Dienstag, 19. März 2024

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"Anne Will" über Radikalisierung Jugendlicher
Durfte die ARD Nora Illi ein Forum bieten?

Der "FAZ"-Fernsehkritiker Michael Hanfeld hat den Umgang von Anne Will mit der Frauenbeauftragten des Islamischen Zentralrates der Schweiz verurteilt. Die vollverschleierte Nora Illi habe die IS-Terrormiliz übel verharmlosen können, sagte er im DLF. Ohne die Empörung der anderen Gäste wäre die Diskussion "krachend gescheitert".

Michael Hanfeld im Gespräch mit Christine Heuer | 07.11.2016
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    Nora Illi, Frauenbeauftragte des "Islamischen Zentralrats Schweiz", und Wolfgang Bosbach, Innenexperte (CDU), aufgenommen am 06.11.2016 während der ARD-Talksendung "Anne Will" (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    In der "Anne Will"-Sendung in der ARD ging es um die Radikalisierung von Jugendlichen in Deutschland, die in den Irak und nach Syrien in den Dschihad ziehen. Nora Illi erschien im Niqab.
    Er habe die Diskussion als Gratwanderung wahrgenommen, sagte Hanfeld. Wenn man ein solches Phänomen thematisiere und nur Leute einlade, die diese Entwicklung kritisch sähen, sei das zwar von begrenztem Erkenntnisgewinn, räumte er ein. Nora Illi habe die Terrorherrschaft des "Islamischen Staats" allerdings derart verharmlosend dargestellt, dass man fragen müsse, ob man so jemandem eine Bühne im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bieten wolle. Die Auseinandersetzung finde ihre Grenze, "wenn jemand so deutlich Propaganda macht und Ansichten vertritt, die unserem Grundverständnis von Menschenrechten zuwiderläuft".
    Hanfeld kritisierte, dass die Moderatorin Anne Will sich "im normalen Frageduktus" mit Illi auseinandergesetzt habe. Er hätte sich eine andere Herangehensweise gewünscht, sagte er im DLF. Die Redaktion müsse sich die Frage stellen, "holen wir uns so jemanden in die Sendung und können wir dem Paroli bieten, sodass derjenige es nicht als Erfolg für sich verbuchen kann". Die anderen Gäste hätten dies aber aufgefangen, indem sie sich über Illis Antworten empört hätten.
    Auch in den sozialen Medien löste der Auftritt der Schweizer Muslimin Diskussionen aus.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Es ging ziemlich hoch her gestern Abend bei Anne Will in der ARD. - Am Telefon ist Michael Hanfeld, FAZ-Fernsehkritiker. Er ist auch stellvertretender Feuilleton-Chef bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Guten Tag, Herr Hanfeld.
    Michael Hanfeld: Einen schönen guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: Sie haben gestern Abend Anne Will gesehen. Was haben Sie da gedacht, was war so Ihr grundlegender Eindruck?
    Hanfeld: Ich habe das als Gratwanderung wahrgenommen, als den Versuch, das was der "Tatort" vorher thematisiert hat, dass junge Leute, junge Männer, junge Frauen sich dem IS zuwenden und ihr Heil in Syrien suchen, im Herrschaftsgebiet dieser Mördermiliz, das zu erklären. In die Sendung eingeladen war Frau Nora Illi und damit fängt das Problem schon an, denn wenn man jemanden dort hat, der das, was in Syrien und im Irak unter der Herrschaft dieser Terrorbande geschieht, so verharmlosend darstellt und so scheinbar verständnisvoll wie Frau Illi, dann braucht man schon eine gute Begründung, warum man so jemandem überhaupt ein Forum im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bietet.
    Und hätte Frau Will nicht wirklich gute andere Gäste da gehabt, eigentlich alle vier anderen, die da waren, den Psychologen und Islamismus-Kenner Ahmad Mansour, den Imam aus Berlin, einen Vater, der seine Tochter nach Syrien hat ziehen sehen, und Wolfgang Bosbach von der CDU, dann wäre das richtig krachend gescheitert.
    Heuer: Sie war ihrer Aufgabe nicht gewachsen?
    Hanfeld: Na ja. Die Fragen, die Frau Will Frau Illi gestellt hat, waren mehr so Einladungen: Fühlen Sie sich unterdrückt? - Jemand, der die Unfreiheit als Freiheit ausgibt und dem zu Terrorherrschaft nur so etwas einfällt, das sei eine bitter harte …
    Heuer: Langzeitprüfung.
    Hanfeld: … Langzeitprüfung, wie sie da geschrieben hat, wohl gemerkt als Äußerung jungen Leuten gegenüber, die dahin wollen, das ist schon eine sehr üble Verharmlosung dessen, was da geschieht und was die jungen Leute, die glauben, auf diese Art und Weise könnten sie ihrem Gott dienen, da erwartet.
    Und das kann man so natürlich nicht stehen lassen, denn was Frau Illi in der Sendung gemacht hat war der Versuch einer vermeintlichen Wertediskussion und gegen die vermeintliche Unterdrückung von Muslimen in unserer Gesellschaft zu reden. Und dann haben wir das Beispiel einer solchen Mörderherrschaft. Glücklicherweise haben das die anderen in der Sendung dann auch deutlich hervorgehoben.
    "Da muss man sich vorher schon die Frage stellen, ob man so jemandem eine Bühne bieten will"
    Heuer: Ja, die anderen haben das gemacht. Aber wenn man so jemanden wie Nora Illi einlädt, das war ja schon rein optisch der Eindruck, dass sie da im Niqab saß, vollverschleiert nur mit einem Augenschlitz, das war schon ein seltsames Bild. Dann kann man ahnen was passiert. War das eine Einladung zur Propaganda im öffentlich-rechtlichen Fernsehen?
    Hanfeld: Ich habe nach der Sendung einen zwiespältigen Eindruck behalten. Wenn man über ein solches Phänomen, das ja nun in unsere Gesellschaft wie in alle offenen Gesellschaften tief hineinwirkt, thematisiert und man hat nur Leute, die darüber sprechen oder die dem entkommen sind, die das Ganze sehr kritisch sehen, dann ist das unter Umständen nur von begrenztem Gewinn, wenn man die andere Seite nicht da hat. Aber bei jemandem wie Herrn Mansour zum Beispiel, der selber sich als junger Mann den Muslim-Brüdern angenähert hatte, da haben Sie natürlich jemanden, der die gesamte innere Wandlung, die in jemandem vor sich geht, dahin und dann wieder zurück zu einem aufgeklärten Verständnis.
    Und wenn Sie jemanden wie Frau Illi einladen, dann haben Sie so das Paradebeispiel derjenigen, die die jungen Leute, von denen der "Tatort" handelte und von denen wir wissen, dass es einige Hundert in Deutschland auch schon gibt, die nach Syrien gegangen sind, einfangen. Es ist nicht nur optisch eine, sagen wir mal, Überraschung, wie sie da sich in der Sendung präsentierte, sondern inhaltlich war das schon so, dass man sich vorher die Frage stellen muss, will ich so jemandem eine Bühne bieten.
    Heuer: Dazu hat die Redaktion von Anne Will ja nun Ja gesagt. Diese Frage hat sie mit Ja beantwortet. Man kann der Redaktion auch zugutehalten und kann sagen, das ist der Versuch der Aufklärung, wenn man das hörbar macht, da macht man auch vieles deutlich. Sie haben vorhin gesagt, Anne Will wäre gescheitert an dieser selbstgestellten Aufgabe, wenn sie nicht ihre anderen Talkshow-Gäste gehabt hätte. Was hätte sie besser, was hätte sie anders machen müssen aus Ihrer Sicht? Sie haben das ja kritisiert.
    Hanfeld: Sie konnte sich erfreulicherweise darauf verlassen, dass es den anderen in der Diskussionsrunde irgendwann zu viel wurde. Als sie im normalen Frageduktus sich mit Frau Illi auseinandersetzte, mit so einer Frage wie fühlen Sie sich unterdrückt, da kommt man dann wirklich nicht ans Ziel, weil nicht offenbar wird, was hinter dem, was Frau Illi da von sich gegeben hat, wirklich steckt.
    Und als Journalist muss ich mir das schon zweimal überlegen, ob ich das dann so laufen lasse und dann anschließend, als Herr Mansour mit der Äußerung kommt, so was kann man sich im öffentlichen Fernsehen nicht bieten lassen, darauf hinzuweisen, man setze sich im Rahmen einer Wertediskussion auch mit den Meinungen oder "Werten" anderer auseinander. Das findet natürlich seine Grenze, wenn da jemand so deutlich Propaganda macht und Ansichten vertritt, die unserem Grundverständnis von Menschenrechten komplett entgegenlaufen.
    "Ich hätte mir von Frau Will eine andere Herangehensweise als Moderatorin gewünscht"
    Heuer: Herr Hanfeld, was lernen wir daraus, dass man solche Leute nicht einlädt, dass man die neutrale Moderatorenrolle verlassen muss, wenn man mit ihnen im Gespräch ist? Was lernen wir daraus, was würden Sie empfehlen für die Zukunft?
    Hanfeld: Ich denke, man muss sehr vorsichtig sein bei den Vertretern einer menschenverachtenden Ideologie und sich natürlich dreimal die Frage stellen, holen wir uns so jemand in die Sendung und können wir dann demjenigen auch wirklich Paroli bieten, so dass am Ende einer solchen Talkshow nicht derjenige oder in dem Fall diejenige, die da hingekommen ist, das als Erfolg für sich verbuchen kann.
    Und da hätte ich mir von Frau Will schon eine etwas andere Herangehensweise als Moderatorin gewünscht. Aufgefangen haben das aber wie gesagt die Gäste. Grundsätzlich ausschließen sollte man das natürlich nicht, jemanden einzuladen, wenn man eine Kontroverse hat. Allerdings muss man dann auch gucken, dass man sie in den Händen behält.
    Heuer: Michael Hanfeld, FAZ-Fernsehkritiker und stellvertretender Feuilleton-Chef seiner Zeitung. Herr Hanfeld, vielen Dank für das Gespräch.
    Hanfeld: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.