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Animationsfilm in Griechenland
Kreatives Ventil einer systemmüden Generation

Wenn die Welt draußen in Stücke bricht, bau' ich mir meine eigene: Der griechische Animationsfilm ist im Aufschwung. Inhaltlich spielen weniger krisenbedingte Probleme als vielmehr die großen Fragen des Lebens eine Rolle. Trotz wirtschaftlicher Probleme beschreiten die Filmemacher neue Pfade.

Von Florian Schmitz | 07.04.2017
    Ein kleines Mädchen sitzt allein im Wald. Auf dem Kopf ist ihr ein Geweih gewachsen. Wie in einem Albtraum beginnt sie umherzuirren, ohne dass jemand sie vor den vielen Gefahren auf ihrem Weg schützen würde. Zum Schluss blickt sie den Zuschauer an, ihr Geweih ist verschwunden, aus ihren Augen strahlt ein leiser Schimmer Hoffnung. Unwirklich und beklemmend ist die Stimmung in dem 6-minütigen Animationsfilm "Beast" von Constantinos Chaidalis. Die Geschichte des verlorenen Mädchens soll das grundlegende Gefühl der Angst zeigen, das Bedürfnis nach anderen Menschen und einem Zufluchtsort, erklärt der 34-jährige Regisseur.
    Chaidalis gehört zu einer neuen Bewegung von jungen Filmemachern in Griechenland, die den Krisenalltag nicht als Schicksal ihres Landes, sondern als Teil einer größeren, globalen Problematik betrachten. Verlust, Bedrohung, ungewisse Zukunft: Der Film als Spiegel einer Generation, die zwar enttäuscht, dabei aber äußerst kreativ ist.
    "Wir leben in einer Zeit, in der wir nie genau wissen, was real ist und was Fiktion. Was ist reine Werbung? Was sind Tatsachen? Was beeinflusst uns eigentlich und was machen diese Einflüsse mit uns? Es ist eigentlich egal, ob es sich dann um Animation handelt oder nicht. Es geht vor allem darum, was man eigentlich aussagen will", sagt Chaidalis.
    Die großen Fragen des Lebens stellen
    Ein Forum für diese Debatten gibt es seit 2008 beim Filmfestival "Animasyros", das jeden September auf der Kykladeninsel Syros stattfindet und mittlerweile international einen guten Ruf genießt. Dessen Gründer ist der Athener Anwalt Vassilis Karamitsanis. Für ihn bietet das Genre vor allem die Gelegenheit, sich nicht nur mit den krisenbedingten Alltagsproblemen auseinanderzusetzen. Vielmehr geht es bei den meisten Produktionen um die existenziellen Themen unserer Zeit.
    "Die Krise hat die griechische Identität auf die Probe gestellt", sagt Karamitsanis. "Und wenn sie mitten in dieser ganzen Misere, mit allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen etwas verändert hat, dann das Bewusstsein vieler Künstler, die zum ersten Mal begriffen haben, dass sie Teil einer internationalen, europäischen Epoche sind. Die schwierige Lage daheim hat sie sensibilisiert für die globale Realität."
    Das Interesse am Animationsfilm wächst stetig, sagt Eleni Mouri, Grafikprofessorin an einer Athener Fachhochschule. Arbeitslosigkeit und Stagnation: Die Probleme unserer Zeit und der Alltag in Griechenland sind mitunter absurd, findet sie. Daher sehnt sich die Jugend nach nicht-realen Darstellungsweisen und der Animationsfilm ist dafür ein gutes Medium. Er bietet die Möglichkeit, sich auszudrücken und auf Sinnsuche zu gehen. Dabei habe sich die Bildsprache im Vergleich zu den Jahren, als es wirtschaftlich und gesellschaftlich aufwärts ging, erkennbar gewandelt.
    Neue Ästethik
    "In den 80-ern war der Animationsfilm rosa, blau und gelb. Das war die Stimmung der Zeit", sagt Eleni Mouri. "Heute geht der Film ästhetisch in eine ganz andere Richtung. Die Farben sind hart, teilweise sogar aggressiv. Thematisch setzen sie sich auseinander mit Einsamkeit, zwischenmenschlichen Beziehungen, der Macht der Medien und der Krise an sich, den wirtschaftlichen Problemen."
    So ist der griechische Animationsfilm weit mehr als ein Spiel mit der Fantasie. Er ist das kreative Ventil einer systemmüden Generation, die begonnen hat, sich mit den wichtigen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen.