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Analytische Präzision

Es war in den Zeiten der fast einhelligen Medien-Unterstützung von George W. Bush immer ein besonderes Vergnügen, die Kolumnen des Wirtschaftswissenschaftlers Paul Krugman in der New York Times zu lesen. Er ließ sich weder durch die umsichgreifende Terrorismus-Hysterie beeindrucken, noch durch die Wahlsiege der Republikaner. Seine Einschätzungen, oft auch gegen die herrschende Konjunktur bei der New York Times geäußert, zeugen von analytischer Präzision und intellektueller Unabhängigkeit. Vieles von dem, was die US-Wirtschaft heute ins Schlingern bringt, hat er klar vorausgesehen und vor den gesellschaftlichen Folgen gewarnt. Nun, während die Bush-Ära zu Ende geht, wendet er sich dem Treiben der möglicherweise im Rennen um die Präsidentschaft erfolgreichen Demokraten stärker zu. Sein Buch: Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten ist nun auf Deutsch erschienen. Hans-Peter Riese hat es gelesen:

Von Hans-Peter Riese | 25.02.2008
    In seinem neuesten Buch atmet Paul Krugman deutlich auf, ihm scheint, dass nicht nur der Albtraum der Präsidentschaft von Bush einem Ende entgegen geht, sondern dass auch die Vorherrschaft der Konservativen gebrochen ist.

    Heute scheint mir jedoch, dass die Wahl von 2004 der letzte Triumph der Konservativen Bewegung war.
    Um seine politischen Vorschläge für die nächste Präsidentschaft (die aus seiner Sicht unzweifelhaft eine der Demokraten sein wird) zu untermauern, greift Krugman in seinem Buch rund einhundert Jahre in die amerikanische Geschichte zurück. Mit Statistiken und Interpretationen der verschiedenen Abschnitte dieser bewegten Geschichte versucht Krugman im Grunde eine einzige These zu untermauern, die darin gipfelt, dass die Politik des New Deal von Franklin D. Roosevelt die Grundlage für eine nicht nur ökonomisch gerechtere Gesellschaft in den USA geschaffen hat, sondern auch die politische Reife des Landes unter Beweis stellte. Den Erfolg des New Deal führt Krugman auch als Beweis gegen die neokonservative These an, dass hohe Steuern und eine Umverteilung des Reichtums von Oben nach Unten die Wirtschaft und den Wohlstand ruinieren würden. Dies habe sich in den dreißiger Jahren eben als falsch erwiesen und eben entgegen dieser These

    brachten Franklin D. Roosevelt und Harry Truman eine drastische Umverteilung von Einkommen und Vermögen nach unten zustande, die weit mehr Gleichheit in der amerikanischen Gesellschaft schuf als jemals zuvor - und diese Umverteilung ruinierte keineswegs die Wirtschaft, sondern schuf obendrein die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung, der eine ganze Generation anhielt. Wenn sie das damals geschafft haben, sollten wir doch imstande sein, ihre Leistung zu
    wiederholen.

    Krugman kann zahlreiche Statistiken anführen, mit denen er seine These erhärtet, dass die von vielen Wirtschaftswissenschaftlern vertretene Auffassung, dass höhere Steuern der Wirtschaft schaden und dass die Sozialleistungen auch in den USA in den siebziger Jahren aus dem Ruder gelaufen seien, einfach falsch sei. Eine dieser Statistiken überrascht in der Tat.

    Der Spitzensteuersatz (derzeit nur 35 Prozent) stieg in der ersten Amtszeit Roosevelts auf 63 und in der zweiten auf 79 Prozent. Als die Vereinigten Staaten Mitte der fünfziger Jahre vor den Ausgaben des Kalten Krieges standen, stieg er auf 91 Prozent.

    Krugman geht es in der historischen Aufarbeitung der Innenpolitik der Vereinigten Staaten vor allem um ein Thema, nämlich den politischen Aufstieg der, wie er sie nennt, "konservativen Bewegung".

    Interessanterweise bezeichnet er sie nicht als "neokonservativ" und er verwendet auch so gut wie keine Zeile auf den Begriff der "Neo Cons" und ihrer ideologischen Wurzeln. Stattdessen stellt er den Aufstieg der "Bewegung" als viel weniger ideologisch motiviert dar als eine Kombination zweier konservativer Grundanliegen in den USA, nämlich der Verteidigung der persönlichen Reichtums und der Ablehnung der Rassengleichheit.

    Die Bewegung war von Anfang an zutiefst undemokratisch, vor allem besorgt um die Verteidigung der Religion und des Privateigentums.
    Für Krugman hat sich der politische Paradigmenwechsel in den USA vor allem in den Südstaaten vollzogen. Noch zu Zeiten des New Deal waren diese fest in der Hand der Demokraten. Dies war das Ergebnis einer höchst fragwürdigen Koalition. Für die Zustimmung zum New Deal durch die Dixicrats, wie die Demokraten der Südstaaten sich selber nannten, ließ Roosevelt deren Diskriminierungspolitik gegenüber den Schwarzen unangetastet. Diese Koalition zerbrach mit der Verabschiedung des Civil Rights Act, unter Präsident Lyndon B. Johnson, der den Schwarzen das uneingeschränkte Wahlrecht garantierte. Johnson wird von Krugman mit einem wahrlich hellsichtigen Satz zitiert, den er nach der Verabschiedung des Gesetzes gesagt hatte.

    Johnson: Ich glaube, wir haben soeben den Süden für den Rest meines Lebens an die Republikanische Partei abgetreten.
    Genauso sollte es kommen. Heute stellen die Republikaner im Süden so viele Abgeordnete und Senatoren, wie die Demokraten vor dem Civil Rights Act.
    Für Krugman war die Rassenfrage das entscheidende Ferment, das die konservative Bewegung zusammenhielt. Aber es gab noch ein zweites Thema, welches die Konservativen ausschlachteten und das vor allem in den Jahren des Kalten Krieges seine Bindungskraft unter Beweis stellte. Dies war der Antikommunismus und die Angst vor der Sowjetunion.

    Die konservative Bewegung fand also eine massenhafte volkstümliche Basis, indem sie an zwei weit verbreitete Regungen appellierte: die weiße Reaktion auf die Bürgerrechtsbewegung und die Paranoia wegen des Kommunismus.
    Meister in der Verknüpfung beider Themen ist für Krugman Ronald Reagan. Reagan, der in seiner Sprache beide Anliegen der Konservativen nicht nur mehrheitsfähig machte, sondern die außenpolitischen Fehlschläge der Regierung Carter, wie die Geiselnahme im Iran, mit den gefühlten innen- und wirtschaftspolitischen Unsicherheiten als ein Versagen der Demokraten hinzustellen in der Lage war. Unter Reagan begann die Entwicklung, die dazu führte, dass der Reichtum in den USA nicht nur zu Lasten der Ärmsten, sondern vor allem zu Lasten der Mittelschicht neu verteilt wurde. Krugmans These:

    Wären die Produktivitätsgewinne gleichmäßig auf die Beschäftigten verteilt worden, wäre das Einkommen des typischen Arbeitnehmers heute um etwa 35 Prozent höher als Anfang der siebziger Jahre. Doch infolge der Einkommensumverteilung nach oben bekam der typische Arbeitnehmer einen weit kleineren Zuwachs.
    Krugman hält die Unterhöhlung und nahezu Abschaffung aller Elemente des New Deal für den größten Erfolg der Konservativen. Nicht nur, dass es ihnen gelang, die Gewerkschaftsbewegung, den Garanten der wachsenden ökonomischen Gleichheit zu minimalisieren, sie schleiften praktisch alle Normen und Institutionen, die den Wohlstand der Mittelschicht ebenso garantiert hatten wie die Teilhabe der Arbeiter am Produktivvermögen des Landes. Krugman fasst diese Beweisführung in einem Satz zusammen, der allerdings nahezu allem widerspricht, was die Wirtschaftswissenschaft heute lehrt.

    Kurz gesagt, die Indizien sprechen eindeutig für die Annahme, dass Institutionen und Normen und nicht die Technik oder die Globalisierung die Hauptquellen der wachsenden Ungleichheit in den Vereinigten Staaten sind.
    Politisch ist für Krugman die Gesundheitsreform das Herzstück einer demokratischen Präsidentschaft. Die Tatsache, dass über 40 Millionen US-Amerikaner ohne Krankenversicherung sind, außerdem Millionen unterversichert, ist für Krugman einer modernen Demokratie nicht angemessen. Er ist sich der Auswirkung einer solchen politischen Prioritätensetzung auf die Konservativen bewusst. Der neokonservative Chefideologie Kristol hat bereits vorausgesagt, dass ein solcher Schwenk die Wiedergeburt der zentralisierten wohlfahrtsstaatlichen Politik wäre. Genau dies aber, nämlich die Wiedererrichtung eines Wohlfahrtsstaates, wie er durch den New Deal geschaffen worden ist, bedeutet für Krugman den Beginn einer Gesundung der amerikanischen Gesellschaft und einer neuen demokratischen Renaissance.

    Für moderne Liberale sollte ein allgemeines System der Gesundheitsvorsorge die höchste innenpolitische Priorität haben. Wenn sie das erreicht haben, können sie sich der umfassenderen, schwierigeren Aufgabe zuwenden, die Ungleichheit in Amerika einzudämmen.
    Schon in dieser Formulierung offenbart sich Paul Krugman, der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und bewunderte unabhängige Kolumnist der New York Times als Wahlkämpfer für die Demokraten. Er selber bezeichnet sich als einen Progressiven, nachdem er ausführlich dargelegt hat, wie weit auch die Demokraten- zum Beispiel unter Bill Clinton- nach rechts abgedriftet sind. Im Grunde besteht Krugmans Programm für eine demokratische Mehrheit im Kongress und einen demokratischen Präsidenten in der detaillierten Beschreibung eines US-amerikanischen Gesundheitssystems, das er weitestgehend aus den Erfahrungen in den europäischen Industrienationen ableitet.

    Für ihn ist die Durchsetzung eines solchen Systems historisch gleichrangig mit dem New Deal Roosevelts und er knüpft daran ebenso weit reichende gesamtökonomische Erwartungen. Dass ein solches System nur mit massiven Steuererhöhungen und einer Verbesserung der Einkommenssituation der Arbeiter durchgesetzt werden kann, versteht sich für Krugman von selbst.
    Die demokratischen Wahlkämpfer dürften für diesen Teil der Botschaft weniger empfänglich sein. Der Autor aber setzt seine Maßstäbe höher als die taktischen Varianten eines wahlkämpfenden Politikers.

    Ein aktiver Liberaler zu sein bedeutet einstweilen, ein Progressiver zu sein, und ein Progressiver zu sein bedeutet, für die Sache der eigenen Partei einzutreten. Das Ziel ist jedoch nicht die Herrschaft einer Partei, sondern die Wiederherstellung einer wirklich lebendigen, kämpferischen Demokratie. Denn einem Liberalen geht es letztlich um die Demokratie.

    Hans Peter Riese war das über: Paul Krugman: Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten, erschienen im Campus Verlag, übersetzt von Friedrich Griese. Es hat 320 Seiten für 24,90 Euro.