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Anhörung im Bundestag
Gewalt gegen Journalisten eskaliert

Ein Schlag ins Gesicht einer Reporterin, Flaschenwürfe auf Journalisten: Beim Widerstand gegen die vermeintliche "Lügenpresse" bleibt es längst nicht mehr nur bei verbalen Attacken. Bundestags-Abgeordnete haben sich in dieser Woche aus erster Hand über die Arbeitsbedingungen von Journalisten informiert.

Von Daniel Bouhs | 16.01.2016
    Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) demonstrieren in Rostock gegen die deutsche Asylpolitik, auf einem Schild steht "Lügenpresse".
    Für Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) gibt es in Deutschland eine "Lügenpresse". (dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck)
    Warum bedrängen, bewerfen, bespucken und – ja – schlagen Demonstranten Journalisten? Auf diese Frage hat ZDF-Korrespondentin Britta Hilpert bis heute keine Antwort.
    "In was einem Land leben wir, wo eine Demonstration, eine öffentliche Darstellung von Meinungen eine Situation der Gefahr für Journalisten ist? Ich meine, wozu geht man auf die Straße und demonstriert, wenn man nicht will, dass diese Meinung auch publik wird? Das ist doch total widersinnig!"
    Hilpert ist selbst Opfer: Sie besuchte eine Demonstration der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland. Sie stellte – aufrichtig – Fragen, bekam aber kaum Antworten. Stattdessen: eine Rangelei. Die Polizei schritt ein, vor laufender Kamera.
    Pressefreiheit ist bedroht
    Hetze und Gewalt gegen Journalisten statt friedlicher Demonstrationen – das ist inzwischen Alltag auf Kundgebungen von AfD, Pegida und Co. Dem Bundestags-Kulturausschuss berichtete Hilpert dann auch zusammen mit Kollegen: Die Pressefreiheit ist bedroht – nicht in Russland, nicht in der Türkei, sondern in Deutschland. Hilpert, auch Vorstand bei "Reporter ohne Grenzen", ist besorgt:
    "Ich sehe auch, dass es inzwischen Journalisten gibt, die aus Angst es ablehnen über Pegida und Co. zu berichten. Das sind Zustände, die wir in Deutschland nicht dulden dürfen und da muss dringend etwas übernommen werden."
    Die zentrale Frage: Was tut die Polizei, oder vielmehr: Tut sie genug? Nein, konstatierte Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, der auch selbst über Demonstrationen berichtet. Mit der Sicherheit von Berichterstattern seien Polizisten bisweilen überfordert und schlecht vorbereitet.
    "Einsatzhundertschaften müssen in den Einsatzbesprechungen, in den Einsatzbefehlen darauf hingewiesen werden, dass Journalisten erwartet werden und wie man dann damit umgeht, wie man die schützen kann. Das passiert aus meiner Sicht bisher noch viel zu selten, was ja dazu führt, dass verschiedene Sender mittlerweile ihre Teams rausschicken mit Bodyguards."
    Gewalt gegen Journalisten dokumentieren und analysieren
    Im Internet hat der DJV-Vorsitzende das Blog augenzeugen.info gestartet. Überall will Gewalt gegen Journalisten dokumentieren und analysieren. Die ist vor allem für Medien in Sachsen ein großes Problem. MDR-Chefredakteur Stefan Raue sagte den Politikern: Inzwischen müsse sein Sender schon jungen Journalisten in der Ausbildung beibringen, wie sie sich auf politischen Demonstrationen schützen.
    "Ich finde, das ist schwer erträglich. Wir sind von allen streitenden Seiten in den letzten Jahrzehnten immer akzeptiert worden als Beobachter, haben auch einen gewissen Schutz genossen. Das gilt wohl offensichtlich von Seiten Pegida nicht mehr. Dort sind wir gewissermaßen Freiwild."
    Zuletzt traf – im wahrsten Sinne des Wortes – die Gewalt der Demonstranten eine Radio-Korrespondentin: Eine Frau schlug ihr ins Gesicht. Dazu kommen offene Aufrufe zur Gewalt gegen Journalisten. In Leipzig hieß es erst vor einer Woche über die Lautsprecheranlage, man möge doch die "Eliten aus den Pressehäusern prügeln". Auch wenn es schwerfalle: Medien müssten ruhig bleiben, mahnt Raue.
    "Wir dürfen nicht in eine Art geistigen Bürgerkrieg ziehen. Wir müssen unsere Rolle als distanzierte Beobachter behalten. Und dann glaube ich, auf mittlere Sicht, dass wir dann auch wieder zu einer Entspannung, Entkrampfung der Situation kommen können."
    Polizei ist Ländersache
    Mindestens kurzfristig aber schickt auch Raue seine Reporter nur noch mit Begleitschutz auf solche Veranstaltungen. Verbesserungsbedarf sieht nach diesem Gespräch dann auch der Vorsitzende des Ausschusses, der SPD-Politiker Siegmund Ehrmann.
    "Der Staat ist in der Lage, das Grundrecht "Pressefreiheit" zu schützen, aber er muss es noch besser tun – indem er über die Polizei und die Sicherheitsorgane bei Demonstrationen gewährleistet, dass tatsächlich Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit erledigen können."
    Dabei hat Ehrmanns Ausschuss allerdings nur wenig zu melden, denn: Polizei ist Ländersache. Mit dem Termin im Bundestag hat die Politik das Thema "Gewalt gegen Journalisten" aber immerhin schon mal auf ihrem Radar erfasst.