Donnerstag, 28. März 2024

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Anständig umgemodelt

Nein, er führte niemals ein "von" im Titel – vor allem aber hat er niemals einen Benimmratgeber geschrieben. Dass sein Name bis heute als Synonym für Etikette und Manieren gilt, darüber hätte der Aufklärungs-Schriftsteller Adolph Freiherr Knigge nicht schlecht gestaunt.

Von Beatrix Novy | 02.01.2013
    "Knigge sprach zu seinen Jüngern
    Hähnchen ißt man mit den Fingern."


    Man kann es nicht oft genug wiederholen: Adolph Freiherr Knigge hat niemals ein Benimmbuch geschrieben. In seinem 1788 erschienen Ratgeber "Über den Umgang mit Menschen" kommen Brathähnchen nicht vor. Höflichkeit, diese wichtige Ressource fürs erträgliche Miteinander, war nur eine Facette im weiten Feld der Möglichkeiten, sich in der Gesellschaft moralisch und praktisch zu behaupten. Einer Gesellschaft, die Knigge sorgfältig in Stände, Typen und Berufe einteilte. Der Germanistikprofessor Karl-Heinz Göttert, Knigge-Biograf und selbst Autor einer "Geschichte des Anstands", erklärt das Prinzip des Buches.

    "Das wird auch in Kapiteln genau aufgedröselt, es geht also zum Beispiel um Umgang mit ferner stehenden Menschen, mit Vorgesetzten oder so etwas. Was macht man mit dem Hausherrn im Sinne des Vermieters, Sie können da nachschlagen, wie man mit Juristen umgeht, mit Geistlichen."

    Sowie mit Hofleuten, Juden, Dienern, Frauen, Künstlern, Gelehrten. Aber auch mit Kindern, Gatten, Freunden, Frauen.

    "Huldige nicht mehrern Frauenzimmern zu gleicher Zeit, an demselben Orte, auf einerlei Weise."

    "Wer sich bei Buchhändlern, besonders in minder großen Städten, beliebt machen will, der leihe und verleihe nicht viel Bücher und errichte keine Lesegesellschaften."

    "Halte Dich über niemandes Gestalt, Wuchs und Bildung auf! Es steht in keines Menschen Gewalt, diese zu ändern."

    Und fast immer nimmt der Autor eine mittlere Position des rechten Maßes ein, zwischen Förmlichkeit und Natürlichkeit, Nachsicht und Strenge, Respekt und Selbstbewusstsein. Soviel gesunder Menschenverstand bringt naturgemäß viele zeitlose Sentenzen hervor:

    "Interessiere dich für andere, wenn du willst, dass andere sich für dich interessieren sollen!"

    Sehr vernünftig. Allerdings: Neu war das alles nicht für Knigges Zeitgenossen, im Gegenteil, sein voluminöses Werk war nur der popularisierte Nachkömmling einer ganzen Welle von frühen prä-psychologischen Abhandlungen. Aber vielleicht schrieb Knigge aus einem persönlichen Motiv heraus. Karl-Heinz Göttert:

    "Äußerste Vorsicht. Die Menschen sind gefährlich. Man muss sie kennen, und aus dieser Kenntnis heraus mit ihnen dann eben umgehen, indem man letztlich die Widrigkeiten umschifft. Also es geht im Grunde um diese Gefahren des Lebens, in denen man unweigerlich untergeht, wenn man nicht Knigge ist oder den Knigge gelesen hat."

    Einen Untergang hatte der ganz junge Knigge schon einmal kennengelernt, adlig, aber verwaist und verarmt war er. Als Jurist in immer neuen Positionen tätig, hatte er wie jeder Bürger sein Fortkommen selbst in die Hand nehmen müssen und die Bedeutung einer vorteilhaften Selbstdarstellung kennengelernt.

    "Ohne sich zu Prahlerei und zu niederträchtigen Lügen herabzulassen, soll man doch nicht die Gelegenheit verabsäumen, sich von seinen vorteilhaften Seiten zu zeigen."

    Die Widrigkeiten des Lebens erfuhr er bei seinen Versuchen, an irgendeinem deutschen Fürstenhof eine feste Anstellung zu finden. Das Kapitel über den Umgang mit den "Großen dieser Erde" beruht durchaus auch auf eigenen Erfahrungen.

    "Dränge dich den Vornehmen und Reichen nicht auf, wenn Du nicht von ihnen verachtet werden willst!"

    Die großen Herren kommen nicht gut weg bei Knigge, noch weniger die dackelnden und arroganten Höflinge – aber das alles war Gemeingut im späten 18. Jahrhundert, kurz vor der Französischen Revolution. Knigge, Mitglied des Illuminatenordens und der Aufklärung verpflichtet, begrüßte den Umsturz im Nachbarland, auch wenn seine Ansichten über Frauen oder Bauern ein stark eingeschränktes Verständnis von Freiheit und Gleichheit verraten. Als Knigge 1796 starb, war er als deutscher Jakobiner in aller Munde. Karl-Heinz Göttert:

    "Das Buch selber trat dann in den Schatten, weil das völlig überdeckt worden ist von dieser politischen Tätigkeit. Und hinterher wurde es genau umgekehrt, hinterher hatte man vergessen, dass Knigge ein angeblicher Revolutionär war, und dann war nur noch das Buch in aller Munde."

    Knigge, der unermüdliche Schriftsteller, hinterließ Romane, Erzählungen, Essays, ein riesiges Oeuvre, das in den Jahren der Restauration nach und nach vergessen wurde. Nur "Vom Umgang mit Menschen" blieb – von unbekümmerten Lektoren umgemodelt zu einem Ratgeber in Fragen der sogenannten Etikette. Mit denen sich Knigge ausdrücklich nie hatte befassen wollen.