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Amsterdamer Prostitutiertenmuseum
Rotlicht zum Anfassen

Schminke, Bett und Kondome. Diese Utensilien finden sich in jedem Bordellzimmer in Amsterdam. Im Prostituiertenmuseum kann der Besucher nun selbst im schummrig beleuchteten Zimmer Platz nehmen. Das Museum zeigt auch die rechtliche Seite des ältesten Gewerbe der Welt und gedenkt der Opfer von Zwangsprostitution.

Von Annette Riedel | 03.05.2015
    Ein Blick in ein Zimmer des Prostituiertenmuseums in Amsterdam
    Ein Blick in ein Zimmer des Prostituiertenmuseums in Amsterdam (picture-alliance / epa/Koen van Weel)
    Ein regnerischer Spätnachmittag im Amsterdamer Rotlichtviertel, dem Wall. Straßenmusikanten, eine Gruppe angetrunkener Jugendlicher, Touristen aus aller Welt. Zwischen Käseladen, Waffelgeschäft, Hanfmuseum und Erotik-Shop, Oudezijds Achterburgwall 60 H: das erste und einzige Prostitutionsmuseum der Welt.
    Museum im ehemaligen Bordell
    Ein typisches Amsterdamer Haus, Baujahr 1610, ein schmales fünfstöckiges Backsteingebäude mit Treppengiebel. Im ersten Stock zwei in rotes Licht getauchte Fenster fast bis zum Boden. In dem Haus war mal ein Bordell – in der Art, wie es viele im Viertel gibt. Jetzt ist es ein kleines Museum. Seit Anfang des Jahres versucht es, den Besuchern des Rotlichtviertels Bordell- Alltag, Prostituierten-Alltag zu vermitteln – unaufgeregt, direkt, ohne Voyeurismus. Das Prostitutionsmuseum ist kein Erotikmuseum. Es geht zurück auf eine Idee von Ausstellungsmacher Melcher De Wind, um die 50, grau-blonder Lockenschopf, blaue Augen, die gern lachen.
    "Ich spreche ein bisschen Deutsch..."
    Gemeinsam mit Prostituierten, mit Menschen aus dem Milieu hat Melcher De Wind das Museum konzipiert.
    "Ich habe mein Leben lang in Amsterdam gelebt. Es hat mich immer interessiert, wie der Alltag des Prostituierten-Lebens aussieht."
    Nicht nur das. Teil des Museumskonzeptes ist, dass die Besucher sich für Momente in die Rolle von Prostituierten versetzen können. Indem sie sich versuchsweise selbst mal in ein Fenster in einem typischen Bordellzimmer setzen, wie es sie fast 300 im Viertel gibt: rotes Licht - natürlich - Disco-Musik aus einer kleinen Musikanlage, Kühlschrank, Schmink-Utensilien, Bürste, Kondome, ein Bett im Nebenraum, am Fenster ein Barhocker.
    "Schon merkwürdig, so im Fenster zu sitzen -wir angezogen und nicht nackt. Das wäre nichts für mich."
    Die beiden jungen deutschen Frauen sind zwei von 12.000 bis 15.000 Besuchern, die seit seiner Eröffnung im Frühjahr pro Monat ins Prostitutionsmuseum gekommen sind. Die Mehrheit sind Frauen.
    "Als Frauen erfahren wir ja sonst nichts über das Leben."
    "Nachvollziehbar, denn Frauen kommen seltener als viele Männer in Kontakt mit dem Milieu."
    Auch bei dem britischen Paar – sie sitzt gerade auf dem Barhocker im Fenster – war sie diejenige, die die Idee hatte, das Prostitutionsmuseum zu besuchen.
    "Ich fühle mit den Prostituierten. Eine Menge Leute verurteilen Prostitution. Sie sagen: Sie würden das nie tun. Ich finde, das kann man überhaupt nicht wissen, wenn man nicht in einer Situation ist, wie manche dieser Frauen. Manche haben sicher auch ihren Spaß daran; andere sicher nicht. Sie haben vielleicht einfach keine andere Wahl. Hier in Amsterdam werden sie wenigstens halbwegs menschlich behandelt. Anderswo in Europa wie Frischfleisch."
    Prostitution ist in den Niederlanden erlaubt
    Seit 2000 ist Prostitution in den Niederlanden legal – anders als in manchen europäischen Ländern, in Großbritannien etwa. Legalität ist wichtig zum Schutz der Prostituierten, sagt Museumsmacher Melcher De Winter:
    "Jetzt kann die Regierung Regeln aufstellen, die jeder befolgen muss und dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Hier sehen sie zum Beispiel die zehn Regeln für Prostitution, die für alle gelten. Prostitution ist dadurch sicherer geworden."
    Theoretisch. In der Praxis verstoßen viele Freier gegen diese Regeln. Kein Sex ohne Kondome, beispielsweise. Gegen Geld geht immer noch und immer wieder fast alles. Und natürlich gibt es auch in den Niederlanden nach wie vor Zwangsprostitution oder Rekrutierung unerfahrener junger Mädchen, oft aus Osteuropa, denen eine Karriere als Tänzerin vorgegaukelt wird. Auch das wird im Museum von Melcher De Wind am Rande thematisiert.
    "Viele werden hergelockt...glauben, sie machen Karriere als Tänzerin."
    Gedenkaltar für Opfer von Zwangsprostitution
    Wie Anna, die polnische Prostituierte, die Melcher De Winter ihre Geschichte erzählt hat, die man im Museum nachlesen kann. Sieben Jahre lang, sieben Tage die Woche, zwölf Stunden täglich hat sie insgesamt 25.000 Freier gehabt, die jeweils 30 bis 50 Euro für im Schnitt zehn Minuten lange Sex-Dienste bezahlt haben. Sie hat von dem vielen Geld wenig gesehen. Von, dem was sie in die Hand bekam, musste sie zudem 150 Euro Zimmermiete pro Tag begleichen. Manche bezahlen sogar mit ihrem Leben – auch das gehört zum Prostituierten-Alltag dazu.
    "Altar zum Gedenken an ermordete Prostituierte."
    Es diesen kleinen Altar zum Gedenken an diejenigen Prostituierten, die Opfer wurden des manchmal entgleitenden Zusammenwirkens von Sex und Macht, das sich in Gewalt entladen kann.
    Kurz vor dem Ausgang des Prostituiertenmuseums gibt es zudem einen Beichtstuhl. Im Beichtstuhl: verhaltene Gottesdienstklänge aus Lautsprechern . Zettel und Stifte, auf denen die Museums-Besucher sozusagen ‚beichten' können – anonym eigene sexuelle Fantasien oder Entgleisungen aufschreiben können. Einige der ‚Beichten', in allen möglichen Sprachen, sind auf einer Pinnwand neben dem Beichtstuhl zu lesen.
    Das Prostitutionsmuseum im Amsterdamer Rotlicht-Viertel ist täglich von Mittag bis Mitternacht geöffnet.