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Anthropozän-Debatte
Rolle und Verantwortung der Wissenschaft in der Epoche der Menschheit

Von Kay Müllges | 27.11.2014
    Anzeichen für eine neue Epoche in der Erdgeschichte gibt es viele. Die Hälfte, wenn nicht gar drei Viertel, da gehen die Schätzungen auseinander, der eisfreien Landoberfläche sind nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zustand. Die tropischen Regenwälder verschwinden rapide und mit ihnen ein Großteil der biologischen Vielfalt der Erde. Mehr als die Hälfte des auf der Erde verfügbaren Süßwassers wird inzwischen vom Menschen genutzt, 90 Prozent der Biomasse auf unserem Planeten werden von Haus- und Nutztieren des Menschen gebildet. Doch rechtfertigen solche Zahlen allein die Rede vom Anthropozän? Thomas Jahn, Sprecher des Instituts für sozialökologische Forschung meint ja:
    " Wir haben bisher immer unter dieser Forderung gestanden, dass wir uns die Erde untertan machen sollen und das gilt für das, was wir seit zwei- dreitausend Jahren, vielleicht noch etwas länger, im Grunde in Landwirtschaft und so weiter beobachten können. Das Neue aber ist: Die Erde schlägt zurück! Infrage steht, ob überhaupt erdgeschichtlich der Mensch eine Zukunft hat? Das ist das Neue was aufgeworfen wird mit dem Anthropozän."
    Sind der menschengemachte Klimawandel und seine katastrophalen Auswirkungen überhaupt noch aufzuhalten? Muss die Menschheit sich gar in absehbarer Zukunft eine neue Heimat beispielsweise auf dem Mars suchen? Macht- und Ohnmachtsgefühle lägen bei der Diskussion über das Anthropozän interessanterweise eng beieinander, so Thomas Jahn:
    "Daraus ziehen viele den Schluss: Wenn das sowieso schon alles in geologischen Zeitabläufen passiert, dann spielt es überhaupt keine Rolle mehr, was ich im Einzelnen auch in meinen Leben, auch in meinen beruflichen Leben ändere. Für andere hingegen löst es die Vorstellung aus: Ja, wir sind die entscheidende Kraft und wir müssen sie noch viel mehr und viel stärker einsetzen, um eine Natur uns zu erschaffen, wie wir sie uns wünschen."
    Ganz anders argumentiert der Mitbegründer und Direktor der Stiftung Futurezwei, Harald Welzer. Er ist der Ansicht, den Begriff des Anthropozäns solle man einwickeln und wegschmeißen, denn:
    "Die Probleme, die wir im Umweltbereich, im Klimabereich haben, gehen ja nicht darauf zurück, das der Mensch etwas Bestimmtes getan hat, als anthropologisch sich immer gleich bleibendes Wesen. Sondern womit wir es zu tun haben, ist ein historisch junger Prozess, der Zerstörung der natürlichen Ressourcen und auch der Überlebensbedingungen im Bereich Klima und so weiter. Und der geht zurück auf eine historisch sehr junge Wirtschaftsweise und eine Form von Gesellschaft, die auch erst einige hundert Jahre alt ist. Das heißt, wir haben es mit einem kulturellen und historischen Phänomen zu tun und nicht mit einem anthropologischen. Und der Begriff des Anthropozäns tut so, als sei das gewissermaßen natural, als müssten Menschen so sein, wie sie jetzt sind. Und deshalb ist der Begriff völlig irreführend."
    Wenn überhaupt, so Welzer ironisch, seien deshalb Begriffe wie Monetozän oder Kapitalozän angemessen. Zudem werde die Diagnose dadurch kompliziert, dass der Kapitalismus ja nicht nur zerstörerische Seiten habe:
    "Wir leben nicht rein zufällig in Demokratien, in rechtsstaatlichen Gesellschaften, in freien Gesellschaften, sondern wir leben in solchen Gesellschaften, weil diese Wirtschaftsweise uns genau diesen Standard erst ermöglicht hat. Also man muss ja nur mal an so etwas denken, wie die Verdoppelung der Lebenserwartung in nur hundert Jahren. Alphabetisierung, allgemeines Gesundheitsniveau. Das sind ja alles zivilisatorische Güter, die mit dieser Form von Wirtschaft und Gesellschaft einhergegangen sind. Und wir stehen jetzt vor dem wirklich nicht trivialen Problem, wie man diesen immateriellen zivilisatorischen Standard, also frei zu sein und sicher leben zu können, aufrechterhalten kann mit einer Form des Wirtschaftens, die ungefähr 80 Prozent weniger Aufwand mit sich bringt, wie das, was wir heute tun. Und das weiß kein Mensch, wie das gehen soll."
    Sicher sei nur, wie es nicht gehen werde.
    "Zunächst mal, muss man sehr deutlich sagen, dass es eine Illusion ist, zu glauben, man könne die gesamten Stoffwechselprozesse so lassen, wie sie sind und sie irgendwie grüner machen. Man könne weiter Wachstumswirtschaft betreiben, indem man das Adjektiv grün davor stellt. Das ist alles Quatsch."
    In die Zukunft denkt auch Mark Lawrence. Das bisherige Anthropozän sei ja dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch mehr oder weniger unabsichtlich die Lebensbedingungen auf unserem Planeten verändert habe. Was aber wäre, fragt der Atmosphärenwissenschaftler am Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam, wenn wir in Richtung Anthropozän 2.0 gingen?
    "Anthropozän 2.0 wäre, wenn wir als Menschheit entscheiden eine absichtliche koordinierte Beeinflussung des Erdsystems anzugehen, beispielsweise durch Climate-Engineering oder durch andere Beispiele, wie ein global koordiniertes Landflächenmanagement oder ein global koordiniertes Wassermanagement."
    Bislang seien Mitigation, also Abschwächung des Klimawandels, und Anpassung an veränderte Umweltbedingungen die einzig möglichen Reaktionen auf dieses globale Phänomen. In 50 Jahren gäbe es aber vielleicht noch weitere Handlungsoptionen.
    "Es gibt verschiedene Ideen, noch keine davon so richtig ausgetestet, wie man zusätzlich zu Mitigation und Adaptation dem Klimawandel begegnen könnte. Und diese fallen in zwei Bereiche: entweder CO2 aus der Erdatmosphäre zu entfernen oder irgendwie zusätzliches Sonnenlicht zurück zu reflektieren, um die Erdoberfläche abzukühlen. Und diese zusammengefasst nennt man Climate-Engineering. Dabei sind die Unsicherheiten noch sehr groß."
    Er persönlich könne sich durchaus vorstellen, dass es in 50 Jahren technisch möglich und auch gesellschaftlich gewollt sei, größere Mengen CO2 aus der Erdatmosphäre zu lösen. Bei der Frage der Reflexion des Sonnenlichts sei er allerdings sehr viel skeptischer:
    "Weil es nicht nur die physikalischen Probleme gibt, sondern viel größer sind die Governance-Probleme. Wer darf überhaupt die Entscheidungen treffen? Wie kommen wir zu internationalen Abkommen darüber? Wie vermeiden wir Konflikte darüber? Und darüber hinaus auch die ethischen Fragen: Wollen wir wirklich als Gesellschaft solche Kontrolle über die Umwelt nehmen?"