebiet – grenzenlos:
    "Hier kann Navigation drauf passieren, hier kann Erziehung drauf passieren und Bildung, hier können Verkehrsregeln dargestellt werden, gerade im Bereich von Schulen und Kindergärten kann das zukünftig eingesetzt werden."
    Eine ebenso simple, wie geniale Idee, die Sandro Engel und Amelie Künzler während ihres Studiums an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim entwickelt haben. Finanziell unterstützt von der Hochschule, gründeten die beiden Studenten im Juli 2014 ihr Start-up-Unternehmen und schalteten im November desselben Jahres den ersten 'ActiWait' an einer Hildesheimer Ampel scharf. Mit erstaunlicher Wirkung: Rund sechs Millionen Mal wurde ein Clip über den 'ActiWait' im Netz angeklickt. Die Telefone standen nicht mehr still: Verkehrsplaner aus Detroit, Oslo, Warschau und Dubai suchten Kontakt nach Niedersachsen; aus Deutschland meldeten sich unter anderem die Städte Oldenburg und Karlsruhe.
    Entwicklungspartnerschaft mit renommierten Ampelhersteller
    Mittlerweile beschäftigt Urban Invention drei Designer und Entwickler, außerdem besteht eine Kooperation mit dem renommierten Ampeltastenhersteller Langmatz aus Garmisch-Partenkirchen.
    "Die sind auch Kunststofffabrikanten", beschreibt Amelie Künzler den Partner, "dementsprechend haben sie auch viel Know-how und sehen natürlich auch die Innovation in diesem Produkt. Da ist es ganz toll, mit einem Unternehmen zusammenzuarbeiten, das in der Branche gefestigt ist und uns unterstützt. Wir haben eine ganz tolle Entwicklungspartnerschaft."
    Unterstützung bekommen Künzler und Engel auch von der diesjährigen CeBIT. Urban Invention zählt zu den drei Preisträgern des CeBIT Innovation Award, der Firmen für innovative Forschung und Entwicklung mit gutem und nutzerfreundlichem Design im IT-Bereich auszeichnet. Jenny Wegmeyer, Oberhausens Chefin von knapp 300 Ampelanlagen, entwickelt schon jetzt Ideen für den Einsatz des innovativen ActiWaits.
    Das Unternehmen wächst rasant
    "Wenn wir an andere Standorte gehen, an das Centro etwa", meint sie, "da wird es noch mal eine ganz andere Nummer, da ist die Welt ganz offen für neue Ideen, da könnte ich mir noch viel mehr Einsatzmöglichkeiten vorstellen. Wir haben in Oberhausen noch einen großen Tourismusbereich rund um die Neue Mitte. Ich denke, da kann man noch was machen."
    Urban Invention ist ein klassischer Start-up mit hohem Potenzial. Das Unternehmen wächst rasant. Genau genommen möchte Amelie Künzler den Start-up-Status aber noch lange behalten, beteuert sie.
    "Das ist wichtig als junges Unternehmen, den Spirit nicht zu verlieren, um agil zu bleiben und nach vorne und immer weiter zu gehen!"