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Anpassungsfähigkeit ist Trumpf

Verhaltensforschung. - Ob im Kindergarten, an der New Yorker Börse oder in den Schaltzentralen der Politik, die Frage stellt sich immer wieder neu: Wie verhalte ich mich, und wie reagieren andere darauf? Ist Aggression besser oder eher Zurückhaltung? Fairness oder Hinterlist? Bilde ich Allianzen oder gehe ich im Alleingang vor? Wie erfolgreiche Strategien aussehen, das versucht man in der sogenannten Spieltheorie herauszufinden. Ein Mathematiker und ein Evolutionsbiologe aus Russland haben jetzt in der Zeitschrift "Nature" ein Modell vorgestellt, das wirklichkeitsgetreuer ist als bisherige Simulationen.

Von Michael Gessat | 21.04.2006
    Wenn in der computergestützten Spieltheorie von "Agenten" die Rede ist, dann handelt es sich nicht um James Bond und Konsorten. Sondern um kleine Programme in einer ebenfalls programmierten Welt. In Mikhail Burtsevs und Peter Turchins Modell besteht diese simulierte Welt aus gerade einmal 900 Zellen, und das Verhalten der Agenten, der Spieler, entwickelt sich ausgehend von einigen wenigen Regeln quasi von alleine. Burtsev:

    "Wir haben versucht, ein Modell zu entwickeln, das ein weites Spektrum von möglichen Strategien erlaubt. In unserem Modell gibt es Raum, wir haben Zellen in einer zweidimensionalen Fläche, und die Agenten können sich zwischen diesen Zellen bewegen."

    Alle müssen um begrenzte Ressourcen konkurrieren. Und mögliche Einzelaktionen sind nichts tun, essen, sich teilen, herumwandern oder angreifen. Strategien entwickeln können die Agenten dabei mit Hilfe eines einfachen eingebauten neuronalen Netzes: Jede gelungene oder misslungene Einzelaktion führt zu einer Art Lerneffekt. Und wenn ein Agent sich teilt, dann vererbt er seine Strategie an seinen Abkömmling. In einem Simulationsmodell mit Einzelkämpfern, das haben frühere Untersuchungen gezeigt, kristallisieren sich nach einiger Zeit drei Strategien, drei Agententypen, heraus: die Tauben, die Konflikten aus dem Weg gehen. Die Falken, die herumschweifen und alles attackieren. Und die "Bürger", die sich in einer Zelle festsetzen und nur Eindringlinge angreifen.

    Im richtigen Leben wird gemeinsames soziales Handel oft über bestimmte Erkennungszeichen gesteuert Von der Stammesbemalung bis hin zu subtilen Sprach- und Kleidungsnuancen reicht da das Spektrum. Um kooperatives Verhalten nachbilden zu können, gibt es etwas Ähnliches auch im Computermodell. Burtsev:

    "”Diese Markierung ist so etwas wie eine Farbe, sie wird vom Elternteil an den Abkömmling weitergegeben, im Fall der Mutation mit einer leichten Veränderung. Die Markierung beeinflusst nicht das eigene Verhalten. Was die anderen Agenten wahrnehmen, ist sozusagen die Differenz zwischen ihrer eigenen Farbe und der Farbe des Gegenübers, ein Grad der Verwandtschaft zwischen den Agenten.""

    Und je größer dieser Verwandtschaftsgrad, um so größer die Kooperationsbereitschaft. Unter dieser Prämisse bilden sich in Burtsevs Simulation naturgetreu weitere Strategietypen heraus:

    "”Die erste ist, wenn ein Agent sofort die Zelle verlässt, sobald ein Verwandter hereinkommt. Und ein "feindlicher" Agent wird auf Leben und Tod bekämpft. Wir haben diese Strategie "Rabe" genannt, weil wir in Russland das Sprichwort haben ‚Ein Rabe hackt dem anderen kein Auge aus’. Und die andere neue Strategie ist die wie bei Starenvögeln. Bei der Star-Strategie bleiben die Agenten gemeinsam mit der Verwandtschaft in der Zelle, solange der Nahrungsvorrat reicht.""

    Wenn ein "Rabe" die Zelle betritt, dann fallen die Stare gemeinsam erfolgreich über ihn her, auch wenn er stärker als jeder einzelne von ihnen ist. Wann die "Raben"- oder "Star"-Strategie die Oberhand gewinnt, das hängt fundamental davon ab, ob eine Zelle mehrere Agenten ernähren kann und wie es insgesamt mit dem Nahrungsangebot aussieht. Das Modell weist da sehr brauchbare Parallelen zur wirklichen Welt auf, meint Michail Burtsev:

    "”Im Moment sehe ich da zwei Übertragungsmöglichkeiten: Die erste ist die Untersuchung von Territorialität bei Tieren. Es ist interessant, dass dabei auf die Frage der Kooperation bislang wenig Augenmerk gerichtet wurde. Üblicherweise hat man sich auf die Bevölkerungsdichte und das Nahrungsmittelangebot allein konzentriert. Und die zweite ist, das Modell zur Untersuchung primitiver menschlicher Gesellschaften zu nutzen. Im Moment ist es sehr spekulativ, und es sollte genauer untersucht werden. Aber wenn wir einen Agenten als kleine Gruppe von Jägern und Sammlern sehen und das Modell also so interpretieren, dass es der Interaktion von solchen Kleingruppen entspricht, dann können wir interessante Parallelen feststellen zwischen den Simulationsergebnissen und den Verhaltensstrategien in tatsächlich existierenden primitiven menschlichen Gesellschaften.""