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Angst vor Repressalien in der Türkei
Kölner Gülen-Schule beklagt Abmeldewelle

In den letzten Tagen häufen sich die Abmeldungen an einem Kölner Gymnasium, das der Gülen-Bewegung nahesteht. Doch nicht alle Eltern suchen ihren Kindern freiwillig eine neue Schule. Sie reagieren auf Drohungen aus der Türkei und den sozialen Netzwerken.

Von Manfred Götzke | 30.08.2016
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    "Wir unterrichten nach den Kernlehrplänen von NRW", betont der Geschäftsführer des Gymnasiums Dialog in Köln Buchheim. (Waltraud Grubitzsch/lsn (c)
    "Um welche Klasse soll es gehen – einmal die 9. aufs Gymnasium, dafür müssen sie noch die Nachweise vorbei bringen."
    Vor dem Sekretariat des Gymnasiums Dialog hat sich eine kleine Schlange gebildet. Ganz vorne steht ein Vater mit seinem Sohn, den er noch schnell anmelden will. Es ist eigentlich viel zu spät. Doch die Schule freut sich über jeden, der überhaupt noch kommen will.
    "Die Zeugnisse, haben Sie die Zeugnisse dabei?"
    Die anderen Väter in der Schlange sind ohne ihre Kinder hier, sie wollen ihre Söhne und Töchter hier abmelden. Darüber reden wollen sich nicht, zu heikel, sagen sie. Auch die Lehrer geben erst mal keine Interviews, es soll erst mal wieder so etwas wie Alltag einkehren, sagt Osman Esen, der Geschäftsführer des Gymnasiums Dialog.
    "Wir haben ein Schreiben an die Eltern verfasst, dass bei uns an der Schule Politik in dem Sinne nicht erlaubt ist, dass wir weder religiöse noch politische Diskussionen zulassen, Anfeindungen, Denunzierungen, Respektlosigkeit, das dulden wir hier natürlich nicht."
    Der 37-jährige Jurist führt über den elegant gepflasterten Schulhof in Köln Buchheim, an diesem heißen Spätnachmittag ist das Gelände verwaist, nur der Hausmeister dreht seine Kontrollrunde. Esen öffnet das Schulcafé, bietet Cola und Schokoriegel an und beginnt zu erzählen, von den letzten sechs Wochen, die für ihn diesmal so gar keine Ferien waren.
    40 Schüler in den vergangenen Tagen abgemeldet
    "Ich wurde in den sozialen Netzwerken bedroht: So, trau dich nicht auf die Straße, wir machen dich platt. OK, im ersten Augenblick hatte ich wirklich Angst. Ich denke schon, dass ich auf einer schwarzen Liste stehe. Ich werde in nächster Zeit nicht mehr in die Türkei reisen."
    40 Schüler wurden von ihren Eltern in den vergangenen Tagen abgemeldet. Geschäftsführer Esen bedauert das natürlich, doch er kann die Eltern verstehen. Einigen hat er sogar selbst dazu geraten, ihren Kindern eine neue Schule zu suchen.
    "Bei einigen Geschäftsleuten - zwei Leute waren heute bei mir, die waren den Tränen nahe, die sagen, wir sind super glücklich, aber mein Lebensunterhalt ist bedroht, in der Türkei finden derzeit so häufig Enteignungen statt. Wenn das Konsulat dem schon droht, wenn du dein Kind weiterhin hin schickst, dann c’est la vie, mein Lieber, dein Hab und Gut in der Türkei ist dann weg, dem sagst du dann: Komm, meld dein Kind ab!"
    Esen ist Anhänger des Predigers Fettulah Gülen, den die türkische Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht. Auch der Trägerverein der staatlich anerkannten Privatschule, die zu 87 Prozent staatlich finanziert ist, steht der Gülen Bewegung nahe. Er betreibt in Deutschland 30 Schulen und rund 300 Nachhilfeeinrichtungen. Die Schule selbst sei aber ideologiefrei, sagt Esen, eine ganz normale Privatschule.
    SPD-Politikerin kritisiert Herausbildung einer muslimischen Elite
    "Der Einfluss von Herrn Gülen besteht an unserer Schule überhaupt nicht, wir unterrichten nach den Kernlehrplänen von NRW, meine Lehrkräfte sind hier alle ausgebildet, sie sind auch zu 70 Prozent Deutsche mit deutschem Ursprung."
    Ganz normal ist die Schule aber allein wegen der Schülerschaft nicht: 90 Prozent der jetzt noch rund 530 Schüler sind türkischer Abstammung. Die Kölner SPD-Politikerin Lale Akgün spricht von einer "ethnischen Privatschule", die die Herausbildung einer muslimischen Elite fördere.
    "70 Prozent der neugeborenen Kinder in Mülheim haben einen Migrationsursprung. Wir möchten das Abbild der Gesellschaft sein und das wäre hier eben die 70 zu 30 Prozent. Jetzt haben auch unsere Nachbarn, die einen anderen Migrationsursprung haben oder einen deutsch-deutschen, gesehen, die leisten ja gute Arbeit, die haben zweimal hintereinander das Abitur mit einer 100 Prozent Quote geschafft."
    Esen streicht sein grau meliertes Sakko glatt und steht auf. Er führt noch kurz durch den neuen Schulbau, den sie im letzten Halbjahr teilweise eröffnet haben. Geplant von preisgekrönten Schularchitekten, erzählt er stolz. Ein helles Gebäude mit viel Glas und weißem Beton. Noch immer umgeben Bauzäune das Schulgelände.
    "Die sollten jetzt eigentlich wegkommen, es sollte eigentlich eine offene Schule sein, jetzt, durch die politische Situation und Vandalismusgefahr haben wir gesagt, das Ganze als offene Schule ist vielleicht doch nicht so gut."