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Angst vor Terrorismus
Das Prinzip Zivilcourage

Nach den Gewalttaten in Ansbach, München und Würzburg steigt die Angst vor Terrorismus. Wie soll man ihr begegnen? Der Konfliktforscher Andreas Zick forderte die Anwendung des "Prinzips Zivilcourage". Dazu gehöre, sich in Gefahrensituationen Schutz zu suchen statt "minutenlang mit dem Handy draufzuhalten" - und auch mehr Aufmerksamkeit für die Mitmenschen, sagte er im DLF.

Andreas Zick im Gespräch mit Dina Netz | 25.07.2016
    Einen Tag nach dem Amoklauf von München liegen Blumen und Kerzen vor dem Olympia Einkaufszentrum, es ist Abend.
    Einen Tag nach dem Amoklauf von München liegen Blumen und Kerzen vor dem Olympia Einkaufszentrum. (picture-alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Dina Netz: Deutschland war bis vor gar nicht so langer Zeit das Land ohne Anschläge. Die passierten in den Krisenregionen der Welt oder, wenn sie in Europa passierten, zumindest in Ländern, die die Probleme mit ihren Einwanderern nicht in den Griff bekamen, also in Frankreich oder so. Jetzt aber Würzburg, München, Reutlingen, Ansbach. Die Hintergründe dieser Gewalttaten sind unterschiedlich, aber eines haben sie ganz sicher gemeinsam: Die schiere Zahl der Anschläge im öffentlichen Raum in kurzer Zeit führt zu einer großen Verunsicherung. Viele haben ein mulmiges Gefühl, wenn sie in öffentliche Verkehrsmittel steigen oder zu Veranstaltungen gehen.
    - Frage an Andreas Zick, Konfliktforscher an der Uni Bielefeld: Ist das gesellschaftliche Klima in Deutschland nach diesen vielen Attentaten in kurzer Zeit gerade dabei, sich zu verändern? Werden wir ein ängstliches Land?
    Andreas Zick: Ja, natürlich! Und es macht auch Sinn, dass wir diese Ängste haben, weil Ängste die psychologische Funktion haben, dass wir uns auf eine Gefahrensituation einstellen. Die Frage ist, ob wir ein neurotisches Land werden. Interessanterweise haben wir ja auch extrem viele Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. An vielen Orten haben die Menschen ja schon gemerkt, es brennt. Daran haben wir uns in irgendeiner Weise gewöhnt. Jetzt kommt aber der Terror, der scheinbar nur außen war, zu uns. Aber wichtig ist es jetzt, dass wir diese Ängste so einfangen, dass die Menschen mit diesen Ängsten auch umgehen können.
    "Die vielen Informationen steigern eher die Angst"
    Netz: Dazu können wir gleich gerne noch kommen. Aber eins würde ich Sie vorab noch fragen wollen: Diese Ängste sind doch eigentlich irrational, denn die Wahrscheinlichkeit, bei einem Anschlag zu Tode zu kommen, ist ja viel geringer als bei einem Autounfall. Selbst wenn die Zahl der Anschläge zunimmt, ist es doch sehr unwahrscheinlich, davon betroffen zu werden. Woher rührt denn diese Angst?
    Zick: Ja, die ist zunächst irrational. Was wir aber doch deutlich wissen, ist: Zum Teil ist sie insofern nicht irrational, als wir nun mitbekommen, dass globale Gefährdungslagen, Kriege, der militärische Einsatz in Syrien, im Irak natürlich definitiv die Terrorgefahr erhöht. Das was wir vor Jahren gesehen haben, angekündigt haben, dass Terrorgruppen im Ausland auch dazu aufrufen, hier Terror zu machen, ist etwas, was nun tatsächlich Wirklichkeit wird. Das ist etwas anders bei Amok, obwohl auch dort ja eigentlich die Angst immer auch einen sehr realen Aspekt hat, weil wir ja doch auch Amoktaten hier hatten, weil Menschen nicht berechenbar sind, die in solchen Krisensituationen Amoktaten planen und sie dann begehen. Wichtig ist der irreale Teil, dass wir mal gucken, auf was können wir da eigentlich verzichten. Das sind die vielen Informationen, die wir nun filtern, und die Angst eher steigern, als uns in irgendeiner Weise handlungsfähig zu machen. Das sah man am Münchener Fall, wie extrem schnell Informationen praktisch im Netz aufgesaugt wurden, dass es sich hier auf jeden Fall um einen Terroranschlag handelt, dass die Terrorgruppen in München sogar einen Schritt weiter auf den Stachus gekommen sind. Das sind solche Informationen, die können aus der Angst entstehen, wenn die Angst gepaart wird mit einem Filter, nun setzt hier ein Untergangsszenario ein.
    Netz: Wie wollen Sie denn diesem Untergangsszenario begegnen? Sobald das Internet existiert, werden sich dort natürlich auch alle möglichen Verschwörungstheorien Bahn brechen, die Ausdruck solcher Ängste sind.
    Zick: Prinzip der Zivilcourage anwenden
    Zick: Genau. Eigentlich brauchen wir so eine Kultur, dass wir sagen: Na ja, Aggression und Gewalt rückt näher, tatsächlich, eigentlich könnten wir alle jetzt das Prinzip der Zivilcourage anwenden. Zivilcourage hat fünf Stufen. Das erste ist Aufmerksamkeit. Wir müssen lernen, aufmerksamer zu werden, aufmerksamer auf Menschen, die sich vielleicht radikalisieren, Menschen, die sich in Todesfantasien hineinsteigern, aber auch Aufmerksamkeit, wenn der Gefahrenfall einsetzt, wo sind hier die Behörden, wie habe ich mich zu verhalten. Das hat ja in München ganz gut geklappt durch Informationen. Die zweite Stufe, die wir gehen müssen, ist: richtig interpretieren. Was passiert hier eigentlich gerade? Was passiert hier in diesem Raum? Wer verhält sich wie? Die dritte Stufe ist die Verantwortung. Wenn wir nun viele krisengefährdete Menschen haben, radikalisierte Menschen und so weiter, dann müssen wir auch die Verantwortung übernehmen, dort Prävention und Intervention zu stärken.
    Das vierte ist, eine Strategie wählen. Was ist eigentlich die richtige Strategie im Umgang mit solchen Gefahren? Und fünftens ist das Verhalten immer einzutrainieren. Das heißt zum Beispiel: Wenn wir eine Gefahrensituation haben, dass wir dann sehen, in diesem Raum Schutz aufsuchen und nicht dann minutenlang ein Handy draufhalten, um dann im Internet vielleicht was Interessantes posten zu können. Das sind die fünf Stufen der Zivilcourage. Aus denen könnten wir etwas lernen.
    "Vieles wird gepostet, weil man sich inkompetent verhält"
    Netz: Das wollte ich gerade fragen, Herr Zick. Angst gilt ja evolutionär als etwas Positives, weil sie uns das Überleben gesichert hat. Wer keine Angst vor dem Bären hat, wird von ihm gefressen. Man soll Angst haben. Könnte diese Angst, die im Moment viele spüren, auch was Positives haben, dass unsere Gesellschaft irgendwie aufmerksamer gegenüber den anderen wird?
    Zick: Ja, das hoffen wir. Das können wir nicht erzwingen. Wir sehen zum Beispiel, dass Verdächtigung und Vorverurteilung auch Sicherheitsbehörden aus der Ruhe treiben können. Wir können daraus lernen, dass wir sensibler sein müssen für viele Menschen, die in Krisenlagen Gewaltfantasien entwickeln. Wir sehen ja bei all diesen Fällen, und da ist es egal, ob es Terror oder Amok ist: Täter in der Regel lassen irgendetwas vorher durchsickern. Und sie haben eine Phase, in der sie sich damit beschäftigen. Und schließlich müssen wir darüber nachdenken, dass wir auch in diesen Bereichen von Gewalt Medienkompetenz brauchen, denn so wie es abgelaufen ist in München, was dort alles gepostet wurde und so weiter, da merkt man: Vieles wird gepostet, weil man sich einfach schlichtweg inkompetent verhält.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.