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Anschlag in Jerusalem
Netanjahu sieht IS-Muster hinter Lkw-Anschlag

Die Schwester des Attentäters spricht von einer Märtyrertat. Israels Politiker fordern massive Strafen gegen die Familie. Ministerpräsident Netanjahu sieht nach dem tödlichen Lastwagen-Anschlag in Jerusalem Parallelen zu ähnlichen Attacken in Europa. Er werde das Problem bekämpfen, sagte er. Doch das tat er bereits nach jedem Anschlag der jüngsten Gewaltwelle.

Von Peter Kapern | 09.01.2017
    Nach dem Lkw-Anschlag in Jerusalem macht sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor Ort ein Bild der Lage.
    Nach dem Lkw-Anschlag in Jerusalem war Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schnell vor Ort, um sich ein Bild der Lage zu machen. (imago/UPI Photo )
    Yael Yakutiel, Shira Tzur, Shir Hajaj und Erez Orbach - vier israelische Offiziersschüler, die gestern ihr Leben verloren. Drei Frauen, ein Mann. Bei einem Terroranschlag in Jerusalem. Sie waren gerade mit ihren Kameraden aus einem Bus ausgestiegen, als ein LKW in die Gruppe hineinraste. Vier Stunden danach war Regierungschef Netanjahu am Tatort.
    "Wir stehen hier nach einem brutalen und tragischen Terrorangriff, bei dem vier israelische Soldaten ermordet worden sind. Wir kennen die Identität des Täters und nach allen vorliegenden Anzeichen ist er ein Unterstützer des sogenannten Islamischen Staats."
    Die Schwester des Attentäters spricht von einem Märtyrer
    Was genau diese Anzeichen sind, das sagte Netanjahu nicht. Ob der Attentäter, der bei dem Anschlag erschossene 28-jährige Ahmed Hamdan Kunbor aus dem Ostjerusalemer Stadtteil Dschabal Mukkaber direkte Beziehungen zur Terrormiliz hatte - was bei Attentätern in Israel zum ersten Mal der Fall gewesen wäre, oder ob der Mann lediglich mit dem IS sympathisierte - das ließ Netanjahu offen. Die Polizei jedenfalls sperrte Dschabal Mukkaber kurz nach dem Terroranschlag ab und verhaftete neun Menschen wegen des Verdachts der Mitwisserschaft. Darunter den Vater und die Brüder des Attentäters. Und zeitgleich trat seine Schwester vor die Kameras palästinensischer Fernsehstationen.
    "Gott bestimmte ihn für das Schicksal eines Märtyrer, Gott sei gedankt! Er hat alles ohne Vorankündigung ganz allein geplant, er gehörte keiner Organisation und keiner Bewegung an – er tat es ganz allein. Gott hatte es so gewollt und Gott sei gedankt! Er erwählte ihn, um als Märtyrer zu sterben."
    Streit um Reaktion der Soldaten am Anschlagsort
    Auch die Hamas, die im Gazastreifen regiert, pries die Tat und forderte andere Palästinenser auf, es dem Attentäter gleich zu tun. Der israelische Bauminister Yoav Galant verlangte unterdessen, das Haus der Familie des Attentäters abzureißen. Eine Routinestrafe, mit der Anschläge dieser Art immer beantwortet werden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren dieses Vorgehen als Kollektivstrafe. Galant forderte außerdem, die Angehörigen des Attentäters nach Syrien auszuweisen - unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft. Und Sicherheitsminister Gilad Erdan kündigte an, den Leichnam des Attentäters nicht der Familie zur Beerdigung zurückzugeben. Er soll an einem geheimen Ort beerdigt werden, zu dem seine Eltern und Geschwister keinen Zugang haben.
    Israelische Politiker streiten zudem, ob die Soldaten am Anschlagsort zu zögerlich das Feuer auf den Attentäter am Steuer des Lastwagens eröffnet haben. Ein Touristenführer, der am Tatort war hatte in einem Interview gesagt, das habe er so wahrgenommen. Prompt verwiesen einige Kabinettsmitglieder auf die Verurteilung eines Soldaten vor einer Woche, der einen am Boden liegenden verletzten Attentäter erschossen hatte. Das Urteil habe die gesamte Armee verunsichert, so die Minister und gefährde nun die Sicherheit des Landes. Die Armee hingegen wies diese Vorwürfe zurück. Ministerpräsident Netanjahu rückte den Anschlag unterdessen in einen internationalen Zusammenhang.
    Ein Ende der Gewaltwelle ist nicht zu abzusehen
    "Ich habe gerade mit dem Verteidigungsminister dem Armeechef und den Geheimdienstchefs darüber beraten, was jetzt zu tun ist. Es gibt eine Reihe von Anschlägen, in Frankreich, in Berlin und jetzt in Jerusalem. Und wir werden dieses Problem bekämpfen."
    Das hat Netanjahu bislang noch nach jedem Anschlag der jüngsten Gewaltwelle, die im Herbst 2015 begonnen hat, zugesagt. Seither sind etwa 40 Israelis und 240 Palästinenser, die meisten von ihnen Attentäter gestorben. Ein Ende der Gewaltwelle ist nicht zu abzusehen, auch wenn die Zahl der Angriffe in den letzten Monaten zurückgegangen ist.