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Amtsscheues Kirchenoberhaupt

Das Kirchenvolk verharrt auf dem Petersplatz, aber der neue Papst Kardinal Melville, gespielt von Michel Piccoli, will den Balkon nicht betreten, denn ihm kommen ernste Zweifel. Der fast 86-jährige französische Schauspieler macht den Film zu dem, was er ist. Zu einem großen Stück Autorenkino.

Von Josef Schnelle | 03.12.2011
    "Von jetzt an werden die Kardinäle von der Außenwelt abgeschnitten sein und keinen wie auch immer gearteten Kontakt zur Umgebung aufnehmen können."

    Ein Konklave beginnt, jene Zusammenkunft der Kardinäle, bei der ein neuer Papst gewählt wird. Dabei hat noch nie jemand zugesehen. Es handelt sich also um einen eher geheimnisvollen Vorgang, in den dieser Film uns hineinblicken lässt. Er ist bestimmt von kleinen Eifersüchteleien und Marotten. Ein Kardinal ist erklärter Favorit. Fraktionen bilden sich und fallen wieder auseinander. Die Wahlgänge wollen nicht enden. Bis schließlich doch ein neuer Papst gewählt wird.

    "Nuntio Vobis Gaudio Magnum. Habemus Papam"

    Das Kirchenvolk verharrt auf dem Petersplatz, doch der neue Papst Kardinal Melville, gespielt von Michel Piccoli, will den Balkon nicht betreten. Bis dahin hat er die Prozeduren über sich ergehen lassen, ist schon gekleidet wie der Pontifex Maximus. Doch dann kommen ihm ernste Zweifel.

    "Und was passiert jetzt'" - "Also nun, ihr könnt die Gläubigen segnen. Es gibt auch die Möglichkeit, die unser geliebter soeben verstorbener Heiliger Vater als Erstes gewählt hat: Ihr könnt euch an die Gläubigen wenden mit einer Rede." – "Helft mir bitte. Ich schaffe das nicht. Ich schaffe das nicht."

    Nun beginnt der eigentliche Film, der die Suche eines Zweifelnden nach seiner Bestimmung schildert. Melville "haut ab" und tigert als normaler Mensch durch Rom, schließt sich dabei vorübergehend sogar einer Schauspieltruppe an die Tschechows Stück "Die Möwe" probt. Schauspieler hätte er werden können und wäre dabei glücklich geworden, redet er sich ein. Weil der Prozess der Papstwahl nicht abgeschlossen ist, bleiben die Kardinäle zusammen. Ein Psychiater soll den Papst umstimmen und den spielt niemand anderes als Regisseur Nanni Moretti selbst. Er stattet diese Figur mit einer gehörigen Portion Selbstironie und Sarkasmus aus. Weil der neue Papst eine Weile spurlos verschwunden bleibt, richtet er mit den Kardinälen ein Volleyballturnier aus.

    Von dem scharfen linken Gesellschaftskritiker Nanni Moretti hatte man einen völlig anderen Film erwartet, als die ersten Meldungen über den geplanten Papstfilm auftauchten. In seinem letzten Film "Il caimano" hatte Moretti schließlich mit bitterbösem Zungenschlag Silvio Berlusconi als monströses Krokodil der italienischen Politik porträtiert. Zuvor hatte er sich über die zerstrittene Linke als Wasserballmannschaft und sogar in seinem besten Film "Caro Diario" über seine eigene Krebserkrankung lustig gemacht und galt als nimmermüder Großsatiriker des italienischen Films. Einen Papstfilm des bekennenden Atheisten Moretti konnte man sich nur als Abrechnung mit der Machtzentrale der katholischen Kirche vorstellen.

    Doch der italienische Regisseur lieferte einen völlig anderen Film ab: eine fast zärtliche Beschreibung der Suche eines integren Mannes nach seiner Bestimmung. Bei allen kleinen ironischen Volten bezogen auf das Kardinalskollegium ist "Habemus Papam" ein Film über den spirituellen Kern der Kirche geworden, so wie sie sich Moretti herbeiwünscht. Dazu trägt vor allem Hauptdarsteller Michel Piccoli bei, der den Film mit überlegener Altersweisheit im Kern bestimmt. Er trägt die päpstlichen Gewänder so als seien sie ganz allein für ihn gemacht. Der fast 86-jährige französische Schauspieler befindet sich immer noch auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Er nimmt uns an die Hand und führt uns durch die Geschichte. Dass wir ihm glauben und vertrauen, macht den Film erst zu dem, was er ist. Zu einem großen Stück Autorenkino. Nanni Moretti hat diesen kleinen Urlaub von der Scharfzüngigkeit des Satirikers redlich verdient. Das italienische Kino braucht ihn jedoch gerade jetzt bald wieder als scharfen Gesellschaftskritiker.
    "Heiligkeit. Ich bin der Meinung: Ihr hattet recht. Manchmal muss man sich zurückziehen und ein bisschen allein sein. Aber ich fleh euch an: Fügt euch Gott, dem Allmächtigen Vater, unserem Herren. Kehrt zu uns zurück. Eine Milliarde Menschen wartet auf Euch, Heiligkeit." – "Warum kann ich denn nicht einfach verschwinden."