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Analyst: Es wird zwangsweisen Schuldenschnitt für alle Gläubiger Griechenlands geben

Dem angestrebten Schuldenschnitt für Griechenland werden bis zum Ablauf der Frist heute Abend nicht genügend Gläubiger zustimmen, meint der Chefanalyst der Baader Bank, Robert Halver. Die Folge wird sein, dass ausnahmslos alle Gläubiger einen Schnitt werden hinnehmen müssen, glaubt der Ökonom - und das werde nicht der letzte sein.

Das Gespräch führte Martin Zagatta | 08.03.2012
    Martin Zagatta: Um 21 Uhr heute Abend läuft die Frist ab. Bis dahin müssen sich die privaten Gläubiger (Banken, Versicherungen, Fonds) entscheiden, ob sie auf Milliarden verzichten, ob sie dem geplanten Schuldenschnitt für Griechenland nun zustimmen oder nicht - eine Zitterpartie mit offenbar immer noch ungewissem Ausgang.
    Verbunden sind wir jetzt mit jemandem, bei dem die Griechen in der Kreide stehen und der nun auf Geld verzichten soll – nicht er persönlich, sondern seine Bank, denn Robert Halver ist Chefanalyst der Baader Bank. Schönen guten Tag, Herr Halver.

    Robert Halver: Guten Tag nach Köln.

    Zagatta: Herr Halver, die deutschen Banken und Versicherungen sollen weitgehend zu diesem Schuldenschnitt bereit sein, hört man. Dennoch ist von einer Zitterpartie die Rede, bis die Frist heute Abend abläuft. Was würde denn passieren, wenn dieser Schuldenschnitt nicht zustande kommt? Ist das für Sie überhaupt vorstellbar?

    Halver: Nein, es wäre nicht vorstellbar, denn wenn es passieren würde, hätten wir wirklich die Büchse der Pandora noch mal aufgemacht, dann wäre die Euro-Krise wieder an ihrem Anfang mit all den schrecklichen Entwicklungen. Nein, ich denke, das wissen alle Banken, die Versicherer, auch die Hedgefonds und andere Gläubiger, dass sie hier mehrheitlich abstimmen müssen, also mit mindestens 66 Prozent, weil dann ansonsten die Probleme noch gravierender würden. Die Finanzindustrie würde damit die Finanzmärkte ganz massiv wieder in die Krise stürzen, genau das soll ja verhindert werden.

    Zagatta: Woher kommt dann der Widerstand, woher kommt das Zögern? Wird da bis zur letzten Minute gezockt, oder wie ist das zu erklären?

    Halver: Man muss sich ja vor Augen führen: Überlegen Sie mal, 90 Prozent der Gläubiger sagen "Ja" zum Schuldenschnitt und zehn Prozent nicht. Dann würden ja die 90 Prozent bluten müssen an Banken, Versicherer und Hedgefonds und die anderen zehn Prozent bekämen eben ihre Schulden zu 100 Prozent zurückgezahlt. Also da möchte niemand dem Konkurrenten irgendetwas gönnen.

    Zagatta: Nun haben wir aber gerade gehört, dass da zur Debatte steht, wenn da nicht alle zustimmen, aber eine große Mehrheit, dass der Rest dann von den Griechen gezwungen werden soll, da mitzumachen. Ist das tatsächlich so möglich?

    Halver: Das ist möglich und das wird auch kommen, weil die 90-Prozent-Quote erreichen wir nicht. Wir werden sicherlich die 66 Prozent und mehr haben, aber nicht 90 Prozent. Das heißt, es wird dann in der Tat die nachträgliche Umschuldungsvereinbarung geben, dass alle, alle ohne Ausnahme, dann wirklich bluten müssen, weil ansonsten gar nicht der Schuldenschnitt vom Volumen zusammenkäme.

    Zagatta: Aber ist das rechtstaatlich? Das ist doch eine Enteignung.

    Halver: Ja wissen Sie, wir sind schon lange nicht mehr bei Rechtstaatlichkeit. Sie haben vollkommen recht: Das ist eigentlich eine Enteignung, weil ja andere Gläubiger, die EZB zum Beispiel, nicht bluten müssen. Man kann ja heute nicht sagen, wer heute in ruhigem Glauben eine griechische Anleihe kauft, muss die Gefahr haben, dass er später eben einen Schuldenschnitt in Kauf nehmen muss. Das hat sicherlich nichts mehr mit der reinen Lehre von Renten- und Zinspapieren zu tun. Die Definition von Rente ist ja, dass die Rückzahlung zu 100 Prozent erfolgt. Also da muss man schon sagen, es hat ein Geschmäckle, zumal ja auch damals gesagt worden ist, wir geben den Banken sehr großzügig Geld, damit sie mit dem Geld auch griechische Staatsanleihen kaufen, damit Griechenland gerettet werden kann. Heute ist alles anders.

    Zagatta: Können sie denn da als private Bank beispielsweise oder andere Banken überhaupt mitmachen? Da sind doch ihre Aktionäre sauer, machen sie da unter Umständen auch haftpflichtig.

    Halver: Nein, wir werden ja gezwungen. Die 90 Prozent werden nach meinem Dafürhalten nicht erreicht, und wenn die griechische Regierung dann sagt, dann machen wir eben in der Tat diese Umschuldungsklausel rein, dann werden alle Anleger dazu gezwungen. Da stellt sich diese Frage nicht mehr, man wird quasi dann freiwillig gezwungen, man könnte auch von spanischer Inquisition sprechen.

    Zagatta: Freiwillig gezwungen – was heißt das dann für die Kreditwürdigkeit solcher Länder, für Griechenland? Da überlegt man sich doch in Zukunft dreimal, da noch Geld hinzugeben als Bank.

    Halver: Sie haben vollkommen recht. Die Konsequenzen muss man beachten, dass natürlich jetzt Griechenland als Schuldner sicherlich nicht in der Gunst des Anleihepublikums steigen wird. Im Gegenteil, die Anleger werden das Land sicherlich meiden – definitiv. Aber es gibt keine Alternative dazu. Aber meine Theorie ist so, ist eine ganz andere. Ich bin der Meinung, dass die Griechen im Sommer austreten werden, und dann ist der Schuldenschnitt der erste Schritt, der gemacht werden muss, damit die Probleme langsam aber sicher abgearbeitet werden.

    Zagatta: Wenn Sie den Griechen jetzt aber diesen Schuldenschnitt zugestehen, wieso sollten dann nicht Länder wie Portugal oder andere demnächst auch kommen und sagen, bitte, dann wollen wir das gleiche?

    Halver: Und genau da ist das Problem. Wo ist die Verhältnismäßigkeit? Das heißt, wir sind gezwungen zu glauben, zu hoffen, dass andere Länder, gerade die großen Länder, Italien, Spanien, ihre Hausaufgaben machen, zum Beispiel eine strikte Qualität ihrer Standorte jetzt voranbringen, wie wir in Deutschland mit der Agenda 2010, dass sie ihre Hausaufgaben machen. Das ist die Hoffnung, damit die Länder merken, wenn wir es aus eigener Kraft machen, sinken unsere Zinsen für Staatsanleihen, wir können uns besser refinanzieren, neue Schulden rausgeben. Aber dazu kann man kein Land zwingen, das geht nicht, es gibt keine Insolvenzordnung für Länder. Wir sind also auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen zu hoffen, dass die anderen Länder von sich aus ihre Schuldenaufgaben machen.

    Zagatta: Herr Halver, nun meinen ja viele Experten, dass uns vor allem Banken und andere Finanzinstitute in diese Krise gebracht haben. Ist es da jetzt nicht irgendwie auch ausgleichende Gerechtigkeit, dass sie sich da finanziell beteiligen müssen, um uns aus diesem Schlamassel auch wieder herauszuführen?

    Halver: Also ich habe überhaupt kein Problem mit grundsätzlicher Bankenkritik. Aber an der Griechenland-Krise haben die Banken nun wirklich überhaupt keine Schuld. Die Griechen sind beigetreten, dann haben sie geschummelt – okay, es war aber klar, die Griechen sollen ein fester Bestandteil sein der europäischen Zone, das ist noch im letzten Jahr sehr deutlich gesagt worden und von Schuldenschnitt hat niemand gesprochen. Und wenn man das eben weiß, kann man einer Bank nicht den Vorwurf machen, wenn sie den Griechen dann zur eigenen Unterstützung ihrer Schuldenaufnahme dann tatsächlich Geld gibt. Also die Griechenland-Pleite und Banken, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

    Zagatta: Wie sieht es da überhaupt mit den Banken aus? Wir hören jetzt, 107 Milliarden ist, glaube ich, die Summe, die da im Gespräch ist. Da heißt es, die den Griechen erlassen werden soll von privaten Gläubigern. Ist das in Wahrheit nicht so, dass da Banken beteiligt sind wie die Hypo Real Estate, die dort ebenfalls beteiligt sind, wo der Steuerzahler doch dafür aufkommt, also dass auch von diesem Geld ein Großteil oder ein nicht geringer Teil wieder vom Steuerzahler finanziert wird?

    Halver: Ja, in der Tat. Auch die privaten müssen mit bluten, das ist einfach so. Nur man muss sich die Frage stellen, wenn wir das jetzt nicht so machen sollten, auch mithilfe des deutschen Steuerzahlers, dann werden wir noch größere Probleme bekommen. Das heißt, wir sind gezwungen, jetzt in der Tat in den saueren Apfel zu beißen – in der Hoffnung, dass so etwas in Zukunft nicht mehr verstärkt vorkommt -, wobei ich bei Griechenland ganz klar sagen muss: Es wird nicht der letzte Schuldenschnitt gewesen sein, denn die Griechen haben eine mangelnde Infrastruktur und im Status quo des Euro-Korsettes wird Griechenland nie eine Chance haben, auf einen grünen Zweig zu kommen.

    Zagatta: An dem Schuldenschnitt, sagen Sie, kommt man nicht vorbei. Ist dann dieses Hilfspaket, das damit einhergeht, dieses staatliche Hilfspaket, das von der Eurozone jetzt wieder beschlossen wurde, ist das dann überhaupt noch sinnvoll? Braucht man das dann auch noch?

    Halver: Dieses Hilfspaket dient ja dazu, dass Griechenland in Zukunft seine Schulden bedienen kann. Es ist ja kein Hilfspaket im Sinne, dass man dem Land eine Wachstumsperspektive gibt. Das ist ein ganz massiver Fehler. Nur dieses Land – und über diese Brücke muss man gehen – hat nur dann eine Wachstumsperspektive, wenn sie austreten. Erst mit dem Austritt aus der Eurozone ist die Wirtschaft in Griechenland wettbewerbsfähig. Das muss man sich ganz klar vor Augen führen. Jedes Land der Erde, das Probleme hatte, hat auch seine Probleme mit Abwertung in den Griff bekommen. In Griechenland kann es gar nicht anders funktionieren. Diese Brücke, diese Erkenntnis muss die Politik langsam aber sicher einfach auch mal deutlich sagen.

    Zagatta: Also ein drittes Hilfspaket, das jetzt ja schon wieder im Gespräch ist, sollte es dann nicht mehr geben, oder wäre das auch noch nötig?

    Halver: Das ist nicht auszuschließen, wenn wir die Griechen in der Eurozone halten sollten. Aber noch einmal, sehr wichtig zu erkennen: In ihrem eigenen Interesse wäre es für die Griechen sinnvoll, auszutreten.

    Zagatta: Robert Halver, der Chefanalyst der Baader Bank. Herr Halver, herzlichen Dank für diese klaren Worte, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    Halver: Bitte sehr!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.