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Anne Tismer tobt

Die deutsch-französische Schauspielerin Anne Tismer nennt sich neuerdings Aktionskünstlerin. Sie braucht kein Theater mehr, sie ist selbst eins. Ihr vollkommen abstruses Stück mit dem Titel "Hitlerine" hatte jetzt im Prater der Berliner Volksbühne Premiere. Gefühle und Gedanken einer ichgestörten Persönlichkeit stemmen sich mit kindlicher Einfalt gegen die Weltgeschichte.

Von Eberhard Spreng | 01.02.2010
    In einem ohrenbetäubenden Getöse kommt Hitlerines Gefährt irgendwo in der afrikanischen Wüste zum Stehen. Und dann kugelt sich die hochschwangere Protagonistin aus einem aus Pappresten zusammengestoppelten Behältnis und sieht sich in einer kunterbunten Kindergeburtstags-Bastel-Stunden-Welt um. Alles, was man aus bunten Wollfäden, Draht, Packband, Kleber, leeren Plastikflaschen, Krepp und Buntpapier zusammenbasteln kann, ist hier versammelt.

    Ihre unerwünschte Brut zieht sich die Schauspielerin und Performerin unter ihrem Hemd hervor, ein Pappfuchs macht sich über den Fötus her, ein Wollknäuel zerfasert in vielen roten Fäden. Und dann kommt die Riesenameise Angelika ins Spiel, die unentwegt mit sogenannten Kaka-Fäden beschäftigt ist, und der Afrikaner Marcel - dem Schauspieler Christian Sengwald hat man das Gesicht schwarz angemalt, - der vorwiegend mit der "Spremium"-Produktion befasst ist. Mithilfe dieser beiden Körpersekrete soll Hitlerines neuer Staat entstehen, ihr Neufarmville mitten in der Wüste.

    Zu Beginn der Aufführung hatte man einige rückwärts projizierte Filmbilder gesehen und dem Programmheft konnte man entnehmen, diese etwas hanebüchene Performance wolle die historische Uhr zurückdrehen und sich die Möglichkeit verschaffen, irgendwann, 1884, 1913 oder 1918 in den Gang der kolonialen Geschichte einzugreifen. Die Wüstenbegrünung hat sich diese Afrika-Diktatorin, diese Hitlerine vorgenommen, ein Großprojekt, das an der fehlenden Kooperationsbereitschaft der Mitspieler, aber angeblich auch an den fehlenden Coins, den Stinktieren und den Maulwürfen zu scheitern droht und an einer großen Eifersuchtsszene.

    Es wird viel geschrien in der kurzen Aufführung, die Anne Tismer übrigens an der Seite ihrer Tochter Okka Hungerbühler beschreitet. Und die ohnehin nur ironisch-grotesk angespielte politisch-historische Allegorie geht völlig in den Albernheiten unter. Die Hitlerine ist hier eher ein kleinkindlicher Tyrann, und die Beziehungen der Figuren untereinander erinnern eher an die einer durchgeknallten Wohngemeinschaft, die unter einer infantilen Regression leitet, in einer Welt irgendwo zwischen Nintendo, Facebook und Kindergeburtstag.

    Lustige Soundeffekte begleiten das Geschehen bis hin zu Systemklängen von Windows XP, Bastelarbeiten werden vorgeführt, eine wilde Malerei entsteht parallel zur Aufführung, und eine kleine Videokamera wirft - wie schon fast üblich - ein großes Double der Akteure auf eine improvisierte Leinwand, aber Freude will sich bei alldem wirklich nicht einstellen, und man fragt sich, warum diese Schauspielerin, die zum Beispiel als Nora in einer legendären Ostermeier-Inszenierung zu so grandiosem Spiel fähig war, nicht auf die seriöse Theaterbühne zurückkehrt.