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An der Kirche nie gezweifelt

Er habe nie an der Kirche, jedoch an manchem Priester gezweifelt, sagt Georg Kardinal Sterzinsky: "Mich haben die Missbräuche, mich hat dieser Missbrauch, dieser sexuelle Machtmissbrauch also, ganz, ganz viel verletzt."

Georg Kardinal Sterzinsky im Gespräch mit Christoph Heinemann | 24.12.2010
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Georg Kardinal Sterzinsky, der Erzbischof von Berlin. Guten Morgen!

    Georg Sterzinsky: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Kardinal, warum feiern Christen Weihnachten?

    Sterzinsky: Die Kinder haben es eben gesagt, das ist die Geburt Jesu. Und Jesus ist der Messias, der Christus, der hat also eine Bedeutung für die Weltgeschichte, und deswegen wird dieser Geburtstag gefeiert.

    Heinemann: Wie erklärt man das denjenigen Menschen, die mit Religion nichts zu tun haben, nichts zu tun haben möchten, oder die an einen anderen Gott glauben?

    Sterzinsky: Das ist natürlich ein ganz großer Unterschied, ob die einen anderen Gott in ihrem Bekenntnis nennen oder ob die gar nicht an einen Gott glauben, ob sie eingebunden sind die Kultur, in der Weihnachten überliefert ist. Das ist ein großer Unterschied. Aber nehmen wir mal an, hier bei uns in Deutschland, die überwiegende Bevölkerung ist in einer christlichen Kultur aufgewachsen und feiert Weihnachten. Die wissen den Namen Jesus Christus und wollen deswegen vielleicht auch Weihnachten feiern, vielleicht wissen sie nicht einmal, dass das was mit der Geburt Jesu zu tun hat. Aber das Verlangen, Weihnachten zu feiern, ist bei den allermeisten gegeben. Selbst wenn sie aus der Heimat hier flüchten und woanders sein wollen, dann wollen sie vielleicht nicht in der herkömmlichen Weise feiern, aber Weihnachten möchte schon sein. Und das ist genau unsere Schwierigkeit, wie sagen wir es ihnen: Weihnachten ist die Antwort auf eine ganz tiefe Sehnsucht in euch, denn ihr wartet eigentlich auf jemanden, der euer innerstes Verlangen nach Geborgenheit, nach Befreiung, nach Erlösung, vor allem nach Ewigkeit gibt.

    Heinemann: Herr Kardinal, Sie sprachen gerade eben von den Menschen, die in einer christlichen Kultur aufgewachsen sind. Wir haben in diesem Jahr den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung gefeiert, DDR-Bürger, die sich unter dem Regime zu ihrem Glauben bekannten, hatten es nicht leicht. Unterscheiden sich Ost- und Westkatholiken heute noch voneinander?

    Sterzinsky: Jetzt reden Sie wieder nur von den Katholiken. Die Katholiken waren in den Gebieten der DDR auch noch wiederum eine Minderheit. Ja, das ist Gott verschwiegen worden, da ist auch das Christentum zwar geduldet worden, aber verschwiegen worden. Und deswegen ist da auch die christliche Kultur nicht so aus ihren Quellen her bekannt. Aber die christliche Kultur wurde auch gelebt. Es sollte ja nicht einmal mehr das Brauchtum von Weihnachten mit den christlichen Termini bedacht werden. Aber es wurde mitgefeiert, es wurde ja mitgetragen, es wurde in der Öffentlichkeit, in der Presse, im Rundfunk nicht aus den religiösen Wurzeln her gedeutet. Da gibt es auch noch den Unterschied zwischen Ost und West.

    Heinemann: Herr Kardinal, wie werben Sie für die christliche Botschaft in einer Zeit, in der das Ansehen der katholischen Kirche schwer beschädigt ist?

    Sterzinsky: Wir müssen einfach bei der herkömmlichen Weise bleiben. Wir müssen den Menschen in ihren Sehnsüchten entgegenkommen. Und das ist das Entscheidende. Es kommen ja viele, viele in die Kirchen nicht mehr am Sonntag in den Gottesdienst, jedenfalls nicht mit Regelmäßigkeit. Die kommen aus anderen Gründen und bei anderen Anlässen. Und zu Weihnachten kommt ja auch eine große Zahl. Und wenn die dann wie Fremde angesprochen werden – vielleicht mit Freundlichkeit, vielleicht sogar mit Befremdlichkeit –, dann tun wir denen ja keinen Gefallen. Sondern die suchen ja etwas, die suchen ja nicht nur den Christbaum, den finden sie woanders auch.

    Heinemann: Sie suchen sicherlich auch Wahrhaftigkeit. Werden Sie und werden Ihre Amtsbrüder heute Abend bei den Weihnachtspredigten auch die Missbrauchsfälle ansprechen?

    Sterzinsky: Das ist kein Thema für Weihnachten, aber die werden davon sprechen, dass Gott Mensch geworden ist, Menschlichkeit angenommen hat, selber nicht Sünder wurde, aber die Sünder angenommen hat und deswegen auch uns angenommen hat mit unserer Sündigkeit, und dass wir diese Sündigkeit bekennen müssen und dass es schlimm ist, wenn wir dieses Sündersein verbergen und verborgen haben. Und da werden sicherlich manche, ich jedenfalls auch, sagen, dass ich also tief und schmerzlich getroffen war, als bewusst wurde, wie viel mit dem Missbrauch eigentlich in die Kirche eingedrungen war.

    Heinemann: Haben Sie an Ihrer Kirche gezweifelt?

    Sterzinsky: Ich habe nicht an der Kirche gezweifelt, aber an vielen Priestern eigentlich gezweifelt. Mich haben die Missbräuche, mich hat dieser Missbrauch, dieser sexuelle Machtmissbrauch also, ganz, ganz viel verletzt, weil ich das nicht für möglich gehalten habe.

    Heinemann: Herr Kardinal, Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, er kritisiert eine katholische Kirche, die, wie er sagt, in Fragen der Sexualmoral weitgehend sprach- und wirkungslos geworden sei. Wie gefährlich ist das Schweigen und das Verschweigen für die Kirche?

    Sterzinsky: Ja, das führt zu einer Unehrlichkeit im eigenen Herzen. Wenn einer sich gegen die von ihm selbst nach außen hin vertretene Norm versündigt, verfehlt, dann fühlt er sich ja selber ganz unwohl. Und das muss ihn ja innerlich auch vergiften. Und wenn das hinterher sogar aufgedeckt wird, wird er ja selber ganz unglaubwürdig. Rein philosophisch kann man sagen: Die Botschaft kann wahr sein, selbst wenn der Bote nicht danach lebt. Aber gerade beim Evangelium, gerade bei der christlichen Botschaft ist das nicht so. Die Botschaft wird erst glaubwürdig durch das gelebte Zeugnis bei dem Boten. Wenn der Bote nicht lebt, was er bezeugt, dann wird auch die Botschaft so unglaubwürdig. Das sieht man bei den Heiligen am besten im positiven Sinne: Warum glaubt man einem Heiligen die Botschaft? Weil man sagt, das ist so authentisch, was der in seinem Leben verwirklicht, das stimmt doch wohl, sonst könnte der ja so nicht leben. Aber wenn man hinterher merkt, das hat er ja gar nicht gelebt oder das lebt er ja gar nicht oder nur scheinbar, der redet nur so rum, dann wird die Botschaft unglaubwürdig. Und das ist glaube ich das Allerschlimmste jetzt bei diesen sexuellen Missbräuchen.

    Heinemann: Herr Sterzinsky, gestatten Sie mir eine persönliche Frage: Was wünscht sich ein Kardinal zu Weihnachten?

    Sterzinsky: Der wünscht sich, dass die Menschen innerlich zur Ruhe kommen und dass sie hinhören auf das, was seit 2000 Jahren durch das Christentum verkündet wird: Dass Gott mit uns ist, dass Gott nicht über uns bleiben wollte – da ist er immer, ja –, sondern dass er mit uns geht und uns angenommen hat und einen jeden Einzelnen angenommen hat. Dass also Menschen ruhig werden und hören. Ruhig werden und hören, das wünsche ich.

    Heinemann: Georg Kardinal Sterzinsky, der Erzbischof von Berlin. Ein frohes Fest wünschen wir Ihnen, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Sterzinsky: Auf Wiederhören!