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Anstieg der Neuinfektionen
Großbritannien steht vor drastischen Corona-Maßnahmen

Das Krisenkabinett kommt zusammen, um über die aktuelle Corona-Lage zu beraten. Premierminister Boris Johnson will sich mit einer Ansprache an die Nation wenden. Infektiologen gehen davon aus, dass sich das Ausmaß der Neuinfektionen circa alle sieben Tage verdoppelt - die Prognosen sind düster.

Von Burkhard Birke | 22.09.2020
Junge Menschen genießen am Abend ein Bier in der warmen Sonne in Barnes im Südwesten Londons
Junge Londoner genießen noch ein Pint in Barnes, während eine Corona-Ausgangssperre im Land diskutiert wird (picture-alliance / ZUMA / London News Pictures / Alex Lentati)
4.368 neue Coronainfektionen gestern, fast 400.000 insgesamt und knapp 42.000 Tote offiziell bisher: Großbritanniens Top-Gesundheitsberater schlagen Alarm.
Mangelnde Disziplin, vor allem jüngerer Bürger, gelten als Ursachen
"Derzeit glauben wir, dass das Ausmaß der Epidemie sich circa alle sieben Tage verdoppelt. Sollte das unvermindert so weitergehen, hätten wir Mitte Oktober rund 50.000 Fälle pro Tag. Das würde einen Monat später, Mitte November, zu mehr als 200 Todesopfern pro Tag führen."
Warnt Sir Patrick Vallance und forderte eine schnelle Reaktion. Die Rückkehr zu einer gewissen Normalität im Alltag, der Tourismus, kühlere Temperaturen im Herbst und unzureichende Testkapazitäten sowie mangelnde Disziplin - vor allem jüngerer Bürger - gelten als Ursachen für den rasanten Wiederanstieg der Coronazahlen. Der Beginn der Grippesaison erschwert die Bekämpfung der Pandemie zusätzlich.
Ein Schild am West Wittering Beach in West Sussex. Durch den Coronavirus-Lockdown ist in Großbritannien das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen gekommen.
Junge Menschen leiden verstärkt unter Einsamkeit
Junge Menschen fühlen sich in Großbritannien laut einer Studie derzeit besonders isoliert. Das erst vor zwei Jahren geschaffene Einsamkeitsministerium müsse hier noch aktiver werden, fordert die Autorin.
Rede an die Nation: Johnson will neue Einschränkungen ankündigen
Die kommenden sechs Monate seien kritisch und alle müssten dies gemeinsam sehr ernst nehmen, mahnte der Chefmediziner der Regierung und Epidemiologe, Chris Whitty. Angesichts solcher Kassandrarufe will die Regierung die Hand-, nicht aber die Notbremse ziehen.
Premierminister Boris Johnson will im Parlament neue Maßnahmen ankündigen und am Abend zur Nation sprechen. Kabinettsminister Michael Gove bereitete die Öffentlichkeit im Fernsehsender Sky schon auf das vor, was die Briten demnächst an neuen Einschränkungen und Empfehlungen zu beachten haben.
"Diejenigen, die von zu Hause aus arbeiten können, ermutigen wir, dies zu tun. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass es viele Tätigkeiten am Bau, in der Fabrikation, im Einzelhandel und anderen Bereichen gibt, wo das einfach nicht möglich ist. Betriebe des Gaststättengewerbes sollen offen bleiben, aber es darf nur an Tischen serviert und spätestens um 22 Uhr muss geschlossen werden."
Unterstützung für sozial Schwache
Seit einigen Tagen bereits dürfen sich nicht mehr als sechs Personen gemeinsam in Räumen oder außen aufhalten. Bei Verstößen werden Strafen von bis zu 10.000 Pfund fällig. Andererseits will die Regierung Personen mit niedrigem Einkommen unterstützen, die wegen Corona isoliert sein müssen. Sie sollen 500 Pfund während der Quarantäne erhalten.
Die zum 1. Oktober geplante Öffnung von Sportveranstaltungen wie Rugby zum Beispiel fürs Publikum dürfte wohl noch einmal verschoben werden. Einen neuen Lockdown – also die ganz radikale Variante der Ausgangsbeschränkungen will die Regierung tunlichst vermeiden. Das wäre, wie Labour-Oppositionsführer Keir Starmer heute auf seiner virtuellen Parteitagsrede betonte, ein Eingeständnis des Scheiterns.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)