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An den Rädern des Sachsensumpfs

In Zeiten des Aufbruchs Ost soll es in Leipzig ein mafiöses Netzwerk aus Polizisten, Justiz, Immobilienhaien und Politikern gegeben haben. Dabei spielte ein Kinderbordell namens "Jasmin" eine wichtige Rolle. Derzeit läuft ein Verfahren - nicht gegen die Gäste des Bordells, sondern gegen die Reporter, die damals versuchten, den Sumpf trocken zu legen.

Von Alexandra Gerlach | 12.08.2010
    "Ich denke, die Wahrheit wird früher oder später ans Tageslicht kommen, und dann werden wir wissen, was hier tatsächlich passiert ist."

    Thomas Datt ist freier Journalist in Leipzig. Seit Monaten durchlebt er gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen Arndt Ginzel einen Albtraum. Beide stehen in Dresden vor Gericht. 13 Prozesstage liegen hinter ihnen, Wochen ohne Verdienst, dafür aber voller Angst um die eigene Existenz.

    Die Dresdner Staatsanwaltschaft wirft den beiden freien Journalisten Verleumdung und üble Nachrede vor. Sie haben sich bei ihren Recherchen auf das verminte Gelände des sogenannten Sachsen-Sumpfes begeben und drohen nun darin zu versinken. Dabei haben sie mehrfach bekräftigt, sauber gearbeitet und recherchiert zu haben, doch letztlich fehlt es an Beweisen. Sie haben Indizien nachverfolgt, Zeugen befragt, Akten gewälzt, Fragen gestellt und Schlussfolgerungen gezogen. Ihre Erkenntnisse und manchmal auch ganze Geschichten wurden abgedruckt in großen überregionalen Medien und sind auch heute noch im Internet problemlos einsehbar.

    Das könnte ihnen jetzt zum Verhängnis werden. Denn in dem Prozess werden nicht die Verlage angegriffen, sondern die Reporter – und das sei ungewöhnlich, meint Johannes Lichdi von den Bündnisgrünen:

    "Wenn Betroffene sich dort ungerecht verleumdet fühlen, dann ist es der übliche Weg, dass presserechtlich, mit Unterlassungsansprüchen, gegebenenfalls mit Schadenersatzansprüchen vorgegangen wird. Das haben die angeblich Geschädigten nicht getan, das ist ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang. Stattdessen macht sich die Staatsanwaltschaft hier zum Vertreter der Interessen der hier angeblich Geschädigten, das ist äußerst ungewöhnlich in Deutschland."

    Ein aufsehenerregender Fall, dessen Publikum im Gerichtssaal nahezu ausschließlich aus Medienleuten besteht. Verhandelt wird vor dem Dresdner Amtsgericht. Dessen Präsident kennt sich aus mit "Rufmord", schließlich spielte sein Name über lange Monate eine bedeutende Rolle in den wabernden Gerüchteschwaden des sogenannten "Sachsen-Sumpfes". Zwischenzeitlich hat er den Freistaat Sachsen wegen Rufschädigung auf Schadenersatz verklagt und tatsächlich einen Bruchteil der ursprünglich geforderten Summe zugesprochen bekommen.

    Wer die Hintergrundgeschichte richtig verstehen möchte, der muss bis weit in die 90-iger Jahre hinein zurückschauen und sich in Berge von Akten vertiefen. Denn: damals, als die Zeiten des Aufbruchs Ost wild, rasant und hochdynamisch waren, soll es in Leipzig – so kolportierten es Gerüchte im Sommer 2007 – ein mafiöses Netzwerk aus Polizisten, Justiz, Immobilienhaien und Politikern gegeben haben, mit engen Kontakten ins Rotlichtmilieu. Dabei spielte ein Kinderbordell namens "Jasmin" eine wichtige Rolle, in dem Minderjährige zur Prostitution gezwungen wurden. Ranghohe Persönlichkeiten auch aus der Justiz sollen hier ein- und ausgegangen sein, hieß es in hochgeheimen Dossiers des Landesverfassungsschutzes. War Sachsen ein Mafia-Land? Diese Frage hielt den Freistaat 2007 über Monate in Atem. Die Hysterie eskalierte, als der damalige CDU-Innenminister Albrecht Buttolo in einer Landtagsrede explizit vor der Mafia warnte. Damit war die Geschichte um den Sachsensumpf auch bundesweit ein Thema.

    Die beiden Leipziger Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel gingen eigenen Aussagen zufolge eigentlich erst recht spät an die Arbeit. Prüften Hinweise, Akten und Indizien, suchten die Frauen aus dem ehemaligen Kinderbordell "Jasmin" auf, legten ihnen Fotos möglicher Freier vor. Dabei erlebten sie eine handfeste Überraschung, wie Arndt Ginzel später im ARD-Fernsehen berichtete:

    "Es war für uns natürlich schon ziemlich abgefahren, als die Frauen diese Person wiedererkannt haben, weil sie nun völlig außerhalb dieser ganzen Sachsen-Sumpf-Affäre standen, weit weg waren."

    Die Frauen meinten, auf einem der Fotos einen ihrer früheren Freier entdeckt zu haben. Dabei handelte es sich um einen inzwischen pensionierten ehemaligen Richter aus Leipzig. Er wurde zwar in den Artikeln namentlich nicht genannt, war aber offenbar durch die Beschreibung leicht zu ermitteln. Er tritt nun im Verfahren als Nebenkläger auf, ebenso ein weiterer Richter. Beide Nebenkläger sehen ihren Ruf nachhaltig beschädigt und bestreiten, jemals in einem Bordell gewesen zu sein. Einer der Nebenkläger lässt sich von seiner Lebensgefährtin anwaltlich vor Gericht vertreten. Die Anwältin Sieglinde Buchner-Hohner spricht von Rufmord:

    "Ich möchte ganz deutlich machen, dass die hier Angeklagten das Leben eines Menschen ruiniert haben und das seiner Umgebung, und ich habe bis heute keine Spur von Bedauern oder Entschuldigung gehört."

    Schwer belastet wurden die beiden Nebenkläger 2007 indirekt durch den früheren Bordellbetreiber. Dieser hatte nach dem Auffliegen des Kinderbordells lediglich eine vierjährige Haftstrafe absitzen müssen. Gerüchte kolportierten, er habe sich gegenüber Mitgefangenen damit gebrüstet, dass er über beste Kontakte in die Spitze der Leipziger Justiz verfüge. Beweise hierfür gibt es nicht. Selbst ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der sich in der zurückliegenden Legislaturperiode mit diesem Thema beschäftigte, konnte keine Klarheit in die Vorwürfe bringen.

    Die beiden Journalisten haben daher in ihren Reportagen bewusst Fragezeichen gesetzt und Ungereimtheiten ebenso erwähnt, wie entlastende Fakten aufgeführt. Dennoch stehen sie nun vor Gericht.
    Auch dies empört den grünen Parlamentarier Johannes Lichdi, er will wissen, ob es politischen Druck auf die Ermittler und auf die Staatsanwaltschaft gegeben hat:

    "Ich bin dort weiterhin auf Vermutungen angewiesen, doch wenn ich mir die Ergebnisse der staatsanwaltlichen Arbeit ansehe, wenn ich mir dann ansehe, dass ausgerechnet die Journalisten und die Zeuginnen, nämlich die Zwangsprostituierten hier mit Strafverfahren überzogen werden, was äußerst ungewöhnlich ist, dann stellt man sich, dann muss man sich die Frage stellen, was denn alles dahinter steckt."

    Morgen früh wird das Urteil gesprochen. Die Staatsanwaltschaft fordert Geldstrafen in Höhe von 6.000 Euro wegen übler Nachrede und Verleumdung, die Verteidigung fordert Freispruch für die beiden Journalisten. Der Deutsche Journalistenverband und Reporter ohne Grenzen fürchten indessen um die Pressefreiheit und sehen in dem Verfahren den Versuch, kritische Berichterstatter einzuschüchtern.