20 Jahre "Wer wird Millionär?"

Günther Jauch über Zocker und Stoiker

08:51 Minuten
Günther Jauch moderiert Sendung "Wer wird Millionär?" (2010).
Seit 20 Jahren auf Sendung: Moderator Günther Jauch mit seiner Quizsendung "Wer wird Millionär?". © dpa / Rolf Vennenbernd
Günther Jauch im Gespräch mit Dieter Kassel · 03.09.2019
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Vor 20 Jahren lief die erste Ausgabe von "Wer wird Millionär?" über die Bildschirme. Dass die Sendung so erfolgreich werden würde, habe er nicht erwartet, sagt Moderator Günther Jauch, der die Sendung bis heute moderiert. Quiz war „so was von out".
Dieter Kassel: Es ist natürlich Günther Jauch, der gefragt wird, wenn er zum Fleischer geht, ob er a) die Wurst, b) die Wurst oder c) den Schinken möchte. Das hat er mir selber erzählt. Und er hat auch gesagt, dass er sich darüber natürlich nicht wundert. Denn seit 20 Jahren moderiert er nun schon die Sendung "Wer wird Millionär?" – zwischenzeitlich sogar eine Zeitlang dreimal in der Woche, inzwischen einmal: immer am Montag.
Am 3. September 1999 lief die allererste Ausgabe im Fernsehen. Und ich habe ihn gefragt, ob er sich damals eigentlich gedacht hat: 'Das ist meine Sendung! Das möchte ich am liebsten jahrzehntelang machen.'
Günther Jauch: Also, dass ich das Jahrzehnte machen wollte, das konnte ich damals wirklich nicht absehen, aber es war so, dass ich einige Wochen vorher mal ein paar Kassetten des britischen Vorbilds geschickt bekommen hatte. Und obwohl ich da kein Wort verstand, weil die da irgendwelche walisischen Sprichwörter abgefragt haben, hat sich diese Spannung der Sendung auf mich übertragen. Spannung, was dieses ganz simple System, also 100 Pfund, 200 Pfund, 500 Pfund bis hin zur Million anging, Spannung auch, was die Lichtdramaturgie anging, aber auch, was da akustisch ablief.
Auf der anderen Seite war ich natürlich skeptisch, weil Quiz so was von out war. Wenn man das normalerweise im deutschen Fernsehen jemandem vorgeschlagen hätte, wäre man achtkantig rausgeschmissen worden.
Kassel: Und kurz danach hat dann jeder größere Sender eins gehabt, aber sie haben nicht alle so lange überlebt wie "Wer wird Millionär?". Seit Sie die Sendung machen – Sie haben es mir auch schon verraten… Beim Metzger, beim Brötchenholen, beim Taxi werden Sie mit Quizfragen genervt.
Ich mach das heute auch mal ein bisschen, aber eins ist wichtig: Ich hätte es alles nicht gewusst, und es ist völlig unwichtig, ob Sie es wissen, es soll uns eigentlich nur auf gewisse Themen bringen. Wir machen jetzt mal eine Frage Nummer eins: Von wem stammt folgendes Zitat: "Die Liebe besteht zu drei Vierteln aus Neugier." Wer hat es gesagt: A Mahatma Gandhi, B Erika Berger, C Mata Hari oder D Casanova?
Jauch: Das klingt nach Erika Berger.
Kassel: Hätte ich auch gesagt. Es war Casanova.
Jauch: Ah, gerne!

Neugier auf die Kandidaten "ist das Wichtigste"

Kassel: Bei der Liebe, darüber wollen wir uns jetzt nicht unterhalten, ob es drei Viertel sind oder mehr oder weniger, aber wie wichtig ist denn Neugier – nicht auf die Fragen, sondern auf die Kandidaten von einem Quizshow-Moderator?
Jauch: Sehr, unabdingbar, mit Abstand das Wichtigste. Wer keine Neugierde auf die Kandidaten hat, der ist falsch in der Sendung und wird das Format meiner Ansicht nach nie erfolgreich machen können.
Kassel: Sind Ihnen eigentlich die lieber, die vielleicht gar nicht so viel wissen und nur mit Mühe und Not, auch mit ein bisschen Hilfe gerade mal auf 16.000 kommen, aber das auf eine sehr originelle Art und Weise, oder die, die wirklich schlau sind?
Jauch: Ja, klar, ich meine, diejenigen, die einfach antworten B, D, A, die sind natürlich ein bisschen langweilig, wobei man die dann eben in ein Gespräch über ihr Leben oder über ihre Wortkargheit oder über ihre posttraumatischen Belastungsstörungen, woher die auch immer kommen mögen, verwickeln muss.
Insofern nehme ich tatsächlich jeden so, wie er kommt. Nicht mehr so lustig finde ich, wenn Leute einfach nur erwarten, dass ich ihnen die richtige Antwort vorgebe und sie im Grunde an einer Sendung, die man auch als betreutes Gewinnen bezeichnen könnte, teilnehmen.
Günther Jauch im Fernsehstudio vor dem Logo der Sendung "So ein Zoff!" (1987) 
Günther Jauch 1987: Damals war er Moderator der Sendung: "So ein Zoff!, Spaß, Musik und Argumente".© United Archives / Impress-Eigen
Kassel: Wir machen noch eine Frage, und da könnten Sie, glaube ich, viel besser, als die Lösung zu wissen – hätte ich auch schon wieder nicht gewusst –, erraten, was dann auch unser nächstes Thema ist. Die Frage lautet: Wie viel Millionäre gab es eigentlich bei der letzten offiziellen Zählung in Deutschland? Um das ganz korrekt juristisch zu definieren: Es geht um Menschen, die mindestens eine Million Euro anlagefähiges Vermögen haben in Deutschland.
Jauch: Ja, ich glaube, das weiß ich. Ach so, genau, die vier Möglichkeiten. Ich meine, es sind 800.000 und ein paar Zerquetschte. Aber sagen Sie mal die Möglichkeiten.
Kassel: Dann ist klar, was Sie sagen werden: A wären 900.000 gewesen, alles andere sind mehr. Es ist falsch, es sind 1,4 Millionen.
Jauch: Ah, 1,4, aha, gut.
Kassel: Aber damit sind wir beim Thema Geld. Lernt man eigentlich in 20 Jahren "Wer wird Millionär?" was über das Verhältnis der Deutschen zum Geld?
Jauch: Ich denke schon, vor allen Dingen über die unterschiedlichen Typen, also diejenigen, die krampfhaft versuchen, in dieser Sendung Geld zu machen, wieder andere, die relativ locker da reingehen, manche, die mit einer Zockermentalität gesegnet sind, wieder andere, die als Stoiker es sogar verschmerzen können – anscheinend, sag ich mal –, wenn sie von 500.000 auf 500 Euro zurückfallen. Also da begegnen einem tatsächlich alle Typen von höchst gierig bis hin zu, ja, ist mir doch egal, aber es war ein schöner Abend bei Ihnen.
Kassel: Aber man hat auch schon das Gefühl, dass ganz viele, gerade, wenn sie das erste Mal fragen, wenn es noch nicht um so viel Geld geht, ja doch sagen, ja, ich brauch ein neues Sofa, ich muss mein Haus abbezahlen. Also es ist ja oft gar nicht so originell, was die Leute wollen.
Jauch: Das hat tatsächlich zugenommen. Die Leute kommen mittlerweile mit einem festen Projekt in die Sendung. Früher sahen die die Million, das fanden sie faszinierend, und dann wollten sie so viel gewinnen wie irgendwie geht und haben sich dann eben auch manchmal verzockt. Heute haben sie den Wintergarten schon genau ausgemessen, drei Kostenvoranschläge eingeholt, und genau das wollen sie gewinnen, sodass sie dann bei 2000 Euro zur Sicherheit auch schon den ersten Joker nehmen. Das sichert ihnen tatsächlich diesen kleinen Nebenverdienst, wird sie aber niemals zum neuen Millionär machen.

"Die Zahl der potenziellen Kandidaten ist unerschöpflich"

Kassel: Haben Sie eigentlich das Gefühl, dass Sie in 20 Jahren "Wer wird Millionär?" so ziemlich aller Art von Lebewesen, menschlichen Lebewesen, die es so bei uns gibt, auch schon auf dem Stuhl hatten, oder ist das insofern allein schon nicht repräsentativ, weil Sie fest daran glauben, manche machen so was einfach nicht, mitspielen.
Jauch: Mir sind da schon sehr viele begegnet, aber das ist ja das Schöne an der Sendung. Die Zahl der Fragen ist unerschöpflich und die Zahl der potenziellen Kandidaten auch. Und es gibt immer wieder neue Varianten.
Vor Kurzem war da eine Dame, die derart verstockt war, dass sie mir noch nicht mal verraten wollte, wie ihre Katze heißt, und das steigerte sich derart ins Absurde, dass es wirklich absolut köstlich war. Und mit solchen Momenten können Sie nicht rechnen – und dafür ist die Sendung eigentlich Woche für Woche immer gut. Natürlich passiert das nicht immer, aber Sie sitzen, glaube ich, davor und merken, das könnte was werden. Und so sehe ich das natürlich bei den Kandidaten auch. Manche driften dann derart ins Absurde ab, dass es wirklich eine große Freude ist und sehr unterhaltsam. Andere starten furios und fallen dann in gepflegte Langeweile zurück. Eigentlich ist es so wie im richtigen Leben auch.

"Der ewige Feierabend tut nicht gut"

Kassel: Wir gehen auf das Ende zu, und da brechen wir jetzt mal alle Regeln. Ich stelle Ihnen eine Frage, bei der Sie selbst entscheiden, welche Antwort die richtige ist – es geht nicht ums Wissen. Die lautet nämlich: Wenn Deutschlands beliebtester Fernsehmoderator Günther Jauch – keine Schleimerei von mir, ist statistisch belegt –, wenn Sie also in ferner Zukunft irgendwann tatsächlich in den Ruhestand gehen, was machen Sie dann? A Wein trinken mit Thomas Gottschalk, B Kochen mit Tim Raue, C Potsdam verschönern mit Hasso Plattner oder D sich langweilen und dann doch wieder irgendwas mit Medien machen?
Jauch: Die Antworten sind nicht schlecht, und ich könnte mir fast einen Mix aus allem vorstellen, weil das momentan mein Leben ausmacht. Ich hab festgestellt, auch bei vielen Kandidaten, der ewige Feierabend tut nicht gut, der ist sehr verlockend, aber ich kenne diese Menschen, die morgens um zehn auf der Finca in Mallorca schon die erste Rotweinpulle köpfen, und hab festgestellt, dass die nicht zu den glücklichsten Zeitgenossen gehören.
Kassel: Also daraus schließe ich …
Jauch: Insofern also doch so lange wie möglich versuchen, tätig zu bleiben, könnte der beste Weg sein.
Kassel: Das klingt mir so, als ob Sie da einen YouTube-Kanal eröffnen, auf dem Sie mit Gottschalk, Raue und Plattner über Potsdam sprechen und dabei kochen und trinken.
Jauch: Mal schauen.

"Ich freue mich über die Vielfalt"

Kassel: Aber egal, was Sie machen, Sie haben so viel gemacht in Ihrem Leben – von den Hörfunksachen beim Bayerischen Rundfunk am Anfang über ganz viele Fernsehsachen, "stern TV", die Sonntagabend-Talkshow im Ersten und, und, und. Wenn Sie irgendwann wirklich aufhören, werden alle aber immer sagen: Günther Jauch, das war der mit der Millionärsshow. Finden Sie das okay oder finden Sie das ein bisschen ungerecht.
Jauch: Ja, das finde ich völlig okay, das war sozusagen der Blockbuster. Aber was mich so freut, ist, dass ich diese Bandbreite erfahren durfte, dass man mich hat Fußball machen lassen, dass ich "Sportstudio" machen durfte, dass ich in der Politik zu Hause war, dass ich Unterhaltungssendungen machen konnte, dass ich den Clown mit Thomas zusammen machen konnte, dann auch wieder ernst genommen wurde, dass fast alle Sendungen, die ich gemacht habe, am Ende den Leuten auch gefallen haben und dass sie lange gedauert haben – zehn Jahre, 15 Jahre, 20, 21 Jahre "stern TV", und bei "Wer wird Millionär?" könnte es ja auch noch gut weitergehen. Also das macht mir große Freude – und insofern freue ich mich auch über diese Vielfalt und sehe das nicht als ein Verzetteln an.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Hier können Sie eine längere Version des Interviews mit Günther Jauch hören:
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