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Angst vor verstrahltem Tee und Gemüse

Auch ein halbes Jahr nach dem Reaktorunglück in Fukushima sind die Probleme enorm. Die Lage im und rund um das Atomkraftwerk ist längst noch nicht unter Kontrolle. Während Spezialeinheiten die hohe Strahlung bekämpfen, fürchtet sich die Bevölkerung vor verstrahltem Tee, Obst und Gemüse.

Von Dagmar Röhrlich | 09.09.2011
    Die Liste der Probleme, denen sich die Rettungsmannschaften in Fukushima auch ein halbes Jahr nach der Katastrophe gegenübersehen, ist lang. Ganz oben steht die Dekontaminierung von 120.000 Tonnen hochradioaktiven Wassers, das sich durch Monate der Notkühlung angesammelt hat.

    "Pro Tag können wir 1200 Tonnen dieses hochbelasteten Wassers dekontaminieren, um es als Kühlwasser in unseren behelfsmäßigen Kühlkreislauf einzusetzen. Dazu müssen wir das Öl abtrennen, das Meersalz und das Cäsium mit Hilfe des Minerals Zeolith herausholen."

    Yoshimi Hitosugi ist Pressesprecher beim Fukushima-Betreiber Tepco. Es hat Wochen gedauert, die komplizierten Anlagen halbwegs ans Laufen zu bringen, immer wieder waren Arbeiter mit kontaminiertem Abwasser in Berührung gekommen. Die Schwierigkeiten mit der Abwasserbehandlung verzögern die Rettungsarbeiten: Dem neuen Zeitplan zufolge wird Fukushima Daiichi erst 2012 stabilisiert sein. Immerhin läuft einiges nach Plan. So sind die Schlammwälle fertig, die Teil des Systems zum Meeresschutz sind.

    "Um die Kontamination des Meerwassers zu verhindern, umgeben wir auch die Wasserrohre zum Meer hin mit einer Art Käfig aus Stahlplatten."

    Neben dem Abwasser ist die hohe Strahlung in den zerstörten Atomreaktoren und im Abklingbecken von Block vier unverändert das Problem. Ähnlich wie in Tschernobyl sollen alle vier Blöcke mit einer Schutzhülle ummantelt werden. Darunter will Tepco sie abreißen lassen. Doch bislang laufen gerade einmal an Block 1 die Vorbereitungen zum Bau einer ersten Schutzhülle an, erläutert Morikuni Makino von der Atomaufsichtsbehörde NISA.

    "Es gibt zwei Arten von Abdeckung. Die erste besteht aus einer verstärkten Kunststofffolie. Darunter wird ein Kompressor installiert werden, mit dessen Hilfe wir die Luft aus dem Blockinneren dekontaminieren. Als Nächstes folgt eine Art Container, der um den Block herum errichtet wird. Darin soll Unterdruck herrschen, und wir wollen die Abgabe kontaminierter Luft aus dem Inneren in die Umwelt kontrollieren."

    Fertig werden die Schutzhüllen wohl erst in einigen Monaten – wenn alles nach Plan läuft. In ihrem Alltag interessiert die meisten Japaner eher, wie hoch die Lebensmittel belastet sind. Als problematisch hat sich das Nationalgetränk Tee erwiesen:

    "In den Teeblättern der neuen Ernte Mitte Mai sind erhöhte Gehalte an Radiocäsium gefunden worden, obwohl die Teefelder weit von Fukushima Daiichi entfernt liegen. Tee ist ein immergrünes Gewächs, und die Kontamination rührt daher, dass die Wolke mit den radioaktiven Substanzen im März über einige Anbaugebiete getrieben wurde und das radioaktive Cäsium sich auf den vorjährigen Teeblättern ablagerte. Dieses Cäsium wurde dann über den Stofftransport innerhalb der Pflanze von den alten Blättern auf die neuen übertragen. "

    Ähnlich das Problem bei vielen Obstsorten. Pfirsiche, Aprikosen oder Pflaumen haben die Radioaktivität im Frühling über die Blüten aufgenommen. Jetzt, zur Ernte, hat sich die Strahlung durch das Wachstum der Früchte verdünnt. Zwar dürfte das Obst gegessen werden, aber der Absatz ist eingebrochen.

    Wegen der Absatzprobleme bei Obst und Gemüse geht es in der Präfektur Fukushima jetzt vor allem darum, dass im kommenden Jahr die Lebensmittelproduktion wieder in halbwegs normalen Bahnen laufen kann. Derzeit werden Techniken zur Reinigung landwirtschaftlicher Flächen erprobt. Die obersten drei oder vier Zentimeter Boden werden abgetragen - das reicht, da das Radiocäsium noch nicht tiefer eingedrungen ist. Bleibt das Abfallproblem zu lösen, denn noch gibt es keine Deponie dafür. Und nicht alles lässt sich dekontaminieren. Die Wälder beispielsweise werden weiterstrahlen.