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Anstoß für Frauen-Offensive

Eines der Themen, das vor der EM aufgeregt diskutiert wurde, war die illegale Prostitution in der Ukraine. Auch darüber hinaus werden Frauen in Beruf und Alltag systematisch benachteiligt. Noch steht die Emanzipationsbewegung auf einem schwachen Fundament – kann die EM daran etwas ändern?

Von Ronny Blaschke | 30.06.2012
    Es war 1988, der Eiserne Vorhang war noch verschlossen, als im Nationalstadion von Kiew die Fußballer von Dynamo Kiew und Spartak Moskau aufeinander trafen, beobachtet von 100000 Menschen. Für die Halbzeitpause hatten sich die führenden Klubs der Sowjetunion eine Art Zirkus gewünscht. Sie warfen einen Ball auf den Rasen und schickten 22 Frauen hinterher. Mit dabei: die Verteidigerin Tatjana Verezubowa.

    "Die Männer im Stadion haben uns begafft und uns ausgelacht. So schlimm ist es heute nicht mehr, aber wirklich respektiert wird Frauenfußball von den meisten Männern nicht. Sponsoren interessieren sich nicht für uns, die Förderung von talentierten Mädchen leidet darunter. Und auch bei der Vergabe von Plätzen und Hallen haben wir das Nachsehen."

    Tatjana Verezubowa hat ab 1992 zwanzig Jahre für das ukrainische Nationalteam gespielt. Ihr größter Erfolg: Die Qualifikation für die EM 2009 in Finnland. Sonst hat sich die ukrainische Auswahl weder für eine WM noch für Olympia qualifizieren können. Auch, weil Staat, Fußballverband und Oligarchen kaum Geld zur Verfügung stellen. Oleg Blochin, Trainer des Männernationalteams, sagt offen, Frauen hätten im Fußball nichts verloren. Sprüche, die Tatjana Verezubowa, regelmäßig hört.

    "Ich arbeite inzwischen im Trainerstab unseres Frauennationalteams, an der Spitze steht ein Mann. Aber wäre es nicht sinnvoll, wenn Fußballerinnen auch von einer Frau trainiert würden? Die Ukraine ist noch nicht bereit, um einer Frau so viel Verantwortung zu übertragen."

    Der Fußball spiegelt auch in diesem Thema die gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Das Bild der ukrainischen Frau wird von Klischees geprägt: Aufreizend und arm habe sie ihrem Mann zu dienen. Laut Studien seien weniger als ein Prozent der Frauen ehrenamtlich aktiv. In Führungspositionen ist die Frauenquote wesentlich niedriger als zum Beispiel in Deutschland. Auch deshalb ist die Aktivistin Marlene Assmann mit ihren Berliner Freundinnen während der EM in die Ukraine gereist.

    "Die Geschlechterbilder sind viel stärker noch, viel traditioneller. Es gibt viel mehr Anforderungen an Frauen als bei uns in Deutschland. Und damit ist es bei uns auch einfacher auszubrechen aus der Rolle. Man sieht ja schon die Kleidung auf der Straße: Frauen tragen Frauenkleidung, Männer tragen Männerkleidung. Und damit ist es auch außergewöhnlicher, wenn Frauen Männersport machen. Fußball gilt ja immer noch als Männersport. Und deswegen hat auch Frauenfußball hier eine wichtige Bedeutung."

    Marlene Assmann gehört zu Discover Football. Mit Hilfe des Fußballs engagieren sich die Frauen für Gleichberechtigung. Sie haben in Teheran gegen das iranische Nationalteam gespielt, sie haben Turniere in Berlin organisiert, um Frauen aus Diktaturen zu stärken. In diesem Sommer waren sie mit in einem Kleinbus in Polen und der Ukraine unterwegs, ihre Kleinfeldspiele und Diskussionsrunden fanden große Beachtung der lokalen Presse. Die Trainerin Verezubowa hofft, dass diesem Anstoß eine Frauen-Offensive folgen wird.