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Anfänge der Arbeitnehmervertretung

Die heutige Rechte für Arbeitnehmer haben die ersten Gewerkschafter seit Mitte des 19. Jahrhunderts hart erkämpft. Ein größeres Gewicht erlangten sie durch die Gründung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), der vor 90 Jahren in Nürnberg gegründet wurde.

Von Hartmut Goege | 05.07.2009
    Am 5. Juli 1919 kamen im Saalbau des Nürnberger Kulturvereins Vertreter von 52 freien deutschen Einzelgewerkschaften zusammen. Ihr Anliegen war die Gründung eines Dachverbands. Mit dieser zentralen Organisation versprachen sie sich mehr Macht und ein größeres Gewicht in Politik und Gesellschaft. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, den sie ins Leben riefen, trat damit die Nachfolge der sogenannten Generalkommission an. Seit 1890 hatte dieses 13- köpfige Gremium für die Gewerkschaften Lobbyarbeit bei Regierung und Arbeitgebern geleistet. Der Vorsitzende Carl Legien, der seit 26 Jahren für die SPD im Reichstag saß, wurde nun zum neuen Gewerkschaftsführer gewählt:

    "In unserer Gesellschaft ist alles eine Frage der nackten Gewalt. Die Macht der Arbeiter liegt in ihrer Organisation. Indem sie ihre Organisation stärken, vergrößern sie ihre Macht."

    Schon als Kommissionsvorsitzender hatte Legien versucht, der Gewerkschaftsbewegung ein politisch neutrales Image zu verschaffen. Er wollte der kaiserlichen Regierung keinen Anlass für Verbote geben. Während die SPD für die politischen Ziele der Arbeiterbewegung kämpfte, sollte sich die Kommission auf die praktische Umsetzung von Arbeitsbedingungen konzentrieren. Als die Sozialdemokraten sich am Ende des Ersten Weltkriegs wegen der Haltung zur deutschen Kriegspolitik spalteten und viele Gewerkschaftsführer die russische Oktoberrevolution als Vorbild für eine radikale politische Umwälzung sahen, warnte Legien:

    "Deutschland ist nicht Russland. Die revolutionären Spiele der USPD und der Spartakisten gefährden die deutsche Arbeiterbewegung, insbesondere unsere Gewerkschaftsorganisation und die Verteidigungskraft des Landes."

    Auch wenn Legien damit für die Kriegspolitik der kaisertreuen Regierung eingetreten war, hatte er am Ende nicht an Gewicht verloren. Führende Industrievertreter sahen ihn und seine Generalkommission als Bollwerk gegen die politischen Unruhen der Zeit. Im November 1918 verpflichteten sich die Arbeitgeber in dem sogenannten "Stinnes-Legien-Abkommen", die Gewerkschaften als Partner anzuerkennen. Außerdem sollten Tarifverträge über Löhne und Arbeitsbedingungen und die verbindliche Einführung des 8-Stunden-Tages eingeführt werden. Ein Erfolg, den Legien auch gesetzlich verankert sehen wollte. Schon auf der ersten Sitzung des ADGB heißt es unter Tagesordnungspunkt 2:

    "Der Bundesvorstand wird beauftragt, zu beraten, ob es nicht möglich ist, eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit aller Arbeiter und Angestellten in einem Reichsgesetz zu erwirken."

    Die Weimarer Verfassung schrieb schließlich die Gleichberechtigung von Unternehmen und Gewerkschaften fest. Bis 1920 waren fast 8 Millionen Arbeiter dem ADGB beigetreten. Doch die politischen Wirren der 1920er Jahre machten schon bald viele seiner Erfolge wieder zunichte. Inflation und zunehmende Arbeitslosigkeit ließ die Mitgliederzahl bis 1924 um die Hälfte sinken. Eindringlich erinnerte Die Arbeit, das Organ des ADGB, seine Leser an das bisher Erreichte:

    "Das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht verpflichtet. Bleibt es ungenutzt, so ist damit der Beweis erbracht, dass zwar die Macht vorhanden war, es durchzusetzen, aber die Kraft versagte, sich seiner zu bedienen. Diese Kräfte zu entfalten, ist die wichtigste Aufgabe der Gewerkschaften, weil die Zukunft nicht nur der Gewerkschafts-, sondern der Arbeiterbewegung überhaupt davon abhängt."

    Doch auch die Gewerkschaften verfingen sich zunehmend in der Selbstzerfleischung der Linken, die langsam aber sicher das Ende der Weimarer Republik einläutete. Noch Anfang 1933 schrieb der Nachfolger Carl Legiens, Theodor Leipart, an den SPD-Vorsitzenden Hermann Müller:

    "Der Anspruch der Sozialdemokratischen Partei auf die 'geistige Führung'der Gewerkschaften kann genausowenig anerkannt werden wie der Führeranspruch der Kommunistischen Internationale, die seit Jahren vergeblich bestrebt ist, den Gewerkschaften ihre Ziele und ihre Taktik aufzuzwingen."

    Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich alles. Obwohl man zusammen mit der SPD noch Ende 1931 gegen die Erstarkung der NSDAP die sogenannte Eiserne Front gegründet hatte, ließ sich die Gewerkschaftszeitung am 22. April 1933 zu der Einschätzung hinreißen:

    "Wir brauchen wahrhaftig nicht umzufallen, um zu erkennen, dass der Sieg des Nationalsozialismus auch unser Sieg ist, insofern die sozialistische Aufgabe heute der ganzen Nation gestellt ist."

    Dieser Kurs der Anbiederung an die NSDAP verhinderte nicht, dass die Freien Gewerkschaften nur zehn Tage später, am 2. Mai 1933, zerschlagen wurden.