Fotograf Markus Mauthe

"Reisen gegen die Zeit"

Zwei Männer der indigenen Gruppe Mehinaku auf ihrem flachen Boot auf einem Fluss. Einer der beiden steht und hebt Pfeil und Bogen an. Aus dem Fluss steigt Nebel auf, im Hintergrund scheint die Sonne schwach aufs Wasser.
Das Foto von zwei Mehinaku, einer indigenen Gruppe im Amazonasgebiet, gehört zu Markus Mauthes Lieblingsbildern. © Markus Mauthe
Markus Mauthe im Gespräch mit Frank Meyer · 29.11.2018
Er besuchte indigene Völker am Amazonas oder im ewigen Eis. Für seinen Prachtband "Lost: Menschen an den Rändern der Welt" hielt Markus Mauthe den Wandel ihrer Lebensbedingungen fest. Er erklärt, warum Touristen manchmal nützlich sein können.
Frank Meyer: Im Knesebeck-Verlag ist ein großformatiger Fotoband erschienen, so etwa im Schallplattenformat, mehr als 300 Seiten dick. Und das ist ein beeindruckendes Buch, vor allem, weil man da Menschen sieht, die man sonst kaum zu Gesicht bekommt. Das sind Menschen aus indigenen Gruppen aus allen Teilen der Welt, zum Beispiel Seenomaden aus Indonesien, Tschuktschen aus dem eisigen Nordosten Russlands oder Awá aus dem Amazonasregenwald und viele andere. Der erfahrene Naturfotograf Markus Mauthe war mehr als drei Jahre lang unterwegs bei diesen Menschen, und seinem Buch mit seinen Fotografien hat er den Titel gegeben: "Lost: Menschen an den Rändern der Welt". Seien Sie willkommen im Deutschlandfunk Kultur, Herr Mauthe!
Markus Mauthe: Herzlichen Dank, dass ich da sein darf!

"Die Schönheit der Erde mit der Kamera festhalten"

Meyer: Jetzt sind ja Porträts von Menschen eigentlich gar nicht Ihr Kerngeschäft als Naturfotograf, Herr Mauthe. Warum haben Sie denn für dieses Projekt jetzt Menschen proträtieren wollen?
Mauthe: Seit 30 Jahren darf ich reisen, darf die Schönheit unserer Erde mit meiner Kamera festhalten, und das ist so ein bisschen eine Dokumentation des Wandels geworden, weil wir alle wissen, dass es der Natur weltweit nicht so besonders gut geht. Und ich habe mich ganz bewusst für dieses Thema entschieden, weil ich mal gucken wollte, wie gehen eigentlich Menschen mit diesem Wandel um, die noch sehr viel näher an und mit der Natur leben, und da weiß man, dass da natürlich auch viel in Verschiebung ist und in Auflösung. So war das auch ein bisschen reisen gegen die Zeit, um Dinge festzuhalten, bevor sie verschwinden.
Meyer: Vielleicht können Sie uns mal an einem Bild erklären, was – ich weiß, das ist immer eine fiese Frage für jemanden, der so lange an so einem Projekt arbeitet –, aber greifen Sie doch mal eins raus und erklären Sie uns, was Sie da zeigen wollten und mit welchen Mitteln.
Mauthe: Also eins meiner Lieblingsbilder, das zeigt zwei Mehinaku, das ist ein indigenes Volk, das lebt im Amazonas in Brasilien, im Xingo-Basin, die haben da ihren Wald und ihren Fluss, und die habe ich ganz früh morgens fotografiert, als die Sonne gerade am Aufsteigen war auf dem Fluss beim Fischen, und das gibt eine ganz schöne Szene, weil der Fluss, der hat so einen leichten Morgennebel mit einem Gegenlicht von der Sonne, und da steht vorne einer im Kanu mit einem Pfeil und Bogen, und hinten lenkt einer das Kanu. Das zeigt praktisch die traditionelle Art und Weise, wie diese Menschen jahrhundertelang, vielleicht auch viel länger, Fische gefangen haben zur Selbstversorgung, und dieses Bild haben sie extra für mich so in einer gewissen Form nicht gestellt, aber wir haben es nachempfunden, weil sie sagen, viele unsere Kinder haben diese Fähigkeit, so Fische zu fangen, schon gar nicht mehr. Also das zeigt für mich so ein bisschen den Blick zurück, diese Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft, dass viele Gewohnheiten und viele Fähigkeiten verlorengehen und das aus ganz, ganz unterschiedlichen Gründen.

Den Stolz und die Würde der Menschen feiern

Meyer: Erfährt man in Ihrem Buch dann auch, dass diese Praxis, die Sie da im Foto zeigen von dieser traditionellen Fischfangtechnik, dass die eigentlich am Verschwinden ist?
Mauthe: Also bedingt ja. Ich habe ganz bewusst bei dem Buch die künstlerische Arbeit in den Vordergrund gestellt. Also wenn ich live mit meinen Vorträgen unterwegs bin, da bin ich schon in meinen Aussprachen sehr viel pointierter auf die Dinge, die in der Welt passieren. Das Buch hat so ein bisschen den künstlerischen Output, und da stehen ganz klar die Fotografien im Vordergrund, werden aber unterstützt von Texten, die durchaus die Lebensrealität dieser Menschen wiedergeben, aber es steht eben nicht im Vordergrund. Also es soll ein Buch sein, das die Schönheit und Vielfalt der Menschen, ihren Stolz und ihre Würde feiert.
Meyer: Und wie haben Sie das eigentlich diesen Menschen erklärt, den Menschen aus den indigenen Gruppen, die schon auch meistens durchaus Kontakt haben zur modernen Welt – manche mehr, manche weniger –, wie haben Sie denen erklärt, was Sie eigentlich vorhaben mit Ihren Fotografien?
Mauthe: Also ich bin ja immer für Greenpeace, für eine Umweltschutzorganisation unterwegs mit einer gewissen Botschaft, dass ich praktisch Statements abgeben möchte über die Schönheit und Vielfalt und über die Dinge, die es aus meiner Sicht zu bewahren gilt, und darüber rede ich auch mit den Menschen vor Ort. Also wir haben ganz bewusst Leute, die unkontaktiert irgendwo in den Wäldern leben, es gibt ja eh nur noch ganz wenige, die haben wir auch gar nicht versucht zu finden, sondern nur Menschen, die tatsächlich entweder schon in Kontakt mit Tourismus waren, also schon sehr nah an unserer Lebensrealität dran sind, oder langsam annähernd, weil von außen die Moderne da zu ihnen kommt und die durchaus wissen, dass es da viele verschiedene andere Kulturen auf der Welt gibt und dass dann auch viele Interessen zum Beispiel im Amazonas für ihren Wald da sind. Das heißt, man redet da nicht mit Menschen, die völlig isoliert sind und überhaupt keinen Einblick in die Moderne haben, und wir haben uns sehr gut am Lagerfeuer oft auseinandergesetzt. Jeder hat so ein bisschen seine Ängste und Sorgen gesagt, und da habe ich sehr viel gemerkt, dass die Leute oftmals ähnlich denken wie ich persönlich auch, obwohl ich aus einer ganz anderen Lebensrealität komme.

"Staatenlose Menschen, die einfach in der Natur leben"

Meyer: Ein großer Vorteil Ihres Buches ist, dass man so viel erfährt darüber auch und sieht, wie verschieden Menschen leben in ganz verschiedenen Ecken der Welt. Vielleicht können wir uns auch das mal an einem Beispiel anschauen, was mich besonders fasziniert hat: Bajau, das sind Seenomaden aus den Inselwelten Indonesiens. Wie leben die denn nomadisch auf der See?
Mauthe: Der Witz ist, sie leben fast nicht mehr nomadisch. Also sie sind tatsächlich von ihrer Historie her Nomaden, die auf ganz kleinen Booten von Riff zu Riff ziehen, von Fischfang leben, und wenn ein Riff überfischt war, dann sind sie weitergezogen. Staatenlose Menschen, die einfach in der Natur leben. Wir wissen aber, dass Nomaden in modernen Gesellschaftsformen sehr unbeliebt sind, weil man sie nicht kontrollieren kann, und seit den 60er-Jahren ist im Bereich Indonesiens versucht worden, die Bajau sesshaft zu machen. Das heißt, die leben heute immer noch von und im Ozean, aber meistens auf Stelzenhäusern und sind auch Teil dieses Wandels, dem eigentlich fast alle indigenen Völker heute unterworfen sind. Ich habe am südlichsten Zipfel von Borneo noch eine ganz kleine Insel entdeckt, Mabul heißt die, und da habe ich sieben Boote von noch nomadisch lebenden Bajau getroffen, die aber jetzt nicht isoliert, völlig abgeschieden sind, sondern auch in diesem Wechselspiel Moderne – Tradition stehen, die dann zum Beispiel Fische verkaufen an Touristen, also die durchaus auch diese Welt sehen, aber noch verankerter sind in ihrem nomadischen Lebensstil. Das ist das Spannende: Egal, wo ich hingereist bin, auf allen vier Kontinenten, auf denen ich war, zu sehen, wie gehen diese Menschen mit dem Wandel um. Das klappt mal besser, und es klappt ganz häufig eben nicht so gut.
Zwei Tschuktschen posieren mit ihrem Hund im Schnee, im Hintergrund ein mit Fellen bedeckter Schlitten.
"Es wird eher zu warm, und das ist die Gefahr, die von außen indirekt auf so eine Art zu leben einwirkt", sagt der Fotograf.© Markus Mauthe

"Tschuktschen ziehen nomadisch mit ihren Rentieren durch die Tundra"

Meyer: Was Sie gesagt haben, dass moderne Staaten immer Schwierigkeiten haben mit nomadisch lebenden Menschen, die sich auch staatlicher Kontrolle ja dadurch entziehen, das ist etwas, was auch verbindet, zum Beispiel die Baja da aus der Inselwelt Indonesiens zum Beispiel mit den Tschuktschen, die an der Beringstraße in Russland leben. Ist da eine Gemeinsamkeit?
Mauthe: Die einen haben sich in der Kälte angesiedelt, die anderen auf dem Wasser, was ja auch so spannend war bei dem Projekt, zu sehen, wo wir überall gelandet sind als Menschenfamilie, und beides waren oder sind Nomaden. Bei den Tschuktschen oben im ewigen Eis, die ziehen heute noch nomadisch mit ihren Rentieren durch die Tundra da oben, sind aber natürlich auch nicht in dem Sinne komplett frei. Also zu Zeiten der Sowjetunion, da hat man ihnen praktisch alles weggenommen, man hat den Glauben verboten, man hat die Tiere ihnen weggenommen und in die Allgemeinheit gegeben, und das war eine sehr schlechte Idee. Das haben die Russen auch sehr schnell gemerkt, weil die Tiere alle gestorben sind. Also es konnte keiner mit denen umgehen. Heute ist es zumindest so, dass sie auf ihre Tiere wieder aufpassen dürfen, obwohl sie offiziell eigentlich dem Staat gehören. Sie leben dort draußen in der Tundra ihr Leben, eigentlich wie vor tausenden von Jahren. Das ist sehr spannend, und das geht aber auch nur aus einem einzigen Grund: weil es dort oben sehr viel Land gibt und sehr wenig Menschen. Dadurch können sie tatsächlich ihre Rentiere da durch die sehr kalten Gebiete treiben. Das hat mich auch fasziniert, weil das war so in einer gewissen Form positive Annäherung an die Moderne, weil die Strukturen da oben noch möglich sind, weil da nicht jemand reinkommt und ihnen den Regenwald wegnimmt oder Flüsse vergiftet oder andere Dinge macht. Da ist letztendlich die einzige Gefahr, die ich jetzt so ganz direkt gesehen habe für diese Art zu leben, ist eigentlich der Klimawandel, dass es einfach nicht zu kalt ist, weil darauf sind sie alle – Mensch und Tier – superangepasst. Es wird eher zu warm, und das ist die Gefahr eigentlich, die jetzt von außen indirekt auf so eine Art zu leben einwirkt.

"Touristen sind eine Brückenhilfe"

Meyer: Also ein Projekt, wie Sie das da jetzt betrieben haben, es kann ja auch etwas Zwiespältiges haben, zum Beispiel, wenn Menschen angestiftet werden dazu, diese Seenomaden da, die wirklich noch nomadisch leben, die will ich doch auch mal sehen, da fahre ich auch mal hin – haben Sie so einen Zwiespalt bei dieser Arbeit auch gespürt?
Mauthe: Also am Anfang ja, weil ich mir dann natürlich schon überlegt habe, ich möchte arbeiten und die Kulturen und Schönheit und Vielfalt festhalten, ohne negativ einzuwirken, aber diese Angst oder dieser Zwiespalt ist eigentlich weggegangen, weil ich gemerkt habe, dass letztendlich ich als Einzelner oder auch wenn ich mich als Tourist sehe, in den allermeisten Fällen eigentlich vielen Gruppen helfe, in diesem Wandel zu bestehen. Es ist natürlich sehr vielschichtig die Thematik, aber grundsätzlich ist es so, dass das, was die moderne Welt auf diese Indigenen einwirkt und sie praktisch aus ihrer traditionellen Art zu leben rausreißt, da gibt man ihnen kaum eine Chance, in der Moderne wirklich anzukommen. An manchen Stellen, sei es jetzt in Äthiopien oder gerade bei den Bajau, da sind Touristen zumindest so eine Brückenhilfe. Das heißt nicht, dass das was Tolles ist, wenn die Menschen plötzlich von Touristen Geld bekommen, weil man sie fotografieren darf oder weil sie Fische verkaufen können, aber es ist zumindest eine Möglichkeit, ihnen zu helfen, an Geld zu kommen, das sie brauchen, weil sie ihre ursprünglichen traditionellen Lebensformen in der Natur nicht mehr leben können.
Der Fotograf Markus Mauthe im Schnee.
Dieses Bild ist eine Eisbärenhöhle, die wir da entdeckt haben, sagt Markus Mauthe.© Simon Straetker
Meyer: Ganz hinten in Ihrem Buch, da sieht man verschiedene Fotos, die Sie bei Ihrer Arbeit zeigen, und eins davon fand ich beeindruckend, da schauen Sie sehr dick vermummt raus aus so einer engen Öffnung einer Schneehöhle, das sieht verdammt kalt aus diese Umgebung. Mussten Sie für das Projekt auch so an die eigenen Grenzen gehen und darüber hinaus?
Mauthe: Eigentlich fast nicht. Also ich habe die Reisen sehr gut vorbereiten können. Dieses eine Bild ist eine Eisbärenhöhle, die wir da entdeckt haben. Da hatte ich eine Eisbärenpatrouille mit mir dabei, und der hat uns das mal gezeigt. Da durfte ich auch mal rein.
Meyer: Ich hoffe, es war niemand zu Hause in der Eisbärenhöhle!
Zwei Mitglieder der Mundari aus dem Südsudan vor ihrer Rinderherde. Es ist dunstig, aus einer Feuerstelle steigt Rauch auf.
"Was mich an meine Grenzen gebracht hat, ist zum Beispiel im Südsudan, wo ich unterwegs war, wo ich den Mangel und die Armut der Menschen gesehen habe", sagt Mauthe.© Markus Mauthe
Mauthe: Genau, war keiner mehr drin. Was mich eher an meine Grenzen gebracht hat, ist tatsächlich dann zum Beispiel im Südsudan, wo ich unterwegs war, wo ich wirklich den Mangel und die Armut der Menschen gesehen habe, wie die tagtäglich überleben müssen, wo ich dann auch das einzige Mal krank wurde, gerade im Südsudan hatte ich einen Durchfall bekommen in einer Gegend, wo es kaum gutes Wasser gab. Also da war ich zum ersten Mal als Reisender, aber auch generell in meinem Leben mit Mangel konfrontiert, auch bei mir selber, und habe mir dann überlegt, Menschenskind, wie wir im Rest der Welt gedankenlos mit diesem wichtigen Gut umgehen, und da gibt es doch auf der Erde Hunderttausende oder gar Millionen, die tagtäglich von allem zu wenig haben. Also das erweitert so das Weltbild und die Sicht auf die Dinge doch gewaltig.
Meyer: Markus Mauthe, sein Buch heißt "Lost: Menschen an den Rändern der Welt", im Knesebeck-Verlag ist das erschienen mit 320 Seiten mit 260 großformatigen Abbildungen, 50 Euro ist der Preis für dieses Buch. Markus Mauthe ist auch zurzeit mit einem großen Vortrag zu diesem Thema unterwegs, heute Abend zum Beispiel in Aachen, dann in Krefeld, in Mönchengladbach und Düsseldorf. Herr Mauthe, vielen Dank für dieses Gespräch!
Mauthe: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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