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"Anti-Mafia-Tribunal" soll organisierte Kriminalität aushebeln

Korruption und Veruntreuung sind in Bulgarien weit verbreitet. Deshalb will die Regierung den Kampf gegen die organisierte Kriminalität mittels Sondergerichten aufnehmen. Diese "Anti-Mafia-Tribunale" sollen sich ausschließlich mit hochrangigen Verbrechen beschäftigen. Diese Institution ist allerdings umstritten.

Von Simone Böcker | 26.10.2010
    Menschen- und Drogenhandel, Geldwäsche, Korruption in großem Stil – das sind Verbrechen, die nach dem Willen der bulgarischen Regierung künftig von Sondergerichten verhandelt werden sollen. Gerb-Abgeordneter Anastas Anastasov:

    "Diese Sondergerichte sind notwendig, weil es eine enorme Überlastung der Gerichte gibt. Ein Richter, der im Jahr circa durchschnittlich 150 – 300 oder 400 Fälle behandelt, kann keinen normalen Prozessablauf garantieren. Durch diese Sondergerichte, die sich nur auf bestimmte Fälle konzentrieren, können Verfahren innerhalb einer vernünftigen Frist abgeschlossen werden."

    Reform des Justiz-Systems ja – Sondergerichte nein: So ertönte es einhellig aus der Richtung der Opposition, die die Regierungspläne scharf kritisiert:

    "Bereits der Antrag steht in absolutem Widerspruch zur Verfassung, die die Einberufung außerordentlicher Gerichte verbietet. Es ist ein Widerspruch zur Garantie der Unabhängigkeit des Gerichtswesens, " sagt Chetin Kazak, Abgeordneter für die Partei für Rechte und Freiheiten in einer hitzigen Parlamentsdebatte.

    "Wir müssen feststellen, dass die Gründung dieser Sondergerichte eine Bedrohung für die Demokratie in Bulgarien darstellt, " kritisierte auch Maja Manolova von der Koalition für Bulgarien.

    In den letzten Monaten hat die bulgarische Öffentlichkeit einen regelrechten "Krieg der Worte" zwischen Innenministerium und Justizpalast verfolgen können: Innenminister Tsvetan Tsvetanov beschuldigte die Justiz immer wieder, nicht willens oder fähig zu sein, eigenständig Prozesse einzuleiten. Festgenommene Verdächtige würden einfach wieder laufen gelassen. Die Staatsanwälte ihrerseits beklagten, aufgrund der dünnen Beweislage seien ihnen die Hände gebunden. Dass der Innenminister nun nach Sondergerichten verlangt, riecht vor diesem Hintergrund für viele Kritiker nach politischer Einflussnahme. Lyuben Kornezov von der Koalition für Bulgarien:

    "Diese außerordentlichen Gerichte werden zum Organ des Innenministeriums und dienen als Instrument gegen politische Gegner. Denn der Innenminister kann Anweisungen geben, gegen wen ermittelt wird. Es besteht die Gefahr, dass dadurch politische Gerichte geschaffen werden."

    Dimitar Markov, Rechtsexperte beim Zentrum für Demokratieforschung in Sofia, sieht zwar nicht die Demokratie in Gefahr. Doch zweifeln unabhängige Experten wie er am Nutzen neuer, externer Institutionen:

    "Immer wenn die Regierung Probleme bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität lösen will, dann schaffen sie einfach eine neue Behörde oder erlassen ein neues Gesetz. Das ist der einfachste Weg, Fortschritt vorzutäuschen und sich eine Weile vor Kritik zu schützen. Aber sie werden auf diese Weise keine Ergebnisse erzielen, denn hinter dieser neuen Fassade werden dieselben Menschen arbeiten, mit denselben Gesetzen und denselben Verfahren."

    Viel dringender müssten innerhalb des existierenden Justizsystems die Schwachstellen erkannt und behoben werden, sind Fachleute überzeugt. So könnte auch die Korruption besser bekämpft werden. Dazu gehört in erster Linie mehr Transparenz, mehr Kontrolle und Rechenschaft, die Richter und Staatsanwälte gegenüber der Öffentlichkeit ablegen müssten. Dimitar Markov:

    "Wir haben in den letzten Jahren Machtmissbrauch erlebt, dass Informationen veruntreut wurden und dass Justiz- und Ermittlungsbeamte Verbindungen zur organisierten Kriminalität unterhalten. Unter diesen Umständen die Befugnisse der Exekutive weiter auszubauen ist besorgniserregend."