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Anschlag auf Istanbuler Diskothek
Angeklagtem droht 40 Mal lebenslänglich

In der Sylvesternacht 2016 starben in der Istanbuler Nobeldiskothek Reina 39 Menschen. Der usbekische Hauptverdächtige steht von heute an vor Gericht. Neben ihm sind 56 mutmaßliche Komplizen angeklagt. Mehrere Planer des Anschlags sollen dagegen weiterhin flüchtig sein.

Von Christian Buttkereit | 11.12.2017
    Bilder von Opfern vor dem Nachtclub Reina, in dem ein bewaffneter Attentäter 39 Menschen in der Nacht zum neuen Jahr tötete.
    Bilder von Opfern vor dem Nachtclub Reina, in dem ein bewaffneter Attentäter 39 Menschen in der Nacht zum neuen Jahr tötete. (AFP - Ozan Kose)
    Es war das jähe Ende einer Silvesternacht. Etwa 700 bis 800 Besucher aus aller Welt feierten ausgelassen das neue Jahr in Istanbuls bekanntester Diskothek direkt am Bosporusufer.
    Gegen 1 Uhr 15 erschoss der Täter am Eingang einen Polizisten und einen Zivilisten und verschaffte sich so Zutritt. Sofort eröffnete er aus einer Kalaschnikow das Feuer und schoss mehr als zehn Minuten lang wahllos in die Menge. 37 Menschen starben sofort, zwei erlagen später ihren Verletzungen. 79 Menschen wurden verletzt. Die Spurensuche am Tatort ergab, dass der Täter etwa 180 Schuss abgab. Wer konnte, rettete sich ins Freie, einige sprangen in den Bosporus, wo sie von der Polizei geborgen wurden. Vor dem Club herrschte Panik.
    Chaos genutzt, um zu entkommen
    Als die Rettungskräfte eintrafen, war Täter längst verschwunden. Er hatte das Chaos genutzt, um zu entkommen. Sofort leite die Polizei eine Fahndung ein. "Wir haben eine Beschreibung. Er ist etwas 20 bis 25 Jahre alt und trägt eine graue Hose."
    Kurz darauf bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat zu dem Anschlag. Mit Hilfe von Überwachungskameras gelang es den Ermittlern, den Täter zu identifizieren und seine Spuren in der ganzen Stadt zu verfolgen. Trotzdem sollte es noch zwei Wochen dauern, bis Ministerpräsident Binali Yildirim verkünden konnte: "Der verabscheuungswürdige Terrorist, der in der Silvesternacht den Klub angegriffen und viele Menschen getötet hat, ist gestern von der Polizei gefasst worden. Er wird gerade vernommen."
    Nicht aus ideologischen Motiven, sondern für Geld gemordet
    Gemeinsam mit dem Attentäter wurden drei Frauen und ein Mann festgenommen. Die Polizisten fanden in ihrer Wohnung zwei Pistolen, zwei Drohnen und 197.000 US-Dollar, was als Beleg gesehen wurde, dass der Reina-Täter nicht aus ideologischen Motiven, sondern für Geld mordete. Außerdem, sagte der Gouverneur von Istanbul, Vasip Sahin, habe der Terrorist gestanden und seine Fingerabdrücke bestätigten, dass es sich tatsächlich um den Attentäter handelte: "Abdulkadir Mascharipow, alias Abu Muhammed Horasan, wurde 1983 in Usbekistan geboren. Er ist in Afghanistan zum Terroristen ausgebildet worden und er spricht fließend vier Sprachen."
    Ab heute steht Mascharipow in Silivri vor den Toren Istanbuls vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft fordert für ihn lebenslange Haft. Nicht nur wegen 39-fachen Mordes sondern – wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet, auch wegen des Versuchs, die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen. Dem Usbeken drohten deshalb 40 Mal lebenslange Haft. Hinzu käme vorsätzlicher versuchter Mord an 79 Personen. Allein das kann, rein theoretisch, mit bis zu 2370 Jahren Gefängnis geahndet werden.
    Reina ist seit dem Attentat verwaist
    Neben Mascharipow sind 56 mutmaßliche Komplizen angeklagt. In der 80seitigen Anklageschrift steht jedoch, dass mehrere Planer des Anschlags weiterhin flüchtig seien. Das Reina, sie einstige Nobeldisko, ist seit dem Attentat verwaist, ein Teil wurde abgerissen. Der Betreiber hatte angekündigt, einen neuen Nachtclub in Dubai zu eröffnen.