Donnerstag, 25. April 2024

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Anlässlich des 80. Geburtstags
Zubin Mehta dirigierte die Staatskapelle Berlin

Der Dirigent Zubin Mehta wird im April 80 Jahre alt. Diesen Geburtstag hat er aber bereits mit einem Abend, an dem er die Staatskapelle Berlin in der Philharmonie dirigierte. Daniel Barenboim führte durch den Abend. Aufgeführt wurden Werke von Pierre Boulez, Gustav Mahler und Robert Schumann.

Von Julia Spinola | 14.01.2016
    Der indische Dirigent Zubin Mehta
    Der indische Dirigent Zubin Mehta (picture alliance / dpa - Hans Punz)
    Ein Abend, der mit so viel Symbolkraft beladen ist, könnte auch Gefahr laufen, in eine offiziöse Festveranstaltung zu kippen. Aber Daniel Barenboim ist kein Mann für leere Symbolgesten. Er hat immer etwas zu sagen. Und so formte er auch das Programm dieses symbolisch hochbeladenen Geburtstagskonzerts in der Philharmonie zu eindringlichen und dezidierten musikalischen Aussagen. Gleich zu Beginn etwa, als Dirigent von Pierre Boulez' Orchesterwerk "Notation III": In seiner kurzen Rede auf den vor zwei Wochen verstorbenen Freund hatte Barenboim dessen außergewöhnliche Verstandesschärfe gerühmt.
    Barenboim dirigiert Pierre Boulez' Orchesterwerk "Notation III"
    Was man dann hörte, war aber keineswegs nur die bewundernswerte Leistung eines analytischen Superhirns. Vielmehr erweckte Barenboim das dichte motivische Gewebe des Werks zu einem klangsinnlich glitzernden Beziehungszauber. Boulez' Musiksprache changierte auratisch zwischen den Ausdruckswelten Arnold Schönbergs und Claude Debussys. Im transparenten und fluiden Spiel der Staatskapelle verströmte die raffiniert instrumentierte Partitur mit ihrem exotischen Schlagzeug und den überbordenden Orchesterfarben ein geradezu orientalisierendes Parfüm - fast so, als wolle Barenboim noch den hartnäckigsten Neue-Musik-Skeptiker zu diesem Werk verführen.
    Robert Schumanns Klavierkonzert mit Zubin Mehta am Pult
    Beinahe noch erstaunlicher als dieses Plädoyer für Boulez, war Barenboims Auffassung von Robert Schumanns Klavierkonzert mit Zubin Mehta am Pult der Staatskapelle. Alle Bravour, jeden vordergründigen Effekt nahmen die beiden Musiker schon im Allegro affettuoso des Kopfsatzes zugunsten einer radikalen Verinnerlichung zurück. Statt eine Dramatik zu beschwören, die diesem Konzert äußerlich bleiben muss, rückten sie den Satz wieder näher an das romantische Konzept jener "Fantasie für Klavier und Orchester", die Schumann ursprünglich im Sinn gehabt hatte.
    Natürlich gibt es brillantere, stürmischere, virtuosere Interpretationen. Barenboim nutzt den Flügel als rhetorisches Instrument - als Klangfarbenpalette interessiert er ihn weniger. Und sein Spiel ist auch alles andere als technisch makellos. Aber wie es ihm gelingt, mit jeder Wendung direkt und unmittelbar zu sprechen, das überraschte in jedem Takt und hob eine Fülle nie gehörter Bedeutungsnuancen hervor. Das Thema des zweiten Satzes etwa ließ er mit einer bezaubernden Anmut, mit Leichtigkeit und einem unglaublichen Charme lebendig werden, wie man es selten erlebt. Und das Orchester reagierte unter Zubin Mehta so punktgenau und einfühlsam auf jede Nuance seines Spiels, wie es nur die langjährige, tiefe Vertrautheit von Musikern ermöglicht. Wie aus einem Atem strömte die Musik ganz unverkitscht jenem "wundervollen Geisterreich des Unendlichen" entgegen, das E.T.A. Hoffmann als das Reich der Musik ansah.
    Gustav Mahlers erste Sinfonie
    Die erste Symphonie von Gustav Mahler bot nach der Pause ein geradezu umgekehrtes Bild. In seiner schleppend langsamen Interpretation huldigte Zubin Mehta einem ganz auf Luxus, Opulenz und klangliche Perfektion vertrauenden symphonischen Wohlfühlsound – der doch ausgerechnet bei Gustav Mahler gründlich fehl am Platze ist. Wie keine andere Symphonie zuvor rennt dieses Werk gegen die hermetische Geschlossenheit der Symphonieform an. Und sie lässt die undomestizierte Natur in allerlei anarchischen, aufgekratzt wuselnden und vorwitzigen Naturlauten in die ehrwürdige Sonatenform hineinplatzen. Von alledem war jedoch an diesem Abend nichts zu hören.
    Mehta sortierte die Klangschichten der Mahlerschen Orchesterpolyphonie vorbildlich transparent, gliederte auch die Form so sinnfällig, wie es im schleppenden Tempo eben möglich war - aber vom Charakter, vom Sinn dieses unglaublichen symphonischen Erstlingswerks vermittelte sich beinahe gar nichts. So war man am Ende des Abends doch noch in der Festveranstaltung angekommen – ausgerechnet mit Mahler. Wie schade.