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"Anstatt Hörsäle zu besetzen, sollte man Rathäuser besetzen"

Die Praxis der Hörsaalbesetzungen zielt nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Straubhaar in die falsche Richtung. Die Studierenden sollten nicht den universitären Lehrbetrieb behindern, sondern die Politik zum Handeln auffordern.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Regina Brinkmann | 17.11.2009
    Regina Brinkmann: "Campus & Karriere" hier im Deutschlandfunk an diesem bundesweiten Bildungsstreiktag. Ungewöhnlich wohlwollend fallen viele Reaktionen auf die Streik- und Protestbewegung der Studierenden aus. Vertreter aus Wissenschaft und Politik beklagen selbst die handwerklichen Mängel der Studienreform und drängen auf schnelle Verbesserung. Doch es gibt auch kritische Stimmen. Heinz-Peter Meidinger, Chef des Deutschen Philologenverbandes, beispielsweise beklagt das diffuse Bild, das diese Proteste abgäben. Und auch Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburger WeltWirtschaftsInstitutes kann den Protesten nicht wirklich viel abgewinnen. Was haben Sie dagegen einzuwenden, Herr Straubhaar?

    Thomas Straubhaar: Genau, wie Sie es eben angesprochen haben, denke ich, dass viele diese jetzt vorgetragenen Vorwürfe letztlich inhaltsleer bleiben. Sie sind zum Teil auch banal und rückwärtsgewandt, weil sie alte Themen, die eigentlich gerade zum Beispiel auch mit neuen Finanzierungsmodellen angesprochen waren, wieder aufgreifen. Zum Beispiel geht es gleichermaßen um Abschaffung von Studiengebühren, es geht um soziale Fragen, es geht um die Frage von Bachelor und Master und den Bologna-Prozess, und das wird dann alles vermengt in eine sehr diffuse Gemengelage.

    Brinkmann: Aber das klingt so, als ob Sie die Lage der Studierenden nicht wirklich ernst nehmen. Die leiden ja offensichtlich unter diesen Studienbedingungen, unter dieser Studienreform. Das kann man doch nicht als inhaltsleer abtun.

    Straubhaar: Die leiden auf jeden Fall drunter, und ich denke, es ist höchste Zeit, dass eben nicht nur über Bildungsreformen gesprochen wurde und im Prinzip immer wieder vertröstet wird, dass es jetzt besser werden soll und dass allgemeiner Konsens besteht, dass das deutsche Bildungssystem sehr, sehr stark unterfinanziert ist. Wenn man aber dann beginnt, wie in den 68er-Tagen Hörsäle zu blockieren und Professorinnen und Professoren abzuhalten, ihre Vorlesungen zu halten, dann schadet man ja nicht der Politik, die sich dann umso mehr wieder draus heraushalten kann, sondern man schadet dem universitären Lehrbetrieb. Und das, denke ich, ist eben ein völlig falscher Ansatz. Anstatt Hörsäle zu besetzen, sollte man Rathäuser besetzen.

    Brinkmann: Aber was soll das bewirken? Sollen sich die Studenten in den Regen stellen?

    Straubhaar: Also ich denke, ob man jetzt nass wird oder nicht nass wird, ist nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage ist, dass sich der Protest an jene richten müssen, die letztlich dafür verantwortlich sind. Und das sind nun einfach heute – und das ist anders als in den 68er-Jahren – nicht die Professorinnen und Professoren, sind nicht die Universitätsleitungen, im Gegenteil. Von den Sachfragen her stehen wir durchaus, also stehe ich auf jeden Fall, durchaus hinter den Anliegen der Studierenden, aber die gewinnen überhaupt nichts, wenn sie diesen Protest jetzt auf Hörsäle und Audimax der Universitäten beschränken, sondern die müssten, wie gesagt, die müssten vor die Rathäuser gehen, sie müssten vor den Bundestag gehen, sie müssten auf die Straße gehen und nicht den Lehrbetrieb sozusagen noch wieder hindern, weil das führt in eine falsche Richtung.

    Brinkmann: Aber Herr Straubhaar, geht es nicht eigentlich darum, dass diejenigen, die jetzt angesprochen werden sollen, eigentlich überhaupt erst mal zuhören müssten, egal ob sich die Studierenden in einem Hörsaal treffen oder vor einem Rathaus? Es geht ja erst mal darum, dass die Botschaft ankommt, und die kommt ja offensichtlich seit, ja, Wochen, seit Monaten, seit Jahren nicht an in der Politik. Was müsste da passieren?

    Straubhaar: Da, denke ich, wäre es völlig richtig, die Anliegen, die ja durchaus von vielen Kreisen geteilt werden, auch von mir, bezüglich der Kritik zum Beispiel am Bolognaprozess, zum Beispiel am föderativen Aufbau des deutschen Bildungssystems, das ursprünglich gut gemeint, aber mittlerweile eben schlecht gemacht wurde in dem Sinne, dass es zwar den Wettbewerb fördern möchte, aber letztlich genau diesen Wettbewerb jetzt verhindert, dass man sehr viel stärker auch die bundesweiten Kompetenzen stärken sollte, dass viel, viel mehr Geld anstatt in Schulden und zugunsten ...

    Brinkmann: Aber da wiederholen Sie doch eigentlich die Forderung der Studierenden, muss ich an dieser Stelle mal sagen.

    Straubhaar: Ja, aber ich würde sagen, dass es eben viel sinnvoller wäre anstatt dann als Konsequenz die Abschaffung der Studiengebühren zum Beispiel zu proklamieren, was genau dem Bildungssektor Geld entzieht, dass man eben sagt, wir brauchen eine ganz grundsätzliche Neuorientierung von Steuersystemen, das eben letztlich durchaus Studiengebühren mit beinhaltet, aber dort, wo es Hilfe nötig macht für die Ärmsten der Studierenden, dass die leichter zu finanzieller Hilfe kommen, dass es Darlehen gibt, dass es Stipendien gibt, dass es Bildungsgutscheine gibt, dass es kostenlose Schulmahlzeiten in den Schulen gibt, kostenlosen Kindergartenbesuch gibt. All diese Vorschläge sprechen nicht gegen das, was die Studierenden sozusagen im Fokus jetzt haben, wenn es hier um die Abschaffung von Studiengebühren reden.

    Brinkmann: Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburger WeltWirtschaftsInstitutes, vielen Dank für das Gespräch!