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Anti-Doping-Pionierin Berendonk wird 75
"Züchten wir Monstren?"

Brigitte Berendonk hat mit ihrem Mann Werner Franke das Staatsdoping der DDR aufgedeckt. Ihre Bücher sind Klageschriften gegen unsauberen Sport. Als eine der ersten in der Bundesrepublik griff die ehemalige Olympiateilnehmerin im Diskuswerfen Funktionäre und Sportmediziner an. Jetzt wird Brigitte Berendonk 75 Jahre alt.

Von Niklas Maurer und Carsten Upadek | 02.05.2017
    Diskuswerferin Brigitte Berendonk kritisierte als eine der ersten lautstark Doping im Leistungssport
    Diskuswerferin Brigitte Berendonk kritisierte als eine der ersten lautstark Doping im Leistungssport (imago sportfotodienst)
    "Züchten wir Monstren?", fragte Brigitte Berendonk 1969 in einem Artikel für die Wochenzeitung "Die Zeit". Die heile Sportwelt der Diskuswerferin war im Jahr zuvor bei den Olympischen Spielen in Mexiko zerbrochen. In der "Zeit" schrieb sie über den Einsatz von Hormonpräparaten: "Nahezu alle Zehnkämpfer der Weltklasse nehmen die Pille, 90 Prozent der Werfer, Stoßer und Gewichtheber, etwa die Hälfte der Springer und Sprinter, und auch bei den Ruderern, Schwimmern und Mannschaftsspielern wird sie immer beliebter."
    Berendonk hatte die körperlichen Verwandlungen besonders ihrer Konkurrentinnen aus Osteuropa bemerkt. Der Muskelzuwachs einhergehend mit zunehmender Vermännlichung, erzeugt durch Anabolika, war unverkennbar. In der "Zeit" prophezeite sie: "Nach meiner Schätzung treffen sich bei großen Wettkämpfen bald mehr Pillenschlucker als Nichtschlucker."
    Beleidigungen statt Einsicht
    Berendonk, im thüringischen Dankmarshausen geboren und später nach Westdeutschland übergesiedelt, griff Funktionäre und Sportmediziner an, machte sich viele Feinde. Legendär das Streitgespräch im ZDF-Sportstudio 1977 mit dem Freiburger Sportmediziner Joseph Keul, der zu dieser Zeit als sportmedizinische Koryphäe galt. Von ihm musste sie sich zweideutige, beleidigende Anspielungen anhören, rang dem Olympia-Arzt aber das Geständnis ab, gesunden Athleten Anabolika verabreicht zu haben.
    Sportfunktionäre und Politiker in Westdeutschland ignorierten jedoch größtenteils die Mahnungen. Herausgefordert von den zahlreichen Erfolgen des Ostblocks, wollte die Bundesrepublik Schritt halten. Für Brigitte Berendonk, die spätere Oberstudienrätin für Englisch und Sport am Hölderlin-Gymnasium in Heidelberg, war dies ein Unding.
    "Wenn 13-, 14-, 15-jährige junge Mädchen mit männlichen Hormonen behandelt werden, dann muss doch jeder normale Mensch sagen, dass dann der ganze Hormonhaushalt durcheinanderkommt, der sich noch am Entwickeln ist. Das ist also ein ärztlicher Fehler, ein ethischer Fehler, den keiner verantworten kann."
    Beweise vor dem Reißwolf gerettet
    In den Wirren der Wiedervereinigung retteten Berendonk und ihr Mann, der Molekularbiologe Werner Franke, die Beweise für systematisches Staatsdoping in der DDR. Bevor die streng geheimen Doping-Dissertationen und Forschungsarbeiten aus dem Tresorraum der Militärmedizinischen Akademie in Bad Saarow vernichtet werden konnten, sicherte das Paar die brisanten Dokumente.
    Ihr 1991 erschienenes Buch "Doping-Dokumente - von der Forschung zum Betrug" fand weltweite Beachtung. Die Klageschrift veränderte den öffentlichen Blick auf systematisches Doping. "Das Buch war ein Urknall", so Franke. "Danach konnte keiner mehr dagegen reden".
    Brigitte Berendonk lebt zurückgezogen. Die öffentliche Diskussion überlässt sie ihrem Mann Werner Franke: "In Peking sind 43 Medaillen vergeben worden, die heute, Jahre später, abgezogen werden müssen, weil sie eben nachweislich auf Doping beruhten. Es hat sich in der Sache her nichts geändert. Sie kriegen nach wie vor Sportförderung nur, wenn Sie dopen, denn ohne Doping können Sie an diese Spitzenleistungen nicht heran kommen."
    Für ihr jahrzehntelanges Engagement gegen Doping erhielt das Ehepaar Franke-Berendonk im Jahr 2004 das Bundesverdienstkreuz.