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An der Seite Stalins

14 Jahre lang stand Nadeschda Allilujewa als seine zweite Frau an der Seite Stalins und begleitete seinen Aufstieg vom Revolutionär im Untergrund zum unumschränkten Diktator. Am 8. November 1932 wurde sie mit einer Revolverkugel im Herzen tot aufgefunden. Olga Trifonowa entwirft mit ihrer fiktiven Romanhandlung eine mögliche Version der Persönlichkeit von Nadeschda Allilujewa und der tragischen Geschichte ihrer Ehe, die auch die Geschichte des Wegs in eine blutrünstige Diktatur ist.

Von Karla Hielscher | 10.08.2006
    Was für ein faszinierender, dramatischer Stoff für einen biographischen Roman: das Schicksal von Stalins zweiter Frau Nadeschda Allilujewa, mit der er 14 Jahre lang - gerade in der Zeit seines Aufstiegs vom im Untergrund lebenden Revolutionär zum unumschränkten Diktator - sein Leben teilte. Nadeschda Allilujewa, die Mutter seiner beiden Kinder Wassili und Swetlana wurde am 8. November 1932, nach dem Bankett zur Feier des 15. Jahrestags der Oktoberrevolution im Schlafzimmer ihrer Kremlwohnung mit einer Revolverkugel im Herzen tot aufgefunden.

    Fast alle Historiker gehen vom Selbstmord der schönen einunddreißigjährigen Frau aus, deren weißes Grabmal auf dem Prominentenfriedhof Nowodjewitschij in Moskau bis heute einen geheimnisumwitterten Anziehungspunkt bildet. Da der Freitod der jungen Stalin-Gattin als politischer Protest hätte verstanden werden können, wurde er sogleich vertuscht und ein pompöses Staatsbegräbnis für sie veranstaltet. Die Gerüchte und Spekulationen über ihren Tod sind deshalb nie verstummt.

    Trotz neuen, erst nach der Wende zugänglichen Archivmaterials - etwa von zärtlichen Liebesbriefen des Ehepaars - wird über Nadeschda Allilujewas Leben wohl Vieles im Dunklen bleiben. Olga Trifonowa, die als Leiterin des Museums im "Haus am Ufer", dem berühmt-berüchtigten Gebäudes, in dem die stalinistische Politprominenz wohnte, die historischen Quellen genau kennt, wählt daher für ihr Buch das in der heutigen Literatur weit verbreitete Genre der Fiction-Faction. Aber allein schon die nachweislichen authentischen Dokumente bieten einen einzigartigen Einblick in die Lebenswelt der bolschewistischen Revolutionäre vom Beginn des Jahrhunderts bis in die 30er Jahre hinein, als Stalins persönliche Terrorherrschaft sich fest etabliert hatte. Das war es wohl auch, was die Autorin zu ihrem literarisch anspruchsvollen Roman inspirierte: Hinter den politischen Ereignissen den Alltag dieser Menschen, ihre Gefühle und gegenseitigen Beziehungen zu erkunden.

    Nadeschda Allilujewa stammt aus einer Familie von engagierten Revolutionären: Ihre Kindheit war geprägt vom Nomadenleben im Untergrund, den Verhaftungen und Gefängnisaufenthalten des Vaters, der häufigen Abwesenheit der Mutter, die - wie es im bolschewistischen Milieu durchaus üblich war - immer wieder auch Beziehungen zu anderen Männern hatte. Der enge Freund der Familie Allilujew, Stalin, hat die kleine Nadja schon als Dreijährige 1904 auf seinem Schoß gehabt, und als 17jährige Schülerin brannte sie im Jahr der Oktoberrevolution mit ihm von zuhause durch. Nach ihrer Heirat 1918 gehörten die Allilujews jedoch weiterhin zum innersten Herrschaftskreis um Stalin, der noch in den 20er Jahren in eher bescheidenen Kreml-Wohnungen und der Datschensiedlung Subalowo - mit den Molotows, den Woroschilows, den Mikojans u.a. - in einer Art bolschewistischer Großfamilie zusammenlebte.

    Nadeschda - aufgewachsen mit den kommunistischen Idealen - arbeitete trotz ihrer 1921 und 1926 geborenen Kinder, die mehr mit Leibwächtern und Bediensteten als unter der Obhut ihrer Eltern aufwuchsen, zunächst im Sekretariat von Lenin und begann Ende der 20er Jahre ein Studium an der chemischen Fakultät der Industrieakademie.

    Die Ehe der leicht aufbrausenden, stolzen Frau mit dem 22 Jahre älteren Stalin war offensichtlich von Anfang an voller Spannungen. In dem Maße wie Stalins Selbstherrschaft wuchs, scheinen sich die Eheleute einander entfremdet zu haben. Es ist nachgewiesen, dass Nadeschda strikt die Gewalt gegen die Bauern während der brutalen Kollektivierung ablehnte. In ihrem Sterbezimmer wurde eine Abschrift des gegen die Diktatur Stalins gerichteten Manifests einer linken Oppositionsgruppe gefunden. Aus Nadeschdas Krankenakte geht hervor, dass sie an unerträglichen Migräneanfällen, Unterleibsschmerzen als Folge häufiger Abtreibungen und schweren psychischen Störungen litt, die sie mit Koffeintabletten bekämpfte, von denen sie süchtig geworden war. Sie wurde deshalb im Sommer 1930 zur Kur nach Karlsbad und Marienbad geschickt.

    Hier nun knüpft Olga Trifonowa mit ihrer fiktiven Romanhandlung an und entwirft eine mögliche Version der Persönlichkeit von Nadeschda Allilujewa und der tragischen Geschichte ihrer Ehe, die auch die unheilvolle Geschichte des Wegs in eine blutrünstige Diktatur ist. Basierend auf der Innensicht der Hauptgestalt wird Nadeschda als aufrichtiger, komplexer aber labiler Charakter gestaltet. Durch ihre Liebe und Nähe zu Stalin gerät sie immer wieder in die fürchterlichsten Konflikte, die sie krank gemacht und zerstört haben. Im idyllischen böhmischen Kurort nun - fern von der ideologiebesessenen sowjetischen Welt der Not und um sich greifenden Angst - erinnert sie sich an ihr vergangenes Leben und ihre als immer unerträglicher empfundene Ehe.

    Das literarische Verfahren ist motiviert durch den psychischen Zustand der kranken Nadeschda: Aus realen Erinnerungsfetzen, quälenden Alpträumen, Gedächtnisbruchstücken und Fiebervisionen setzt sich mosaikartig das Bild eines zerrissenen Lebens zusammen: glückliche Momente, wenn Stalin im Freundeskreis mit seiner schmeichelnden Tenorstimme georgische Romanzen und Kirchenlieder singt oder mit seinen Kindern herumalbert und Szenen, in denen sie seine Mitleidlosigkeit und Grausamkeit spürt und von ihm gedemütigt und beschimpft wird; das Misstrauen, das ihr als Stalins Frau im Sekretariat des dahinsiechenden Lenin und später von ihren oppositionell eingestellten Freunden entgegenschlägt, so dass sie immer mehr vereinsamt und sich nirgendwo dazugehörig fühlt; fröhliche Eindrücke von den gemeinsamen Sommerurlauben in Sotschi am Schwarzen Meer, und die Verzweiflung über Verhaftungen nahestehender altgedienter Revolutionäre; die Konfrontation mit Elend und Armut bei ihren Kommilitonen und die zunehmenden Schuldgefühle wegen ihrer eigenen privilegierten Stellung. In diesen Rückblenden gehen faktographische und fiktionale Elemente des Textes nahtlos ineinander über.

    Die dazuerfundene Liebesgeschichte mit ihrem Marienbader Psychiater jedoch samt dessen psychoanalytischer Deutung ihrer Probleme wirkt konstruiert und künstlich. Nadeschda Allilujewas bewegende Lebensgeschichte bietet auch ohne diesen überflüssigen Handlungsstrang genügend Spannung, um den Roman ästhetisch zu tragen.

    Olga Trifonowa:
    "Die Einzige. Nadeschda Allilujewa - Stalins Frau"
    (Verlagshaus Pereprava)