Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Anatomie der Gefühle
Zu Tränen gerührt

Die Psychologie der Erforschung von Emotionen und die Neurobiologie sind den Gefühlen auf der Spur, die sich im Hirn abbilden. Wie sich diese Grundlagen auf soziale Beziehungen auswirken, versuchen sich auch Politik- und Konfliktforschung, Philosophie und Ästhetik zunutze zu machen.

Von Dörte Hinrichs | 14.06.2018
    Eine Frau ist zu Tränen gerührt
    Forscher bestätigen die Hypothese: Es gibt Regionen im Gehirn des Senders und im Gehirn des Empfängers, die die emotionale Information auf die gleiche Art und Weise encodieren - wie beim Mitgefühl. (Imago / Anan Sesa)
    "Die Beobachtung allgemein ist, dass es in der Welt sehr laut geworden ist, es gibt Wutbürger, es gibt Hassmails, es gibt sehr viel laute Empörung. Denken Sie auch an das Pamphlet von Stephan Hessel 'Empört Euch', da werden wir auch von Intellektuellen aufgefordert, in gewisser Weise Aggressivität in kultivierter Form - also Emotionalität - zu zeigen. Und wenn so viel Emotion in den Debatten in der Gesellschaft ist, dachte ich, muss, man sich mal darüber verständigen, was ist das, woher kommt das, wie artikuliert sich das in den verschiedenen Disziplinen oder in verschiedenen Zeiten?"
    Sagt Dr. Christoph auf der Horst, der die Düsseldorfer Ringvorlesung im Haus der Universität initiiert und organisiert hat. "Wutbürger" und "Gutmenschen" sind beliebte Etiketten, um Menschen zu diskreditieren, während gleichzeitig seit Jahren der Ruf nach emotionaler Intelligenz erklingt, ohne dass eine gesellschaftliche Übereinkunft darüber besteht, wie diese konkret aussieht. Und in den Wissenschaften widmet sich längst nicht nur die Psychologie der Erforschung von Emotionen, sondern auch in der Neurobiologie, der Politik- und Konfliktforschung, Philosophie und Ästhetik werden sie verstärkt in den Fokus genommen.
    Prof. Heiner Hastedt von der Uni Rostock beschäftigt sich seit Jahren aus philosophischer Sicht mit Emotionen, er sieht darin Grundtönungen der Existenz und der Weltwahrnehmung, wie zum Beispiel Angst oder Freude.
    "Zuneigung, Liebe, Hass, fließender Übergang zu Leidenschaften, also tendenziell sind Emotionen nicht so heftig wie Leidenschaften."
    Während Gefühle aus seiner Sicht unspezifischer sind, eine Art Überbegriff.
    "Da ist mir genau ein Wort wichtig: Gefühle haben was mit Involviert-Sein zu tun. Und das ist mir wichtig geworden auch so ein bisschen als Abgrenzung gegen Coolness. Weil, sich von nichts involvieren zu lassen, gilt ja manchmal als Ideal, und da finde ich das mit den Gefühlen und dem Involviert-Sein doch einen wichtigen Gegenakzent."
    Gefühle, Störenfriede der Vernunft?
    Seit der Zeit der Aufklärung wird die Rolle der Rationalität in der Philosophie stark betont. Gefühle galten als Störenfriede für die Vernunft - ihre Bedeutung zu vernachlässigen sei ein Fehler, meint der Rostocker Philosoph:
    "Weil der Mensch ist geprägt von Gefühlen. Vernunft allein bringt es auch nicht, Sie müssen also schon Leidenschaft für die Vernunft mitbringen, wenn Sie wollen, dass die Welt ein bisschen vernünftiger wird."
    Doch an der Leidenschaft für Vernunft scheint es derzeit zu mangeln, wie sich später noch am Beispiel der emotionalisierten Politisierung zeigen wird. Der ausgeprägte Blick über den Tellerrand der eigenen Disziplin zeichnet alle Referenten der Düsseldorfer Ringvorlesung über Emotionen aus, auch Heiner Hastedt:
    "Ich glaube, dass die Neurobiologien in ihren unterschiedlichen Herangehensweisen einem wirklich dann doch beigebracht haben, dass der Mensch auch in seinem evolutionären Erbe wirklich kein Vernunftwesen ist. Für mich selber ist die interkulturelle Dimension besonders wichtig. Also die Kulturwissenschaften, die hier Fragen des Typs stellen: Haben eigentlich Chinesen, Japaner, Brasilianer die gleichen Gefühle wie Menschen aus Rostock, Köln oder anderen Teilen Deutschlands?"
    Nicht nur "coole" Japaner
    Als Beispiel für eine von uns sehr verschiedene Gefühlskultur führt er Japan an, wo er einen großen Unterschied zwischen dem inneren und äußeren Ausdruck feststellt:
    "Also wenn Sie in kleinen Gemeinschaften, Familien zugelassen werden, war ich immer verblüfft, wie gefühlsintensiv, wie ungehemmt und lustig es zugeht. Und die gleiche Person kann am nächsten Tag, wenn sie ihr am Arbeitsplatz begegnen, unglaublich cool sein. Traditionelle Zurückhaltung beim Gefühlsausdruck geht in Japan unbedingt eine Koalition ein mit dieser Intensität im Innenbereich. Und viele sagen ja, es liegt an den dünnen Wänden, das heißt die alten, traditionellen Papierwände führten eben zu der sozialen Disziplinierung bitte nicht laut sein, und darum Zurückhaltung im Gefühlausdruck. Aber im geschützten Innenraum gedieh die Intensität der Gefühle umso mehr. Auch wenn in der Globalisierung starke Angleichungstendenzen da sind, bleiben die Unterschiede groß."
    Romantische Liebe als kulturelle Erfindung
    Gefühle und ihre Vorstellung von ihnen haben sich im Laufe der Geschichte gewandelt.
    "Romantische Liebe ist in gewissem Sinne eine kulturelle Erfindung. Rund ums 18. Jahrhundert steht ja auch Romantik davor, als Menschen anfingen, Miteinander unter dieser Überschrift zu deuten, veränderte sich die Gefühlslage auch die Benennungen von Gefühlen, die sind nicht ganz unwichtig. Also es ist nicht so, dass die Gefühle sind wie sie sind, und dann denken wir uns nochmal Benennungen aus, sondern wie wir Gefühle selbst interpretieren, das greift selbst ein."
    Gibt es dann aber ein übereinstimmendes Verständnis von verschiedenen elementaren Gefühlen? Meinen wir alle dasselbe, wenn wir von der Liebe reden?
    "Ich glaube, dass im Heranwachsen die unendlich vielen Liebesfilme, die wir gesehen haben, die transportieren ja ein Muster und dieses Muster wird uns dann auch bei eigenen Erfahrungen quasi helfen, diese Erfahrungen, die wir machen, zu deuten. Das heißt also wie das Flattern im Bauch, das ist zunächst ja einmal physiologisch beschreibbar, biologisch, dass wir das in einer bestimmten Art und Weise dann deuten."
    "Dieses Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst, als ob da im Magen der Teufel los ist. Dieses Kribbeln im Bauch, kennst du doch auch, wenn man glaubt, fast Überzuschäumen vor Glück."
    Das Kribbeln oder die Schmetterlinge im Bauch, deuten wir als Symptom von Verliebtheit, ein Gefühl, dass jeder vielleicht etwas anders spürt, aber über das es eine gemeinsame Verständigung gibt. Das belegen auch Studien von Professor Silke Anders von der Universitätsklinik Lübeck. Sie forscht über soziale und affektive Neurowissenschaften und hat in der letzten Woche bei der Düsseldorfer Ringvorlesung über neurobiologische Grundlagen sozialer Beziehungen referiert. Sie ist den Gefühlen auf der Spur, die sich im Hirn abbilden.
    Gefühlsmuster im Gehirn
    "Wir haben uns gefragt, ob es Muster gibt, die ganz spezifisch sind für bestimmte Emotionen, ob zum Beispiel Freude ein bestimmtes Aktivitätsmuster in meinem Gehirn hervorruft, wenn ich mich in eine freudige Situation hineinversetze. Und wenn ich Ihnen das dann kommuniziere, zum Beispiel durch meinen Gesichtsausdruck, und Sie versuchen das nachzuempfinden, ob das gleiche Aktivitätsmuster auch bei Ihnen aktiviert wird."
    Dabei hat sich die Vorstellung, dass sich Gefühle durch neuronale Aktivität in klar abgegrenzten Hirnregionen abbilden, durch bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie, kurz MRT, nicht bestätigt - bis auf eine Ausnahme:
    "Die einzige Hirnregion, die Amygdala, der Mandelkern, die relativ konsistent aktiviert ist, wenn man einen furchtsamen Gesichtsausdruck sieht oder selber Furcht empfindet. Also das ist die einzige Hirnregion, die wir so einigermaßen konsistent einer Emotion zuordnen können. Für alle anderen Emotionen haben wir nicht eigentlich nicht eine bestimmte Hirnregion, wo wir sagen können, da sitzt die Emotion."
    Ansonsten würde ja ein Blick in die Hirnaufnahme unserer Mitmenschen reichen, damit das in Erfüllung geht, was Menschen gleichermaßen wünschen wie fürchten:
    "Wir können keine Gedanken lesen, also wir können nicht eine Person in den Scanner legen, in den Tomographen legen, die Hirnaktivität messen und sagen, die Person hat das und das gedacht oder empfunden. Aber wenn wir den Probanden ganz genaue Anweisungen geben, was sie tun sollen: Sie sollen zum Beispiel Freude oder Angst oder Trauer, Furcht oder Ekel empfinden, und das möglichst noch zu einem vorgegebenen Zeitpunkt, und wir gucken uns dann diese Hirnaktivitätsmuster an, und tun das bei mehreren Probanden, dann können wir, wenn wir einen weiteren Probanden unter gleichen Bedingungen messen, mit ziemlich guter Wahrscheinlichkeit aus seinem Hirnaktivitätsmuster herauslesen, welche Emotion er gerade empfunden hat, indem wir einfach das Hirnaktivitätsmuster das bei ihm entsteht, wenn er eine bestimmte Emotion empfindet, mit unseren Referenz-Aktivitätsmustern vergleichen von den anderen Probanden."
    Liebende erkennen und spiegeln Gefühle ihrer Partner ähnlich
    Um erfolgreich zu kooperieren, ist es wichtig, unser Gegenüber zu verstehen, seine Gefühle und Absichten zu erkennen und richtig zu interpretieren. Liebende können die Emotionen des Partners besser widerspiegeln als Fremde. Das zeigt eine Studie, die Silke Anders mit sechs studentischen Paaren im MRT durchgeführt hat, die seit mindestens einem Jahr in einer festen Beziehung lebten:
    "Das ist eine Studie, in der wir uns dafür interessiert haben, wie emotionale Informationen von einem Gehirn in das andere Hirn gelangt. Und das waren Liebespaare in der Studie, und eine Person hatte die Aufgabe, während sie im Kernspintomografen lag, erst Emotionen zu empfinden und dann Emotionen zu kommunizieren. Und die andere Person hat die erste Person über eine Videokamera beobachtet und hatte die Aufgabe, diese Emotion nachzuempfinden. Und wir haben uns dann gefragt, wie die Emotionen, das waren fünf verschiedene Emotionen, in den beiden Gehirnen repräsentiert sind und ob es da eine ähnliche Encodierung der emotionalen Informationen gibt."
    Dabei ging es um typische Basis-Emotionen wie Freude, Trauer, Furcht, Ärger und Ekel.
    "Die Hypothese hat sich bestätigt: Es gibt Hirnregionen im Gehirn des Senders und im Gehirn des Empfängers, die die emotionale Information auf die gleiche Art und Weise encodieren."
    Im Gehirn des Empfängers, also des Partners, zeichnete sich ein umso ähnlicheres neuronales Aktivitätsmuster ab, je sicherer er sich war, dass er das Gefühl seiner Partnerin richtig erkannt hatte. Ein Vergleich mit Männern, die die Frauen nicht kannten, zeigte den Unterschied:
    "Es gab deutliche kleinere Hirnregionen, in denen die emotionale Information auf ähnliche Art und Weise encodiert war wie bei der Senderin, als bei den Partnern."
    Hass und Wut fördern autoritären Nationalradikalismus
    Hass und Wut, das sind die Emotionen, die Professor Wilhelm Heitmeyer vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld bei der Ringvorlesung stärker in den Fokus nehmen wird. Denn zunehmend kämpfen politische Bewegungen und Parteien gegen die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie, Heitmeyer spricht von einem sich entwickelnden Autoritären Nationalradikalismus. Der knüpft an Einstellungen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit an, die er schon in einer Langzeitstudie von 2002 - 2011 bei über 3.000 repräsentativ ausgewählten Personen untersucht hat.
    "Da geht es darum, dass Menschen allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit und unabhängig von ihrem individuellen Verhalten in die Abwertung, in die Diskriminierung und zum Teil in die Gewalt hineingeraten. Das gilt für markierte Gruppen wie Muslime, Juden, Homosexuelle, Obdachlose, Flüchtlinge und es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Gruppen."
    Entwicklung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
    Schon zu Beginn der Studie hat sich bei vielen Befragten eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gezeigt:
    "Wir hatten ja schon 2002 bei der ersten Erhebung etwa 20 Prozent, die sich den rechtspopulistischen Einstellungen zugewandt haben, also auf der Basis von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und autoritärer Aggression. Und das war bekanntlich lange vor der AfD in ihrer jetzigen Formation, das war lange vor Pegida mit dieser ganzen Frage der Islamisierung, und das war natürlich lange bevor Flüchtlinge ins Land kamen. Und diese subtilen Einstellungen, diese Vorformen von Diskriminierung und Gewalt, hat man nicht wahrgenommen. Zum Teil, weil es auch einen gesellschaftlichen Selbstbetrug in dieser Gesellschaft und auch bei den regierenden oder im Parlament vertretenden Parteien gegeben hat."
    Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hat sich dabei nicht einheitlich entwickelt:
    "Bezogen auf verschiedene Elemente gibt es durchaus einen Rückgang über die Zeit, etwa beim klassischen Antisemitismus. Bei der Islamfeindlichkeit gibt es durchaus einen Anstieg. Und das hängt alles auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen, auch mit Krisenentwicklungen. Denken Sie an 9/11mit dem terroristischen Anschlag, dann kamen auch soziale Krisen dazu wie Hartz IV für bestimmte Bevölkerungsgruppen und später die Banken- und Finanzkrise. Und diese gesellschaftlichen und politischen Elemente haben immer auch Auswirkungen auf die Kurven sozusagen, auf die Langzeitentwicklung."
    Hinter dieser gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit stehen Gefühle, die sich bei Menschen quer durch die Bevölkerungsschichten ziehen, so Heitmeyer:
    Die Wut der Ignorierten und die ignorierte Wut
    "Das geht bis in die sogenannte Mitte der Gesellschaft hinein, dort machen sich ja auch Krisenwahrnehmungen bemerkbar. Und es geht vor allem auch in jene soziale Gruppen hinein, die sich selbst mit ihren Emotionen, mit ihren sozialen Lagen nicht wahrgenommen fühlen, etwa von der Politik, so dass es lange Zeit eine wutgetränkte Apathie sich aufgebaut hat. Und die offizielle und regierende Politik hat dieses nicht wahrgenommen. Und man weiß es ja: Wer nicht wahrgenommen wird ist ein Nichts. Und daraus entstehen dann bestimmte Emotionen und vor allem die politisch ausbeutbare Wut.
    Bei den Gruppenvergleichen ist es auch der Neid, der eine Rolle spielt, also wenn man sich als Ostdeutscher mit Westdeutschen vergleicht oder Personengruppen, die sich mit Flüchtlingen vergleichen und dann plötzlich auf die Idee kommen zu sagen, ich bekomme nicht meinen gerechten Anteil."
    Starke Diskriminierungstendenzen bei über 60-Jährigen
    Verletzte Gerechtigkeitsgefühle, die Angst vor der rapiden Globalisierung, die Durchdigitalisierung aller Lebensbereiche sind wichtige Faktoren, die Einfluss nehmen auf die Diskriminierung anderer Menschengruppen. Vor allem bei den über 60-Jährigen zeigten sich in der Studie negative Einstellungsmuster. Die emotionalisierte Politisierung beobachtet der Bielefelder Gewaltforscher mit großer Besorgnis, Emotionen seien schlecht zu kontrollieren und negative Emotionen auch nicht einfach durch positivere zu ersetzen. Eher sei die Politik gefordert, Anerkennungsprozesse zu fördern, damit Menschen sich ernst genommen und nicht als Bürger 2. Klasse fühlen.
    "Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn wir wissen ja, dass nicht nur ein Teil der Migranten oder Flüchtlinge in diese Gesellschaft nicht integriert ist, sondern ein Teil der ursprünglich Deutschen ist auch nicht integriert. Wenn man davon ausgeht, dass man zum Teil natürlich Zugang zum Arbeitsmarkt haben muss, man muss eine Stimme haben im politischen Austausch und man braucht stabile soziale Beziehungen. Und dahinter liegen immer verschiedene Anerkennungsquellen und wenn die versagen, besorgt man sich alternative Anerkennung sozusagen in der eigenen Bezugsgruppe und die ist dann zum Teil mit Hass aufgefüllt.