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Anhörung der neuen EU-Kommission
"Größte Vorbehalte gegen Moscovici"

Die künftigen EU-Kommissare müssen sich ab heute dem EU-Parlament stellen. Es gebe unterschiedliche Kritik an den Kandidaten, sagte der Chef der CDU/CSU-Gruppe, Herbert Reul, im DLF. Besonders kritisch sieht er den Franzosen Moscovici, der nun Währungskommissar werden soll.

Herbert Reul im Gespräch mit Christiane Kaess | 29.09.2014
    Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, kommt am 26.05.2014 in Berlin zur Sitzung des CDU Präsidiums am Konrad-Adenauer Haus an.
    Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament (dpa / Michael Kappeler)
    "Natürlich haben wir als CDU/CSU größte Vorbehalte gegen einen französischen Kandidaten, der in seinem früheren Leben für Finanzfragen zuständig war, dafür, die Schulden eines Landes in den Griff zu bekommen und der das nicht geschafft hat. Und jetzt soll er andere Staaten beaufsichtigen, ob sie Stabilitätspolitik machen." Deswegen müsse Moscovici erkennen lassen, dass er sich als europäischer Politiker verstehe und hinter der Linie der EU-Kommission stehe.
    Auch bei anderen Kommissaren gebe es viele Fragen der Parlamentarier, was die politische Vergangenheit und die Pläne angehe. Reul betonte, in diesem Jahr sei die Befragung schwieriger, weil die Kandidaten sehr breite Zuständigkeiten hätten und sich deshalb oft mehreren Ausschüssen stellen müssten. Das EU-Parlament muss den von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ernannten Kandidaten zustimmen, damit diese wie geplant am 1. November ihr Amt antreten können.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Kaum waren die Europawahlen gelaufen und die Ergebnisse verkündet, da begann das Ringen um die Besetzung des mächtigen Amtes des EU-Kommissionspräsidenten. Das Selbstbewusstsein der Europaabgeordneten in Brüssel hat es gestärkt, dass das Parlament zum ersten Mal seinen eigenen Kandidaten zum Präsidenten gewählt hat und nicht wie zuvor einseitig die Staats- und Regierungschefs den Posten besetzten. Ab heute müssen die Abgeordneten noch weitere wichtige Entscheidungen treffen. Es beginnen die sogenannten Hearings, also die Anhörungen der designierten EU-Kommissare. Drei Stunden müssen die sich zunächst den Fachausschüssen stellen. Schon im Vorfeld sind einige von ihnen umstritten.
    Am Telefon ist jetzt Herbert Reul, Europaabgeordneter der christdemokratischen EVP-Fraktion und Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. Guten Morgen!
    Herbert Reul: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Reul, welche Fragen müssen heute gestellt werden?
    Reul: Na ja, da werden Fragen zu den jeweiligen Einzelthemen gestellt, zu den Inhalten. Da werden möglicherweise auch Fragen zur politischen Vergangenheit eines Kandidaten gestellt. Es werden Fragen gestellt zu den Perspektiven, den politischen Perspektiven. Also das wird sehr unterschiedlich sein und es wird auch diesmal nicht ganz einfach, weil die Kommissare breite Zuständigkeiten haben, neue Zuständigkeiten haben, so dass immer viele Ausschüsse beteiligt sind.
    Große Vorbehalte gegen den französischen Kandidaten
    Kaess: Der Chef der EVP-Fraktion, Manfred Weber, der hat ja schon gesagt, es gebe für keinen einen Freibrief. Das Parlament werde von seinem Recht der Anhörung seriös Gebrauch machen. Ist das schon klar, dass nicht alle Kandidaten akzeptiert werden?
    Reul: Nein. Es gibt unterschiedliche Kritiken. Natürlich haben wir als CDU/CSU größte Vorbehalte gegen einen französischen Kandidaten, der in seinem früheren Leben für Finanzfragen zuständig war, dafür, die Schulden eines Landes in den Griff zu bekommen, und der das nicht geschafft hat im Beispiel Frankreich, und jetzt soll er andere Staaten beaufsichtigen, ob sie Stabilitätspolitik machen.
    Kaess: Heißt ganz klar, Pierre Moscovici sollte nicht EU-Kommissar werden?
    Reul: Nein. Das heißt, dass wir viele Fragen haben an der Stelle, viele kritischen Fragen haben.
    Kaess: Welche denn?
    Reul: Ja, was er politisch will. Mich interessiert zum einen natürlich, oder uns interessiert zum einen, wie die vergangene eigene Politik war. Es interessiert aber viel mehr die Frage, versteht er sich als Anwalt der französischen Politik und versucht, Stabilitätspolitik infrage zu stellen, oder versteht er sich als europäischer Politiker, der die Aufgabe hat, die Regeln, die wir hier alle gemeinsam uns gesetzt haben, zum Beispiel sparsame Haushaltsführung, durchzusetzen.
    Kaess: Was müsste er ganz konkret sagen, um Sie zu überzeugen?
    Reul: Nun ja, das kann ich jetzt nicht im Wort festlegen. Aber er muss erkennen lassen, dass er in dieser Frage die beschlossene politische Linie der Europäischen Union, also aller Staaten und des Parlaments und der Kommission einer sparsamen Haushaltsführung nicht in Frage stellt. Das muss man schon merken können.
    "Es wird sehr unterschiedliche Einschätzungen geben"
    Kaess: Es gibt ja mehrere Kandidaten, die genau in dieser Hinsicht umstritten sind. Ist das vielleicht eine Taktik von Jean-Claude Juncker, zu sagen, um beim Beispiel Frankreichs zu bleiben, Frankreich lässt sich vielleicht mehr sagen von einem eigenen Landsmann?
    Reul: Ja, das habe ich auch gehört, das sei eine ganz besondere Theorie bei diesem Modell. Man würde auch den Briten nehmen, damit der für Finanzmarkt zuständig ist, obwohl wir genau wissen, dass das die problematischste Stelle im Verhältnis ist. Oder wir nehmen einen rumänischen Kandidaten, der dann für Regionalpolitik, also den großen Ausgabenbrocken, zuständig ist, obwohl er relativ viel selber davon mit seinem Land profitiert. Ich halte die Logik noch nicht für bestechend. Ich glaube, das ist auch nicht der wirkliche Grund, sondern man wird gucken müssen, ob jeder Kommissaranwärter, Frau und Mann, die Aufgabe, die da gestellt ist, auch wahrnehmen kann. Es ist nicht ganz einfach in einer kurzen Befragung. Die Leute haben ja auch alle eine Vorgeschichte. Und dann wird es sehr unterschiedliche Einschätzungen geben und auch politische.
    Das ist auch relativ neu. So stark hat es das, glaube ich, nie gegeben. Es sind ein paar, schauen Sie sich den ungarischen Kandidaten an. Der ist einfach deshalb im Gerede, weil er ein Ungar ist, nicht weil er an der Stelle vielleicht falsch ist. Die Ungarn haben eigentlich ein ganz minimales Dossier bekommen. Die sind eigentlich schon bestraft durch das Dossier.
    Kaess: Da möchte ich gerne noch ein bisschen mehr in die Tiefe gehen und noch mal den Chef der EVP-Fraktion, Manfred Weber, zitieren, der gesagt hat, die Kommissare müssten in der Lage sein, europäische Werte und Interessen zu vertreten, und der Ungar Tibor Navracsics, den Sie gerade ansprechen, der auch von der EVP-Fraktion ist, muss man dazu sagen, der ist eigentlich bekannt dafür, Bürgerrechte zu beschneiden und die Pressefreiheit in Ungarn. Das soll kompatibel sein mit europäischen Werten?
    Reul: Nein. Wenn das der Fall wäre, dann gibt es ein Problem. Aber da gibt es unterschiedliche Bewertungen zu. Das ist ja das Problem bei Ungarn. Bei Ungarn fällt es vielen, finde ich, extrem schwer nachzuvollziehen, wer was warum wieso in der Politik so gemacht hat. Da sind Zweifel unterwegs, genauso wie bei der slowenischen Kandidatin Zweifel unterwegs sind, ob sie im Verfahren sich richtig nach unseren demokratischen Gepflogenheiten Kandidatin geworden ist. Alle erzählen und berichten, die hat sich selber vorgeschlagen. Das klingt so nach dem Motto, sie hat nur einer vorgeschlagen. Wenn man sich die Lage genau anguckt, haben die drei Kandidaten vorgeschlagen damals, als sie noch an der Regierung war, nämlich aus jeder Partei, die in der Regierung war, einen, weil sie sich nicht einigen konnten, und dann hat Jean-Claude Juncker sie ausgewählt von dem Dreiervorschlag. Hat sie sich jetzt selber vorgeschlagen, oder hat Juncker die ausgesucht?
    Es ist manchmal ganz schwer zu beurteilen, weil man ja die Vorgeschichte auch immer nur über Berichterstattung bekommt. Insofern war die Zeit jetzt, wo viele von diesen Damen und Herren sich schon bei Kolleginnen und Kollegen vorgestellt haben, und auch die Anhörung selber natürlich eine wichtige Chance, das in der Realität abzuprüfen.
    "Weg von diesem Klein-Klein der Einzelzuständigkeiten"
    Kaess: Und ist das eventuell etwas leichter nachzuvollziehen bei dem Spanier Miguel Arias Canete, auch von der EVP-Fraktion, von dem gesagt wird, er ist ein Erdöl-Lobbyist und er hat sich abfällig über Frauen geäußert? Da gibt es ja auch Tatsachen und Zitate dazu. Wie soll der denn überhaupt noch überzeugen?
    Reul: Ich glaube, dass das mit dem Zitat relativ einfach zu lösen ist, wenn er klug ist und wenn er da eine klare Aussage zu macht und sich distanziert. Gut, das hängt von ihm selber ab. Weiß ich nicht, ich bin kein Prophet. Und die Frage des beruflichen Hintergrundes, das ist eine Frage. Ist das getrennt, hat er sich von diesen Aktien getrennt, oder hat er sie noch? Das ist die eine Frage. Die andere Frage ist: Ist das ein Maßstab für die politische Bewertung? Ich glaube im Übrigen, dass bei Canete weniger das die Frage sein wird, sondern die wahre Frage ist, dass ein Teil des Parlamentes, ein politischer Teil des Parlamentes nicht einverstanden damit ist, dass Energie- und Klimapolitik zusammengefasst werden, weil denen das inhaltlich nicht passt. Die wollten einen eigenen Klimakommissar. Aber da kann der Mann jetzt nicht für, sondern ich finde es übrigens auch eine kluge Lösung, das zusammenzufassen, weil wir wollten ja mit dieser Kommission - das hat Juncker ja angefangen - eigentlich weg von diesem Klein-Klein der Einzelzuständigkeiten und mehr Zusammenhänge herstellen. Klima- und Energiepolitik hängt halt zusammen. Es ist wahrscheinlich klug, dass das einer in einer Hand hat, ist allerdings auch eine Riesenanforderung.
    Kaess: Das ist aber auch genau der Plan, den Juncker verfolgt. Aber wo werden denn die Bürger das weniger an Bürokratie merken?
    Reul: Gute Frage. Das kann ich nicht beantworten. Da bin ich im Moment auch noch im Zustand des Hoffens. Zumindest ist die Ausgangslage einer Kommission, die nicht mehr 27, sagen wir, Einzeldossier-Kommissare hat, sondern die eine neue Struktur hat, die stärker auf Koordinierung und auf Querschnitt legt ... Die Chance ist dafür da, dass es das Weniger gibt. Allerdings würde ich mir das dann auch im Detail wünschen. Ich hoffe, dass dann auch ein Kommissar, der zuständig ist wie der Niederländer für Entbürokratisierung, nicht nachher nur sagt, wir haben drei Regeln zu viel, sondern bevor man die eine oder andere Regulierung inkraft setzt sagt, lasst es.
    Kaess: Herr Reul, wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit, aber ich möchte zum Schluss noch auf die deutsche Personalie Günther Oettinger schauen, der bisher zuständig für Energie war und jetzt nur noch zuständig für Digitales. Ist das ein Affront gegen die Bundeskanzlerin und wird Deutschland hier runterplatziert in der Kommission?
    Reul: Wer so etwas überall erzählt, ist Unsinn.
    Kaess: Warum?
    Reul: Erstens: Es kann keiner das alte Dossier behalten. Das ist Brüsseler Tradition und war die Voraussetzung. Also Energie ging nicht. Zweitens: Vizekommissar hat er nicht gewollt und, finde ich, auch aus gutem Grund. Er war der Auffassung, er möchte lieber ein einzelnes Dossier haben. Dann ging es um die Frage, ein wirtschaftsnahes Dossier zu bekommen. Wenn digitale Zukunft die zentrale Frage im Wirtschaftskonzept von Juncker ist und möglicherweise auch in der Frage, ob Europa und wie Europa sich in die nächste Stufe von Industrie und Handel und Wandel weiterentwickelt, dann hat er ein zentrales Argument.
    Kaess: ..., sagt Herbert Reul, Europaabgeordneter der christdemokratischen EVP-Fraktion und Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. Danke für das Interview heute Morgen.
    Reul: Danke auch - guten Morgen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.