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Anthropologie
Warum wir sesshaft wurden und uns seither bekriegen

Die Vorstellung des glücklichen, gesunden und Fleisch fressenden Steinzeitmenschen hat Hochkonjunktur. Doch stimmt es, dass früher - vor dem Aufkommen von Ackerbau, Viehzucht und Sesshaftwerdung - alles besser war? Brenna Hassett macht in ihrem aktuellen Buch eines klar: Das Leben in der Steinzeit war kein Picknick.

Von Michael Stang | 16.07.2018
    Wer meint, dass früher alles besser war und das Leben unserer Vorfahren in der Steinzeit viel beschaulicher, sollte einen Blick in das Buch von Brenna Hassett werfen.
    Denn in ihrem Werk "Warum wir sesshaft wurden und uns seither bekriegen, wenn wir nicht gerade an tödlichen Krankheiten sterben", rückt die Archäologin vom Museum für Naturgeschichte in London solche Zerrbilder gerade - und erzählt die Geschichte der Zivilisation so unterhaltsam wie informativ.
    Zunächst beginnt sie mit dem Siegeszug der Städte.
    "Belege für steigende Bevölkerungszahlen in Form von mehr Toten und zunehmender Siedlungsgröße wurden in Sudamerika, China und dem Nahen Osten für die Zeit gefunden, als sich in den jeweiligen Gebieten der sesshafte Lebensstil durchsetzte. Viele Autoren argumentieren, dass diese Bevölkerungsexplosion dazu beitrug, die revolutionären Konzepte der Jungsteinzeit – ein sesshaftes Leben und Landwirtschaft – an neue Orte zu bringen; der Babyboom, der sich aus der Tatsache ergab, dass die Mütter dank des sesshaften Lebens auch mal die Füße hochlegen konnten, führte dazu, dass sich die wachsende Population in angrenzende Gebiete ausbreitete."
    Denn in den größeren Siedlungen konnten Frauen, dank Arbeitsteilung und besserer Nahrung, plötzlich weitaus mehr Kinder bekommen als je zuvor. Klingt einleuchtend, doch die Autorin scheut sich nicht, diese These kurz darauf gleich wieder in Frage zu stellen.
    Warum die Städte sind wie sie sind
    "Wenn Städte so toll sind, warum stecken sie dann voller Dinge, die uns töten? Das Leben in der Stadt serviert uns einen Cocktail der gefährlichsten Dinge, die der Menschheit bekannt sind– Krankheit, Ungleichheit und natürlich andere Menschen. Es ist daher nicht unvernünftig zu fragen: Warum haben wir Städte auf diese Art erschaffen?"
    Brenna Hassett kommt immer wieder auf die stummen Zeugen der beschriebenen Epochen zurück: die Skelette unserer Vorfahren.
    Ein Kapitel beschäftigt sich ausschließlich damit, welche Wunden und Frakturen auftreten können, wenn Menschen versuchen, sich gegenseitig den Schädel einzuschlagen – was in grauer Vorzeit, als der Mantel der Zivilisation noch dünner war, alles andere als selten vorkam.
    "Machen wir ein kleines Experiment: Stellen Sie sich hin, die Hände an den Seiten [..] und plötzlich – ein Angriff! Etwas kommt von vorn und schräg oben auf Sie zu; vielleicht ein Kerzenleuchter, vielleicht ein Froschregen. So oder so, wenn Sie instinktiv einen Arm gehoben haben, um die fliegende amphibische Bedrohung abzuwehren, verstehen Sie den Mechanismus einer "Parierfraktur".
    Das Buch macht deutlich, dass unsere Spezies, die sich selbst als Krone der Schöpfung sieht, historisch gesehen nur selten wirklich klug agierte und häufig über Leichen ging.
    Mal bewusst, mal unabsichtlich, etwa als Entdecker, die Neuland erkundeten, tödliche Infektionskrankheiten verbreiteten.
    Der Mensch ist ein Meister der Anspassung
    Durch Fortschritte bei Medizin, Hygiene und Ernährung ist die durchschnittliche Lebenserwartung in den vergangenen Jahrhunderten zwar drastisch gestiegen. Doch für das Leben in urbanen Ballungszentren, so Brenna Hassett, seien wir Menschen bis heute nicht gut gewappnet.
    "Es dauerte Hunderttausende von Jahren, bis wir so weit waren, uns niederzulassen, aber in 15.000 Jahren haben wir uns in eine Spezies verwandelt, in der jeder einzelne Aspekt des Lebens mit dem Urbanismus in Berührung steht. Wenn wir 2030 zu 60 Prozent in Städten leben, müssen wir darin besser werden."
    Glücklicherweise – so die Autorin - sei Anpassung das, was Menschen am besten können.
    • Zielgruppe: Für alle, die sesshaft sind oder es gerne werden wollen.
    • Erkenntnisgewinn: Das Leben in der Steinzeit war kein Picknick. Doch auch in modernen Städten lauern tödliche Gefahren.
    • Spaßfaktor: Wie bei einer guten Hochzeitsrede: Witziger Einstieg, ernsthafter Mittelteil - und am Ende darf wieder gelacht werden.
    Brenna Hassett: "Warum wir sesshaft wurden und uns seither bekriegen, wenn wir nicht gerade an tödlichen Krankheiten sterben."
    Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Schmidt-Wussow, THEISS Verlag 2018, 338 Seiten, Preis: 24,95 Euro