Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

André Brie
Gegen den linken Mainstream

Der frühere Europa-Abgeordnete André Brie von den Linken ist bekannt für seine Kritik an der eigenen Partei. Inzwischen ist er ein Hinterbänkler im Schweriner Landtag, denn der Gegenwind aus den eigenen Reihen ist stark geworden.

Von Almuth Knigge | 13.02.2014
    Kreisparteitag der Linken, Anfang des Monats, im mecklenburgischen Neustrelitz. "Zur schiefen Ebene" heißt das Lokal, in dem die Genossen sich auf die Kommunal- und Europawahlen vorbereiten wollen. In der Mathematik kann man anhand der schiefen Ebene unter anderem berechnen, wie schnell sich ein Objekt mit und ohne Reibung bewegt. Mit Reibung kennt sich auch der Gast des Tages aus - André Brie. Er wirkt blass, ein bisschen zerbrechlich. Im März wird er 64 Jahre alt. Er spricht über die EU und die Krise.
    "Unsere Kritik an der europäischen Politik muss scharf sein, aber sie darf nach meiner Überzeugung niemals antieuropäisch sein. Diesen Wettbewerb mit der AfD können wir nur verlieren."
    Auch wenn er recht leise spricht, es klingt kämpferisch - wie eine Bewerbungsrede. Die Basis in Neustrelitz zollt ihm Applaus. Sie sind stolz, einen Intellektuellen in ihren Reihen zu haben.
    "Das ist ein kluger Mensch und er weiß, was wichtig ist."
    "Eigentlich gehört so ein Mann in den Bundestag oder in das Europäische Parlament."
    Kritik am Programm der eigenen Partei
    Dort wollte Brie auch wieder hin. Auf dem Parteitag am Wochenende in Hamburg wollte er für die Liste zur Europawahl kandidieren. Wollte – denn er hat gestern aufgegeben. Brie war schon mal für seine Partei in Brüssel. Zehn Jahre lang, bis 2009. Er hat dort den Binnenmarkt- und Verbraucherschutzausschuss geleitet. Und deshalb konnte er nicht stillhalten, als es in der Präambel zum linken Europawahl-Programm hieß, die EU sei neoliberal, militaristisch und weithin undemokratisch.
    "Ich denke, dass diese Präambel völlig falsch ist. Und die Möglichkeiten der europäischen Einigung dabei verloren gehen."
    Denn in der Präambel stand auch:
    "Viele verbanden mit der EU mehr internationale Solidarität. Heraus gekommen sind mehr faschistische Parteien, rechtspopulistische Hetzer und mehr Menschenjagd in und an den Grenzen der EU."
    Die Präambel ist nach heftiger Kritik aus der Partei verschwunden. Die kritische Einstellung der Linken zu Europa aber bleibt:
    "Das ist eine Haltung, die in der gesamten Bevölkerung inzwischen weit verbreitet ist, und ich bedauere das sehr."
    Das sagt Brie auch laut. Und das ist sein Problem. Denn nicht jeder in der Partei will seine Meinung auch hören. Die Extrem-Linken nicht wie Diether Dehm oder auch die Genossen um Sarah Wagenknecht nicht. Früher galt der Mecklenburger als Chefstratege der PDS, später der Linkspartei. Doch bereits vor fünf Jahren war er bei der Nominierung um ein Brüsseler Mandat spektakulär gescheitert. Was natürlich auch mit seinem Denken gegen den Mainstream der Linken zu tun hatte.
    "Ich war nie ein Vordenker, ich wurde immer so genannt. Ich versuche, nachdenklich zu sein. Und meine Rolle in der Partei ist natürlich nicht mehr die, wie in der Vergangenheit."
    Ein Vor- und Querdenker der Linken
    Früher spielte er eine Rolle in der Partei. Als Vor- und Querdenker. Heute sitzt er im Landtag in Schwerin, auf der Hinterbank. 2008 hat er es sogar gewagt, Parteichef Oskar Lafontaine öffentlich zu kritisieren - ein Novum, denn Brie geißelte dessen Anti-SPD-Kurs. Aber auch mit der eigenen Geschichte, mit dem Sozialismus ging das einstige SED-Mitglied hart ins Gericht.
    "Was ich am meisten bedaure, ist das, dass wir, was wir nach 1990 gelernt haben, das Scheitern der SED und der DDR, kritisch, selbstkritisch zu sein, Fehler zu überwinden - inzwischen keine so große Rolle mehr spielen." Wenn man die EU kritisiert, sagt Brie, dann muss man auch praktische, konkrete Vorschläge machen. Aber seine Partei würde lieber große, ziemlich leere ideologische Debatten führen. Und dann gibt es noch einen anderen Grund für seine pro-europäischen Ansichten:
    "Ich bin aufgewachsen mit der Vorstellung über die Kriege, die es in Europa gegeben hat. Und die sind überwunden worden - durch die europäische Einigung."
    Für diese Vision wollte er am Wochenende auf dem Parteitag der Linken kämpfen. Konfrontation scheute André Brie bislang nicht. Aus öffentlichen Schlammschlachten und bisweilen unwürdigen Flügelkämpfen, für die die Linke berühmt ist, hielt er sich meist raus. Solches sei kulturlos, darunter litt er. Ans Aufgeben aber dachte er lange nicht:
    "Meine Chancen sind sicherlich nicht groß. Ich sehe vor allen Dingen meine Verantwortung für meine politischen Positionen auf diesem Parteitag einzutreten, sie lautstark und möglichst wirkungsvoll zur Geltung zu bringen und ansonsten werde ich sehen, was dabei herauskommt."
    Denn im Kämpfen musste er sich vor drei Jahren einmal mehr beweisen. Vier Monate lag Brie nach einem schweren Unfall im Krankenhaus, musste mühsam das Sprechen wieder lernen. Was ihn aufgebaut hat, ist der Zuspruch, auch von politischen Konkurrenten.
    "Ich fand das so wunderbar und mein größter Wunsch ist, dass die Menschlichkeit, die mir gegenüber praktiziert wurde, eigentlich auch in die Politik eintritt."
    Alltagsprobleme statt große ideologische Debatten
    Auch im Gespräch hört man immer wieder mal, wie er um Worte ringt. Und - das ärgert ihn.
    "Aber die Leute im Krankenhaus, Ärzte, Pfleger, Schwestern aber auch Besucher, die mich erkannt haben, wollten mit mir über Politik reden. Und völlig anders."
    Denn statt um Parteipolitik ging es um Alltagsprobleme. Um ganz praktische, handfeste Dinge. Und um Menschen, die seine Partei schon lange nicht mehr erreicht, sagt er ein wenig desillusioniert.
    "Sie wollen nicht nur, dass wir alles nur kritisieren, sondern dass es mit Ihnen persönlich zu tun hat, dass es Alternativen gibt, die müssen natürlich auch wirtschaftlich sein, die müssen wissenschaftlich sein, aber sie müssen tatsächlich auch menschlich sein."
    Vielleicht hat André Brie auch deshalb gestern seine Kandidatur zurückgezogen. Zu viel Gegenwind, zu viele Anfeindungen - der 63-Jährige hat seine Konsequenzen gezogen.