Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Anspruch auf Grund und Boden

Am 25. Mai sind Wahlen im kleinsten Land Südamerikas. Surinam ist ein Landstrich im Nordosten des Subkontinentes, zu drei Vierteln mit Regenwald bedeckt. Die Bevölkerung ist bunt gemischt - ein Erbe aus der Zeit als Surinam noch holländische Kolonie war. Surinamer sind mit Recht stolz auf ihr friedliches multi-ethnisches Miteinander, aber die vielen Rohstoffe des Regenwaldes sind begehrt und deshalb ein Zankapfel. Anneke Wardenbach berichtet aus Surinam.

21.05.2005
    Im Zentrum von Surinams Hauptstadt Paramaribo herrscht reges Treiben. Dutzende kleine Busse schlängeln sich durch den Verkehr, Männer in Anzügen eilen durch die Menschenmenge auf den Bürgersteigen. Die niedrigen Bürogebäude und die prächtigen weißen Holzhäuser aus der Kolonialzeit schützen nur wenig vor der stechenden Tropensonne.

    Nur eine Autostunde weiter südlich sieht es ganz anders aus. Die Straßen werden zu holprigen Lehmpisten, statt Stromleitungen begleitet sie nun dichtes Grün. Eine dieser Lehmpisten führt zu dem kleinen Indianer-Dorf Pikin Poika. Dort wird heute gefeiert.

    Die Musiker schwitzen in ihren bunten Kleidertrachten, zwischendurch hält Häuptling Ricardo Pané eine Rede. Er gratuliert der ersten Frau seit Jahrhunderten, die zum Häuptling gewählt wurde. Neues Selbstbewusstsein bei den Indianern. Zu den Gästen zählen viele Schwarze, Marrons, Nachfahren geflohener Sklaven, die sich tief im Busch ein neues Leben aufgebaut haben. Sie haben viele afrikanische Traditionen bewahrt und waren die ersten unabhängigen Amerikaner nach Kolumbus. Schon 1762 unterzeichneten sie Verträge mit den Kolonialherren – Jahre, vor den USA.

    Rund 30.000 Indianer und Marrons wohnen in Surinams Wäldern. Das Land ist seit 1975 unabhängig, aber die Waldbewohner kämpfen immer noch gegen schwere Diskriminierungen, erklärt Häuptling Pané.
    "Marrons und Indianer streiten mit der Regierung", sagt Pané, ein Mann um die Fünfzig. "Wir wollen endlich Klarheit über die Landrechte. Das Problem ist über 500 Jahre alt. Das ist ein sehr schmerzhafter Punkt und wir werden alle legalen Wege in diesem Kampf beschreiten."
    Indigene Völker sind durch verschiedene internationale Konventionen besonders geschützt, um ihre Kultur und ihr Überleben zu sichern. "Aber Surinam schert sich nicht darum", sagt Rechtsanwalt Fergus MacKay von der Nicht-Regierungs-Organisation "Forest People Programme". Es sei der einzige Staat in Amerika, der seinen indigenen Völkern das Recht auf ihre seit Jahrhunderten an gestammten Gebiete nicht anerkenne.

    Mit Hilfe des Rechtsanwaltes haben die Waldvölker inzwischen mehrere internationale Klagen auf den Weg gebracht. Bei der Organisation Amerikanischer Staaten und bei den Vereinten Nationen.
    Eine klare Anerkennung ihrer Landrechte ist für sie der Schlüssel, um sich gegen Eindringlinge von außen zu schützen. Bisher gilt das Binnenland als Staatseigentum. Indianer und Marrons können ihre seit Jahrhunderten angestammten Gebiete höchstens pachten. Anstatt selbst langfristig etwas aufbauen zu können, müssen sie jederzeit ihre Vertreibung fürchten, wenn dort plötzlich Rohstoffe wie Holz oder Gold abgebaut werden. Seit dem Ende des Bürgerkrieges 1992 stieg der Abbau dieser Rohstoffe in Surinam sprunghaft an. Der Staat verteilt Konzessionen und verdient gut daran. "Wir wollen unser Recht auf unseren Boden", fordert dagegen Häuptling Pané:

    "Der Staat kann einfach herkommen und uns sagen, ihr müsst umziehen, erklärt der Häuptling. Während die Seeschildkröten wohl geschützt sind und ein verbrieftes Recht auf ihre Brutstrände haben. Sind die Tiere denn mehr Wert als wir? Wenn die Welt die Tiere schützen kann, warum uns dann nicht?"

    Tatsächlich geraten Indianer und Marrons in ein Dilemma, wenn Naturschutzgebiete festgelegt werden. Oft dürfen sie dort dann nicht mehr jagen, sammeln oder per Brandrodung kleine Äcker anlegen. Obendrein schützt die Ernennung zum Naturschutzgebiet nicht vor dem größten Problem in der Amazonasregion: dem illegalen Goldabbau. Allein im kleinen Surinam sind in den letzten zehn Jahren schätzungsweise 30.000 Goldsucher in den Regenwald eingedrungen – fast genauso viele wie die Urbevölkerung selbst. Oft in mafiosen Strukturen ausgebeutet, roden die so genannten Garimpeiros den Wald und verseuchen das Wasser bis in den Atlantik hinein mit großen Mengen hochgiftigem Quecksilber. Kleinere, abgeschiedene Indianerstämme drohen aus zu sterben, befürchtet Anwalt MacKay:

    "Die Landrechte-Frage muss in Surinam schnell geklärt werden, sonst ist im Binnenland wenig übrig, wo Menschen leben können. Goldgräber hinterlassen sogar in Nationalparks reine Mondlandschaften", berichtet der Anwalt.

    Surinams sehr reiches kulturelles und natürliches Erbe ist durch diese unkontrollierte Ausbeutung des Regenwaldes akut in Gefahr. Gleichzeitig droht sich der Streit um die Rohstoffe entlang ethnischer Linien zu definieren, rassistisch zu werden. Überspitzt gesagt: Waldbewohner gegen Stadtmenschen.

    Schulkinder versammeln sich jeden Morgen vor dem Unterricht auf dem Hof, hissen die Flagge und singen die Nationalhymne. Das ist Tradition in Surinam, egal, ob in der Hauptstadt oder tief im Busch. Doch untereinander haben sie kaum Kontakt. Reisen ist beschwerlich und teuer. Straßen gibt es kaum, im Binnenland geht es nur per Flugzeug oder Einbaum voran. Das macht die Menschen zu Fremden im eigenen Land.

    Dagegen kämpft seit vier Jahren eine in Surinam einmalige Bürgerinitiative. Mit 5000 Euro von der "Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz" aus Deutschland, organisiert sie einen Schüleraustausch: Indianer-, Marron- und Stadtkinder besuchen einander. Das Credo: Naturschutz geht nur über das gegenseitige Verständnis der verschiedenen Volksgruppen in Surinam. Greet van der Lei koordiniert das Projekt:

    "Interesse wecken. Sie sollen besser verstehen, dass die Menschen im Binnenland auch ein Stück Land besitzen wollen. Dass die Rohstoffe nicht vor ihren Augen verschwinden. Über die Kinder erreichen wir die Eltern. Das funktioniert gut. Wenn die Kinder zu Hause von ihrer Reise erzählen, wollen die Eltern auch dorthin."

    Die Forderung nach Landrechten wird von Kritikern gern als Habgier abgetan. Doch Indianer und Marrons werden sich immer bewusster, wie wenig von den Gewinnen an den Rohstoffen zu ihnen zurückfließt. Beispiel Bildung: Lehrer im Binnenland sind derart schlecht ausgebildet, dass sie an der Küste gar nicht unterrichten dürfen. Internate für Binnenland-Kinder, die zur weiterführenden Schule in der Hauptstadt wollen? Fehlanzeige. Auch deshalb zielt das Projekt auf die Kinder, erklärt Projektleiterin Greet van der Lei. Sie sehen mehr von ihrem Land: Nur wer es schätzen lerne, könne es auch schützen.