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"An den Sesseln kleben ist nicht grüne Politik"

Die einen nennen es Vertrauensschwund zwischen den Koalitionspartnern, die anderen beklagen mangelnde grüne Durchsetzungsfähigkeit: Beides ist richtig, sagt der Bundesgrüne Cem Özdemir - und will auf eine Wiederauflage "nicht wetten".

29.11.2010
    Silvia Engels: Die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene ist Geschichte. Gestern erklärte die GAL, wie die Grünen in Hamburg offiziell heißen, ihren Ausstieg aus der Koalition mit der CDU unter dem Ersten Bürgermeister Christoph Ahlhaus. Am 20. Februar soll nun neu gewählt werden. Zugeschaltet ist uns der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir. Guten Morgen!

    Cem Özdemir: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Wir haben es gerade noch mal gehört: Herr Ahlhaus beschwert sich, dass er nichts über diesen angeblichen Vertrauensschwund erfahren habe. Verstehen Sie die Gründe Ihrer Hamburger Kollegen der Grünen?

    Özdemir: Ja. Ich meine, da muss man ja nur mal nach Hamburg schauen und sehen, dass der Wechsel von Ole von Beust zu Herrn Ahlhaus offensichtlich nicht geklappt hat. Wir haben ihm eine faire Chance gegeben, aber fünf Senatsmitglieder, die innerhalb kurzer Zeit zurücktreten, das heißt, die CDU-Seite sieht quasi vollständig anders aus, und beim Finanzsenator ist es jetzt der zweite. Da fragt man sich natürlich schon: Können die noch regieren, kriegen die ihren Laden noch zusammen, und da ist es, glaube ich, am ehrlichsten, wenn man sagt, jetzt muss man vor die Wähler und Wählerinnen treten, an den Sesseln kleben ist nicht grüne Politik.

    Engels: Gehört dann zur Ehrlichkeit nicht auch dazu, dass die Grünen in Hamburg kaum etwas haben durchsetzen können? Das von ihnen abgelehnte Kraftwerk Moorburg wird gebaut, die Schulreform scheiterte, die ungeliebte Vertiefung der Elbe kommt auch. Da war doch einfach auch von den Grünen wahrscheinlich der Sprung sehr schnell zu machen?

    Özdemir: Also besagte Projekte sind nach wie vor umstritten und die Grünen haben alles versucht, das zu verhindern. Und bei der Schulreform, wo wir ja nicht gescheitert sind am Koalitionspartner, übrigens auch nicht an der Opposition, sondern an der Mehrheit in der Bevölkerung, ist erst mal das längere gemeinsame Lernen gescheitert, aber viele andere Sachen sind nicht gescheitert – nehmen Sie beispielsweise die Einführung der Primarschule, nehmen Sie individualisiertes Lernen, viele andere Dinge wie Lehrerfortbildung. Und wenn Sie dann noch dazu nehmen, dass Hamburg Umwelthauptstadt wird europaweit, das sind schon auch grüne Erfolge, die wir durchgesetzt haben. Aber ich gebe Ihnen recht: Wir haben viele Sachen nicht durchgesetzt. Dazu zählen die zwei Projekte, die Sie genannt haben. Auch das gehört zu einer ehrlichen Bilanz.

    Engels: In Berlin waren ja auch aus dem Grünen-Lager durchaus auch erfreute Stimmen zu hören, dass nun Hamburg beendet ist. Ist das nicht einfach auch immer ein Scheitern aller Seiten? Müssen die Grünen nicht einfach auch ein bisschen selber selbstkritisch sein?

    Özdemir: Also wir verteilen jetzt nicht Schuldfragen, sondern wir stellen objektiv fest: Diese Koalition hat sehr gut gearbeitet. Nach dem Wechsel von Ole von Beust zu Herrn Ahlhaus haben wir allerdings festgestellt, dass die CDU nicht mehr richtig Tritt gefasst hat. Man sieht das an den Beispielen, die ich schon genannt habe, dass fünf Senatsmitglieder innerhalb kürzester Zeit zurückgetreten sind. Das Vertrauen hat nicht mehr richtig funktioniert. Man muss in Hamburg schmerzhafte Sparmaßnahmen durchsetzen, da muss man sich auf die Partner verlassen können, dass sie nicht permanent ständig ihre Position revidieren. Und man merkt: Die Union ist ein bisschen am Ende in Hamburg, sie kommt jetzt an ihre Grenzen, sie kriegt niemanden mehr, der ins Kabinett eintreten möchte, und in der Situation ist es dann, glaube ich, nicht sinnvoll zu sagen, wir retten uns bis zur Wahl, sondern dann sollte man den Weg frei machen für Neuwahlen. Das tun wir! Übrigens das Argument jetzt von anderen, dass gesagt wird, wir würden nach den Wahlumfragen schielen, das entbehrt schon deshalb jeder Grundlage, denn wenn es uns darum gegangen wäre, dann hätten wir den Wechsel von Ole von Beust zu Herrn Ahlhaus zur Gelegenheit genommen, die Koalition platzen zu lassen. Die Wahlumfragen sind in Hamburg deutlich schlechter für die Grünen dort gegenwärtig, als sie beispielsweise im Bundestrend sind. Also darum kann es objektiv wohl nicht gehen.

    Engels: Dann drehen wir das Ganze anders herum. Wenn die Umfragen noch schlechter wären für die Grünen in Hamburg, dann hätten sie sich doch nie im Leben aus der Koalition verabschiedet?

    Özdemir: Wie gesagt, die Umfragen in Hamburg sind jetzt schlechter, als sie im Bundestrend sind, und wenn es nur nach der Umfrage gegangen wäre, dann hätten wir das gemacht nach Ole von Beust, oder man hätte gewartet, bis die Legislaturperiode zu Ende ist, und dann in aller Ruhe den Wahlkampf geplant. Also es geht uns wirklich darum, dass Hamburg regierungsfähig sein muss, und ich bin da etwas altmodisch, aber ich finde nach wie vor – ich weiß, dass Frau Merkel und andere das anders sehen -, erst kommt das Landesinteresse in dem Fall und dann kommt das Parteiinteresse.

    Engels: Herr Özdemir, Sie galten lange als ein Befürworter schwarz-grüner Bündnisse generell. Nun titelt die "Frankfurter Rundschau", "Ende eines Missverständnisses". Hat sie recht?

    Özdemir: Man muss vielleicht noch mal ein bisschen zurückgehen an den Beginn von Schwarz-Grün in Hamburg. Ich habe damals gesagt, dass es kein Modell ist, das hat keinen Modellcharakter, sondern das ist eine Koalition in Hamburg für eine Hamburger spezifische Situation, und genauso ist das Ende der Koalition jetzt auch nicht ein Ende eines Modells, weil dann hätte es ja am Anfang ein Modell sein müssen. Offensichtlich hat die "Frankfurter Rundschau" da ein Missverständnis. Aber ich sage nochmals: Wir hatten auch schon mal eine Ampelkoalition in Bremen und die hat geendet und danach hat niemand gesagt, dass die Ampel jetzt für alle Zeit zu Ende ist, sondern wir leben halt nun mal in einer Situation mit 16 Bundesländern – man nennt das Föderalismus – und wir leben in einer Situation mit fünf Parteien und nicht mehr mit drei Parteien wie ganz früher mal. Und da ist es halt nun mal so: Mit fünf Parteien gibt es unterschiedlichste Konstellationen, wenn man überhaupt noch vernünftige Regierungen zu Stande bringen möchte. Wir Grüne stellen uns dieser Realität. Das heißt, es gibt da nicht Lieblingsmodelle oder präferierte Modelle und andere, die wir ausschließen, sondern das Einzige, was Koalitionen bei uns ausschließt, sind die Inhalte und die müssen stimmen. Und da sagen wir sehr klar mit Blick auf die Bundesebene: Wer die Laufzeit von Atomkraftwerken verlängert, wie Frau Merkel um 12 Jahre, wer sich Gesetze schreiben lässt von der Pharmalobby und von anderen, der kann auf Bundesebene kein Partner für uns sein. Auf Landesebene wird das beurteilt ausschließlich nach den Inhalten, ob es passt, ob man zusammenkommt und ob man sich versteht.

    Engels: Dann schauen wir doch mal auf die Landesebene. Was müssten denn die Schwarzen mitbringen, damit die Grünen noch mal ins Boot steigen? Wo sehen Sie dann überhaupt noch Kooperationspunkte?

    Özdemir: Also in Hamburg ist es sicherlich nicht wahrscheinlicher geworden nach dem Scheitern der Koalition und nachdem die CDU in Hamburg ja personell extrem ausgedünnt ist. Da würde ich jetzt keine Wetten abschließen auf eine Wiederauflage von Schwarz-Grün in Hamburg, sicherlich nicht. Aber anderswo mag sich das anders darstellen. Aber auch das gehört dazu und zumindest bei den Grünen ist es so, dass wir sagen, die Bundesebene sagt den Ländern nicht, mit wem sie vor Ort zu koalieren haben, sondern vor Ort wird geschaut, mit wem grüne Inhalte am besten umsetzbar sein können. Natürlich ist auch klar: in der Bildungspolitik, in der Umweltpolitik beispielsweise ist uns die SPD deutlich näher als die CDU.

    Engels: Freuen Sie sich denn jetzt auf die Neuwahlen, weil Sie diesen Bundestrend, der vielleicht in Hamburg nicht ganz so gut ist, doch voll mitnehmen können?

    Özdemir: Mir reicht eigentlich das Wahljahr. Und was die Wahlen angeht: ich brauche keine weiteren Wahlen für weitere Wahlkämpfe. Mein Kalender ist auch so schon ziemlich voll. Aber das gehört eben dazu. Jetzt haben die Hamburger so entschieden, also gibt es eine weitere Wahl. Es gibt ja auch noch andere Bundesländer, nehmen Sie Schleswig-Holstein, wo das Landesverfassungsgericht der Landesregierung nahegelegt hat zu wählen. Die Landesregierung würde aber gerne noch ein bisschen länger warten, um bessere Ausgangsbedingungen für sich zu erarbeiten. Mal schauen, vielleicht kommt ja noch eine weitere Wahl dazu.

    Engels: Schwarz-Grün in Hamburg ist erst einmal Geschichte. Wir sprachen mit Cem Özdemir, er ist der Parteivorsitzende der Grünen. Vielen Dank für das Interview.

    Özdemir: Ich danke Ihnen.