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Annie Proulx: Aus hartem Holz
Vom Sisyphos zum Waldherrn

In "Brokeback Mountain" ließ Annie Proulx zwei schwule Cowboys in der Wildnis die Liebe finden. In ihrem fast 900-seitigen Roman "Aus hartem Holz" geht es wieder um Wildnis. Er erzählt, wie die ersten Holzfäller-Kapitalisten in der Neuen Welt ankommen und den Indianern die Hoheit über den Wald abringen. Ein Stück Nature Writing.

Von Martin Zähringer | 09.07.2017
    Buchcover Annie Proulx: Aus hartem Holz
    Wald ist keine unbegrenzte Profitquelle. Die Figuren in Annie Proulx' "Aus hartem Holz" lernen das erst über Generationen. (Luchterhand Verlag / picture alliance / ZB / Patrick Pleul)
    Der Roman beginnt im Jahr 1693. Charles Duquet aus den Pariser Elendsvierteln und René Sel, der in der französischen Provinz als Holzarbeiter tätig war, wandern in die Kolonien aus. Die jungen Männer kommen als sogenannte engagés nach Nordamerika, wo sich zwischen den Großen Seen und der Halbinsel Akadien am Nordatlantik ein urwüchsiges Waldgebiet erstreckt, die französische Kolonie Neufrankreich. Hier - im heutigen Grenzgebiet zwischen USA und Kanada - müssen Charles und René bei ihrem Dienstherrn Trépagny die Überfahrt abdienen, sie müssen sich freiarbeiten, um ein eigenes Stück Land zu bekommen. Es gibt reichlich davon, aber es braucht die Axt dazu:
    "René spürte die Kraft in dieser Axt, ihren gierigen Hunger, alles zu durchbeißen, was ihr im Weg war, dass der Saft spritzte und weiße Späne wie Porzellansplitter davonstoben. Mit einem spitzen Stein markierte er den Stiel mit einem R, seinem Initial. In dem Maß, in dem er Bäume fällte, wich die Wildnis der Welt zurück, und das gewaltige unsichtbare Netz der Fibern, die das Leben der Menschen mit den Tieren verbanden, die Bäume mit Fleisch und die Knochen mit dem Gras, zitterte jedes Mal, wenn ein Baum fiel, und eine nach der anderen rissen die Fibern des Netzes."
    Die Axt im Walde zerstört die Fibern eines verbindenden Netzes, metaphorische Hinweise dieser Art bilden eine Art ästhetischen Kompass im weitläufigen Panorama dieses Romans. Hier, es ist gleich im ersten Kapitel, dürfte die Ansage unmissverständlich sein: Erwarte kein Epos vom kühnen Pionier, keine neopastorale Eloge auf Adam und Eva in Amerika, die der wilden Natur ihren landwirtschaftlichen Garten Eden abtrotzen. Das große Thema ist der Raubbau in den Urwäldern Nordamerikas, ausgeführt am Beispiel zweier Familien, die in je eigener Weise daran teilhaben.
    Sisyphos im Wald
    René, seine Kinder und deren Nachfahren betreiben das Geschäft der Holzfällerei und erleben im Lauf der Entwicklung die verschiedensten Stufen der Anpassung an die Verhältnisse. Sie werden sich - man kann es ruhig verraten, ohne die Spannung zu trüben - am Ende ihrer historischen Verantwortung für den Untergang der Wälder bewusst und militante Umweltschützer. Aber ihr Urahn René ist noch unverdrossen damit beschäftigt, die Grundlagen für eine Existenz in der Kolonie zu schaffen. Holz ist begehrt, René schuftet sich krumm, nur echte Werte bringt ihm die Arbeit nicht:
    "Auf seine eigene Weise verschlang der Wald seinen Zerstörer René Sel. Der Wald lag immer vor René. Er konnte nicht davon ablassen, an ihm herumzuhacken, doch kraftvoll wuchsen ihm die zahllosen Schösslinge aus Baumstümpfen und unversehrten Wurzeln ins Gesicht, so dass das Heben und Senken seiner Axt zu einer beinahe ununterbrochenen Kreisbewegung wurde. Am Horizont schienen immer neue Bäume aufzutauchen. Ihn quälte die Erkenntnis, dass seine zahllosen Axthiebe gegen die unendliche Ausdehnung dieser stacheligen Krone der Erde nichts ausrichten können."
    René beginnt mit der Axt in der Hand und wird auch mit ihr sterben. Durchaus ein Held der Arbeit und Bezwinger des Urwalds, bedeutsam wird er jedoch als Gründungsfigur einer besonderen Waldgesellschaft: Seine Kinder stammen aus der Verbindung mit der Mi'kmaw-Indianerin Mari. Mari ist eine starke Frau, sie besitzt noch das alte Wissen vom Leben in den Wäldern, von der rechten Art des Aalfangs, dem Heilen mit Pflanzen, dem Flechten von Körben, dem kundigen Deuten der Wettererscheinungen.
    Die Schlinge zieht sich zu
    Man könnte in einem Roman des Nature Writing durchaus erwarten, dass die Mi'kmaw-Frau Mari eine wegweisende Symbolfigur des ökozentrischen Weltbildes ist. Dessen Grundsatz lautet: Alles ist mit Allem verbunden, aber in Annie Proulx' Roman sind die Indianer bereits Geschichte und haben die Hauptrolle aufgegeben, obwohl sie noch in den Wäldern leben und kämpfen und mit den Weißen Geschäfte machen, schlechte Geschäfte für sie. In dieser Walderzählung sind Maris Kinder aus der Verbindung mit René die tragenden Schicksale. Von Anfang an in den Lebensplan ihrer Väter eingebunden, geraten sie von Generation zu Generation tiefer in die zivilisatorische Schlinge des weißen Mannes. Sie finden meist nur als Holzfäller und Flößer Arbeit und sägen dabei stetig an ihrem eigenen Ast, denn je mehr Holz erwirtschaftet wird, umso mehr Siedler bauen Häuser und Zäune, je mehr Wald fällt, umso mehr Ackerland steht zur Verfügung. Der Lebensraum Wald wird knapp, auch wenn er noch so schön ist:
    "Nach einer regnerischen Nacht erwachten sie in einer Welt aus glitzernden Spinnennetzen. Schwerer Nebel dämpfte Schritte und Geräusche, wenn man sich durch das Gebüsch bewegte. Es war ein guter Morgen für die Jagd, und es folgten viele weitere gute Morgen. Kuntaw merkte, dass Achille körperlich stark war, aber auch stark in seinem Verständnis der unsichtbaren Kräfte, die alles zu einer Einheit verbanden - Tiere, Geister, Menschen, Fische, Bäume, Meer, Winter, Wolken."
    Das Epos von der kosmischen Einheit ist zerlegt
    Das wäre das Leben im Geist der indianischen Philosophie, aber die "Einheit der Dinge" ist zersplittert. Selten treten ursprüngliche Waldbewohner auf den Plan, die Pawnees, die Crew, die Penobscots und selbst die Mi'kmaw sind auf dem Rückzug. Das Epos von der kosmischen Einheit ist zerlegt in weit über den Roman verstreute Fragmente, in bruchstückhafte Erinnerungen einer holzfällenden Gesellschaft, die eine fatale Rolle im neuen, ökonomischen Kreislauf spielt und ihren unsicheren Platz zwischen den Kulturen eingenommen hat.
    Eine Rückkehr wird es nicht mehr geben: Achille kann sich noch ganz allein einem vierhundert Pfund schweren Bären auf den Rücken hieven, sein Sohn Kuntaw hingegen beherrscht kaum noch ein Kanu im Wildwasser. Im Winter gehen die jungen Männer in die Holzfällerlager, sind stolz auf das gefährliche Leben und auf irrsinnige Akkordleistungen und kommen nicht immer dazu, mit dem Lohn der Arbeit zum Weiterkommen ihrer Gemeinschaft beizutragen. Ihre Frauen geraten in sexuelle Abhängigkeiten und den Sog der schäbigen Handelsposten, Ehen sind zerrüttet, bevor sie richtig anfangen, die Familienbande locker und das soziale Gefüge ist fragil.
    Von Frauen, die Otter oder Vögel heiraten
    Unterdessen befördern die Einwanderer aus Europa den Untergang der störenden Konkurrenz mit allen schändlichen Mitteln und Methoden, das Weltbild und die Lebensweise der First Nations sind ihnen ohnehin fremd. Annie Proulx inszeniert den hegemonialen Diskurs jener Zeit durch den Rückgriff auf historische Dokumente, die sie jedoch der Fiktion anpasst. So liest man also im Roman einen Brief des noch einfühlsamen Missionars Louis-Joseph Crème:
    "Sie leben nicht in geregelten Bahnen wie wir. Ihr Lebensrythmus richtet sich nach den Zeiten der Jagd und der reifen Beeren. Eine ihrer merkwürdigsten Eigenheiten ist die Art, wie sie Bäume, Pflanzen, alle möglichen Fische, Elche und Bären und andere Tiere als ihres gleichen ansehen. Viele ihrer Geschichten handeln von Frauen, die Otter oder Vögel heiraten, oder von Männern, die sich in Bären verwandeln, bis sie wieder Menschen werden wollen. Im Wald sprechen sie mit Kröten wie mit Bekannten. Manchmal ist mir, als müsste ich von ihnen lernen."
    Der Missionar versteht die Indianer nicht
    Aber ein katholischer Missionar hat nicht von wilden Heiden zu lernen, er hat sie zu bekehren. Die Autorin schreibt den Missionaren insgesamt eine Haltung zu, die das genaue Gegenteil des indianischen und mithin ökozentrischen Weltbildes ist: Macht euch die Erde untertan, das anthropozentrische Prinzip des christlichen Pioniers. Pater Crème formuliert es so:
    "Das Bedauerlichste ist ihre Weigerung zu begreifen, dass das Land dem gehört, der es kultiviert, wie in der Heiligen Schrift zu lesen. Sie fischen nur (die Beschäftigung eines Müßiggängers) und wandern im Wald umher, wo sie Tiere und Nahrung sammeln, aber wenn ein Weißer kommt und den bedrückenden, alles überwuchernden Wald beschneidet, ein Haus für seine Familie und Unterkunft für seine Tiere baut, dann beschweren sich die Indianer, er nehme ihnen ihr Land weg, das zu verbessern sie nichts getan haben, denn stattdessen haben sie zugelassen, dass immer mehr Bäume es zuwachsen. Sie können nicht verstehen, dass der Weiße, der kämpft und sich abmüht, um den Wald in die Schranken zu weisen, sein gottgegebenes Recht ausübt, wenn er das gerodete Land als seinen Besitz beansprucht."
    Das ist auch das politische Credo der puritanischen Siedler, die immer tiefer in die Wälder vordringen - das Abholzen sei ein gottgegebenes Recht, höher stehend als die Verträge zwischen den First Nations und den Vertretern der Kolonialmächte. Und mit diesen erfahren die Holzfäller der Sel auch, wie weiße Vorherrschaft durch rassistische Arroganz begründet wird:
    "Bei diesen Begegnungen erfuhren die Sels, dass sie keine Indianer waren, sondern Métis, oder, wie ein englischer Unternehmer abfällig sagte, Mischlinge. In Maine waren ihre weißen Siedlungsnachbarn zuversichtlich davon überzeugt, dass sie von der Erde verschwinden würden."
    Mythisch überzeichnete Figuren
    So empathisch der Roman die Geschichte der indianischen Holzfäller schildert, so ironisch erscheint die Kontrasterzählung vom weißen Amerika. Die Holzunternehmer treten hier in ihrer eigenen Saga auf, in einer Art Parallel-Roman, aber es geht nicht um eine dialektische Chronik des Klassenkampfes. Auch am Anfang der Unternehmersaga steht eine mythische Gründerfigur, René Sels Zeitgenosse Charles Duquet. Allerdings hat sich Charles Duquet damals als engagé in Neufrankreich nicht lange mit der Axt aufgehalten. Seiner Ansicht nach hat ihn der Dienstherr ungebührlich behandelt, und so hat er sich mit gutem Recht in die tiefen Wälder verabschiedet. Dort lernt er nach ersten fast tödlich verlaufenden Fehlschlägen zügig, seine französischen Kompagnons im Pelzhandel übers Ohr zu hauen:
    "Er begann privat Felle zu kaufen; er bestach naive Rothäute mit ein paar Schluck billigen Rums, und darauf bedacht, sein Tun vor den anderen geheim zu halten, versteckte er die Felle und holte sie später. Er feilschte unbarmherzig mit den Indianern, lächelte ihre wilden Mienen arglos an, während er ihre schweren Pelzbündel gegen zwei Ellen billigen Tuchs und eine Tasse gepanschten Whiskeys eintauschte - ein unglaublicher Profit."
    Profit ist das absolute Mantra des Charles Duquet, einer Gestalt, die in ihrer Raubtiernatur etwas überzeichnet erscheint. Aber es ist eine begründete literarische Übertreibung, auch René Sel, der mit der Axt in der Hand einen gewaltsamen Tod stirbt, ist als Mythos überzeichnet. Diese Gründerfiguren stehen gewissermaßen noch roh im ebenso rohen Setting ihrer neuen Umwelt, während ihre Nachfahren als Charaktere tiefer erfasst werden und doch eher sozial als psychologisch gezeichnet sind.
    Proulx geht es um die Verstrickung
    Proulx' Erzählung fokussiert nicht auf das individuelle Schicksal, sondern erkennt das Individuum immer in Bezug auf das soziale und auf das ökologische Netzwerk. Diese Relationalität kann man mögen oder nicht, immerhin erzeugt sie eine fesselnde Dramaturgie für das Nature Writing. Konsequenterweise ist demnach die Figur des Charles Duquet ein grotesker Egomane:
    "Er redet immer nur von seinen Wünschen, seinen Plänen, seinen Reisen und seinem Geld. Alles, was über seinen persönlichen Vorteil hinausgeht, ist ihm weitgehend unbekannt. Ja, auch ich mag Geld, aber nicht so wie Duquet. Bei ihm ist es sündhafte Gier. Nichts anderes zählt für ihn."
    So sieht ihn sein zukünftiger Schwiegervater, ein welterfahrener Großhändler aus Amsterdam, aber er sieht eben auch einen erfolgreichen Händler, der sein Talent mit einem riskanten Pelzhandelscoup in China bewiesen hat. Duquet hat ein solides Startkapital erwirtschaftet und will in den Kolonien in das Holzgeschäft einsteigen. Und diesen Markt der Zukunft hat er gut berechnet:
    "Es gab ein ewigwährendes Gut: den Wald"
    "Es gab ein ewigwährendes Gut, das in Europa fehlte, den Wald. Duquet wusste wie jedermann, dass die englischen Siedler im Süden gut damit verdienten, Kiefern für die Masten der englischen Marine zu fällen. Konnten die Franzosen es ihnen nicht gleichtun? Der Wald war unvorstellbar groß und wuchs immer nach. Er konnte Bauholz und Brennholz für Schiffe, Häuser und zum Heizen liefern. Die Profite würden nie stagnieren."
    Das überzeugt den alten Holländer, die Tochter wird verkuppelt, wenn auch unter der Auflage, dass sie in Amsterdam bleiben wird. Der ehemalige Gassenjunge Charles Duquet, der erst spät das Lesen lernte und nie ein halbwegs manierliches Benehmen, nimmt das gerne hin, er steigt in die feine Gesellschaft auf und erobert einen Standort in der Metropole des europäischen Fernhandels. Duquet hat wahrlich Großes vor, er kann sich nicht einmal mit seinen Kindern begnügen, das Paar adoptiert einige Waisenjungen, damit diese später die bereits geplanten Konzernfilialen von Duquet & Fils leiten können. Leichte Zweifel beschleichen den Holzhändler en gros, als er nach Jahren in die Kolonien zurückkehrt und riesige Brachflächen vorfindet:
    "Flüchtig überkam ihn Angst; wenn Meilen Waldes von ein paar Männern mit Äxten so schnell beseitigt werden konnten, war der Wald dann so verletzlich wie die Biber? Nein, der Wald kam kraftvoll zurück, erneuerte sich aus abgeholzten Stümpfen, warf Samen ab und entsandte Wurzeln, aus denen neue Bäume sprießten. Diese Wälder konnten nicht verschwinden. Sie waren gewaltig und ewigwährend."
    Das Morbide und Groteske unterhält
    Gewaltig und ewigwährend, das ist der nordamerikanische Urwald, und gewaltig ist hier auch die Ironie; Duquet & Fils werden den Urwald umlegen, Jahrzehnt um Jahrzehnt, ein Raubzug über Jahrhunderte hinweg. Grandiose Naturlandschaft und faszinierende Waldszenerien - die zahlreich im Roman erscheinen -, sind erkennbar vom Untergang des Urwaldes her erzählt, das Schicksal der Métis-Holzfäller wird bestimmt vom immer enger werdenden Lebensraum, während aus Duquet & Fils schließlich Duke & Sons wird, ein Familienunternehmen auf Erfolgskurs: Mit unendlichen Quadratkilometern Waldbesitz, hunderten von Sägemühlen, wechselnden Firmensitzen in Boston, Detroit und Chicago, einer Schiffswerft und Eisenbahnbeteiligungen, selbst ein Wald in Neuseeland mit tausendjährigen Kauri-Bäumen und eine Samenzucht in Brasilien gehören dazu.
    All diese Schauplätze bilden großartige Bühnen für eine schillernde Personengalerie, aber ethisch ist die Belegschaft des Holzkonzerns Duke & Sons von zweifelhafter Natur. Diese feine Sippe hält auf einer Plantage in Louisiana 200 versklavte Afrikaner, selbst Indianerfrauen verrichten in ihren Haushalten Sklavendienste und mit dem Geschäft des Mordens ist man bei Duke & Sons auf vertrautem Fuß. Zwangsläufig fast im Fall des charismatischen Gründers, der in der gesetzlosen Wildnis sein Eigentum vor Baumdieben schützen muss, aus weniger drängenden Gründen - ein störender Ehemann, unerwünschte Erben - im Fall seiner Nachfolger. Das Morbide und oft Groteske hat seine unterhaltenden Qualitäten, nicht zuletzt deshalb bleibt man gerne bei der Lektüre.
    Vom Nature Writing zum Global Writing
    Annie Proulx versteht das Handwerk der gerafften Plots und der Figurenverdichtung und entwickelt lebendige Dialoge, anfangs sogar an die jeweilige historische Epoche oder das soziale Setting der Figuren angepasst. Diesen Naturalismus schwächt sie im Verlauf der Erzählung ab, was kein Schaden ist, denn bei der historischen Vielfalt der Figuren und Konflikte ist deren verbale Einheitlichkeit vorteilhafter. Zumal die Geschichte der beiden Clans in zwei versetzten Handlungslinien erzählt wird, deren jeweilige Kapitel die 300 erzählten Jahre nicht lückenlos chronologisch abbilden.
    Auch auf der Ebene der Handlung sind Arbeiter-Erzählung und Kapitalisten-Saga nicht eng verknüpft, und doch erzeugt gerade diese gewagte Makrostruktur eine globale Sichtweise. Man erblickt durch diesen Roman das ökologische Desaster im ökonomischem Prozess, genau das, was heute der kritische Kontext des Nature Writing erfordert. Die sprachliche Mikroebene bleibt in diesem Roman durchaus stilbildend, denn globale Raumtiefe entsteht auch in vignettenhaft gesetzten Informationen dieser Art:
    "Ein ehemaliger Seemann Ende vierzig, dem eine Augenbraue fehlte, war einer der vier im Lager, die mit ihrem Namen unterschreiben konnten. Er behauptete, in jüngeren Jahren auf fünfzig Schiffen ferne Meere bereist zu haben, erzählte von Elefanten und Sklaven in Ketten, die er gesehen hatte, bevor er Holzfäller wurde."
    Ein Roman von exemplarischer Bedeutung
    Ebenso unauffällig sind im gesamten Text verstreut: Ein Arzt aus Indien, der Schmerzen mit Opium lindert; Passamaquoddy-Indianer, die in ihrem urigen Kiefernwald japanischen Tee genießen; Ströme von Rum in billigen Spelunken und vornehmen Herrensalons, Rum aus der Karibik, der zentralen Drehscheibe des transatlantischen Dreieckshandels - und schon das entscheidende Startkapital der Duke-Dynastie stammt aus einem amerikanisch-holländisch-chinesischen Handelsnetzwerk. Es ist dieses wachsende ökonomische Netzwerk der Globalisierung, in dem der Leser hier das ökologisch Ganze untergehen sieht.
    Nun verhandelt der Roman "Aus hartem Holz" die Fragen von Raubbau und Nachhaltigkeit nicht rundheraus politisierend oder aufdringlich akademisch. Annie Proulx schreibt menschliche Tragödie mit Elan und Konsequenz in die Naturgeschichte ein, macht die nordamerikanischen Urwälder zum Mahnmal der gefährdeten Erde und legt einen Roman von exemplarischer Bedeutung vor - besonders wenn man dem öko-kritischen Ansatz folgen will und Literatur selbst als eine ökologische Kraft in einem kulturellen System begreift.
    Annie Proulx: Aus hartem Holz. Roman. Deutsch von Andrea Stumpf und Melanie Walz. Luchterhand: München 2017. 893 Seiten. 26 Euro.