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Anklage gegen Lkw-Attentäter
Schweden ist anders seit jenem Tag

Er raste im April 2017 mit einem Lkw in eine Einkaufsstraße in Stockholm und tötete fünf Menschen. Nun wurde der mutmaßliche Attentäter wegen Terrorismus angeklagt. Der Anschlag in der Drottningsgatan hat Schweden verändert.

Von Carsten Schmiester | 31.01.2018
    People look on at the scene after a truck crashed into a department store injuring several people in central Stockholm, Sweden, Friday April 7, 2017. (Andreas Schyman, TT News Agency via AP)
    Der Ort des mutmaßlichen Anschlags in der Drottninggatan in Stockholm (dpa news via AP /TT NEWS AGENCY)
    "Es ist die Erinnerung an die Füße des sechsjährigen Jungen, den ich mitgerettet habe. Er war so hart vom Lkw getroffen worden, dass er die Schuhe verloren hatte. Ich habe seine Füße gewärmt, das kann ich nicht vergessen."
    Gestern war ein harter Tag für Stina Nordström. Terror, Mord, Mordversuch, das sind die Anklagepunkte gegen den Usbeken Rachmat Akilov, der ihr Leben am 7. April 2017 auf der Einkaufsstraße Drottninggaten fast beendet hätte. Sie hatte Glück, entkam äußerlich unverletzt. Fünf andere starben, weitere 15 wurden teils schwer verletzt. Warum, haben sich viele Schweden lange gefragt, seit gestern haben sie die Antwort von Staatsanwalt Hans Ihrmann:
    "Er wollte Schweden betrafen wegen unserer Beteiligung an der weltweiten Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Und er wollte uns zwingen, diese Beteiligung zu beenden. Für das Attentat hat er sich dann einen symbolträchtigen Platz ausgesucht, um einen möglichst großen Effekt zu erzielen."
    Gefühlt nicht mehr immun gegen das Böse
    Schweden ist anders seit jenem Freitag: Nicht länger gefühlt immun gegen das Böse. Jahrelang hatten sich die Leute genau das eingeredet, sie waren doch die Guten auf der Welt, offen, tolerant, friedlich, neutral. Und dann passierte ihnen dieser Anschlag. Anders Thornberg, Chef der Geheimpolizei, dürfte nicht ganz so überrascht gewesen sein wie viele andere als Kenner der zunehmend radikalisierten und wachsenden Szene:
    "Wir sehen eine deutliche Zunahme", sagte er, "vor ein paar Jahren sprachen wir von Hunderten Extremisten, heute sind es Tausende."
    Paket neuer Anti-Terrormaßnahmen
    Die rot-grüne Minderheitsregierung geriet unter Druck. Gemeinsam mit der bürgerlichen Opposition beschloss sie im Juni ein ganzes Paket neuer Anti-Terrormaßnahmen: mehr Kameras auf öffentlichen Plätzen, engere Zusammenarbeit von Sicherheitsdiensten und Einwanderungsbehörde, strengere Überwachung von extremistischen Gruppen, erleichtertes Abhören von Handys und Anzapfen von Computern. Das ist den sehr auf ihre Freiheitsrechte pochenden Schweden schwergefallen, war aber längst überfällig, meinte Peder Hyllengren, Terrorforscher an der Militärhochschule:
    "Am besten wäre natürlich gewesen, wenn Schweden bereits vor Jahren solche Gesetze verabschiedet hätte. Dass es dazu erst ein Attentat geben musste, ist traurig."
    Schweden fühlt sich anders an
    Immerhin: Zwei Dinge sind seither nicht passiert. Die rechten "Schwedendemokraten" haben aus dem Anschlag kein politisches Kapital für sich schlagen können, zu einig waren Regierung und Opposition und auch die Menschen, die nach dem Attentat fürs Zusammenhalten demonstrierten, die der Polizei und auch der Politik dankten. Und es hat keinen neuen Anschlag gegeben. Trotzdem fühlt sich Schweden anders an. Angst ist es nicht, aber dieses alte Gefühl, dieses "Bei-uns-doch-nicht", das ist weg, nicht nur bei Stina:
    "Ich kann einfach nicht mehr in der Mitte der Drottninggatan gehen. Wenn ich da lang muss, dann gehe ich immer links oder rechts am Straßenrand. Das gibt mir ein wenig Sicherheit: Ich könnte ja zur Seite springen, sollte etwas passieren."