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Angriff auf Bürgermeister
War Hass auf Flüchtlinge das Motiv?

Ein Bürgermeister in Schleswig-Holstein wurde von einem Unbekannten niedergeschlagen - unmittelbar vor der Sitzung des Bauauschusses, in der es um die Umgestaltung eines Hauses gehen sollte, das zwischenzeitlich als Flüchtlingsunterkunft im Gespräch war. Die Polizei ermittle in alle Richtungen, so der Innenminister.

Von Johannes Kulms | 30.09.2016
    Der Schaukasten am Gemeindehaus von Oersdorf mit dem Aushang "Refugees welcome", aufgenommen am 30.09.2016) in Oersdorf (Kreis Segeberg) in Schleswig-Holstein. Möglicherweise aus Fremdenfeindlichkeit ist der Bürgermeister der kleinen norddeutschen Gemeinde am Donnerstag (29.09.2016) niedergeschlagen worden.
    Möglicherweise aus Fremdenfeindlichkeit ist der Bürgermeister der kleinen norddeutschen Gemeinde Oersdorf, Joachim Kebschull, niedergeschlagen worden. (picture alliance/dpa - Oersdorfer Wählervereinigung)
    In dem kleinen Glaskasten vor dem Gemeindehaus von Oersdorf hängt ein Plakat. "Refugees welcome" steht darauf geschrieben. Hier, nur wenige Schritte entfernt, wurde am Donnerstagabend Joachim Kebschull, der Bürgermeister des 1.000-Seelen-Ortes, von einer unbekannten Person niedergeschlagen. Den 61-jährigen Kommunalpolitiker hatten in der Vergangenheit mehrfach Bombendrohungen und rassistische Parolen erreicht.
    Ermittlungen gehen "in alle Richtungen"
    Hass auf Flüchtlinge und deren Unterstützer ein Motiv? Schleswig-Holsteins Innenminister Studt warnt vor schnellen Schlüssen und stellt klar: Die Ermittlungen gingen in alle Richtungen.
    "Es drängt sich im Moment durch den Ablauf der vergangenen Wochen auf, in diese Richtung dann natürlich auch zu ermitteln, und vielleicht auch im ersten Blick zu ermitteln. Aber es ist nicht so von meiner Seite aus soweit, dass wir sagen könnten, es wäre dann auch zu bestätigen – ganz im Gegenteil."
    Es gehe Kebschull den Umständen entsprechend gut, so Innenminister Studt – der parteilose Politiker habe signalisiert, dass er in den nächsten Tagen das Krankenhaus verlassen werde. Noch am Donnerstagabend war Kebschull im Krankenhaus von Beamten der Kriminalpolizei vernommen worden.
    Ein Portrait des Bürgermeisters von Oersdorf, einer Gemeinde in Schleswig-Holstein, Joachim Kebschull.
    Der Bürgermeister von Oersdorf, Joachim Kebschull. (dpa/ OeWV)
    Sitzung war wegen Drohungen zwei Mal abgesagt worden
    Am Donnerstagabend stand im Gemeindehaus von Oersdorf die Sitzung des Bauausschusses an – die wegen Drohungen zuvor bereits zwei Mal abgesagt worden war. Wegen der Drohungen waren Beamte vor Ort.
    Kurz nach 19 Uhr sei der Bürgermeister noch einmal zu seinem Auto gegangen, um einen Laptop zu holen. Als er sich in seinen Wagen beugte, wurde er von einem unbekannten Täter angesprochen und kurz darauf mit einem Schlag gegen den Kopf verletzt, so die Polizei – vermutlich mit einem Kantholz oder einem Knüppel. Kebschull verlor dabei kurz das Bewusstsein.
    Bürgermeister war am Auto unbewacht
    Es sei nicht vorhersehbar gewesen, dass der Bürgermeister noch mal das Gemeindehaus verlassen musste, um zu seinem Auto zu gehen, so Innenminister Studt:
    "Dass man vielleicht hinterher hätte sagen können, es wäre vielleicht ganz gut gewesen, wenn ein Polizeiposten hätte doch woanders stehen können und zum Beispiel auch den Parkplatz am Feuerwehrgerätehaus im Blick zu haben, ja, hinterher ist man wie oft immer schlauer."
    Bei der Sitzung im Bauausschuss sollte es unter anderem um die Umgestaltung eines Hauses der Gemeinde gehen. Zu Hochzeiten der Flüchtlingssituation war dieses Haus ins Spiel gebracht worden, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Doch von dieser Idee sei man inzwischen abgerückt, wurde am Freitag mehrfach betont - wegen der sinkenden Flüchtlingszahlen.
    Keine Flüchtlinge in Oersdorf
    Bis heute gibt es nach Angaben des früheren Bürgermeister Wilfried Mündlein keine Flüchtlinge in Oersdorf. Mündlein war bis 2013 fast 20 Jahre lang Bürgermeister des Dorfes gewesen. Am Freitagmorgen hat auch er eine Droh-Mail erhalten – und liest vor:
    "Wer jetzt noch immer nicht hören will, wird bestimmt wieder fühlen. Aus Knüppel wird Hammer, aus Hammer wird Axt. Demokratie gleich Herrschaft des Volkes. Flüchtlingen aus sicheren Drittstaaten, das sind alles illegale Einwanderer. Wer Illegale unterstützen will, macht sich strafbar. Das Urteil wurde gesprochen – auf Bewährung. Unterschrift: Knüppel, Hammer, Axt, Au."
    Nach dem Angriff auf den amtierende Bürgermeister Kebschull ermittelt nun der Staatsschutz. Innenminister Studt betont derweil:
    "Das darf in einer Zeit, auch in dieser Zeit, nicht passieren. Demokratie muss wehrhaft sein!"