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Antisemitismus-Affäre in Großbritannien
Tiefer Riss bei Labour

Antisemitismus-Vorwürfe, eine pakistanische Politikerin, die wegen anti-israelischer Äußerungen aus der Fraktion ausgeschlossen wird und zwei Abgeordnete, die sich vor laufender Kamera beschimpfen: Zwei Tage vor den britischen Regionalwahlen ist die Labour-Partei zerstritten wie nie zuvor.

Von Friedbert Meurer | 03.05.2016
    Der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn.
    Kurz vor den Regionalwahlen hat die britische Labour-Partei mit Antisemitismus-Schlagzeilen zu kämpfen. (dpa/picture-alliance/Hannah Mckay)
    Die Millbank TV-Studios der BBC liegen gleich direkt gegenüber dem britischen Parlament in Westminster. Britische Politiker aller Parteien gehen hier zum Interview ein und aus. Vor wenigen Tagen betraten die beiden Labour-Politiker Ken Livingstone und John Mann gleichzeitig das Gebäude. Zwischen den beiden gab es vor und im Treppenhaus ein unerhörtes Wortgefecht, alles vor laufender Kamera:
    "Du Nazi-Apologet," schreit Mann Livingstone an. "Du willst die Geschichte umschreiben. Lies einfach nach, was Hitler gemacht hat. Es gibt da ein Buch von ihm: 'Mein Kampf'."
    Nazi-Apologet, Nazi-Verherrlicher – diese Worte einem Parteifreund ins Gesicht zu schleudern, hat es so in der britischen Politik wohl noch nie gegeben. John Mann engagiert sich seit Jahren gegen Antisemitismus auf der Insel. Als er seinen Parteifreund Ken Livingstone vor dem BBC-Studio sieht, packt ihn die blanke Wut.
    "Als Hitler seine Wahl 1932 gewann, hatte Livingstone zuvor im Talkradio LBC doziert, da lautete sein politischer Standpunkt: die Juden sollen nach Israel umgesiedelt werden. Hitler unterstützte damals den Zionismus. Dann wurde er verrückt und es endete damit, dass er sechs Millionen Juden ermordete."
    Ein perfekter Skandal
    Der Skandal war perfekt. Kurz zuvor war die pakistanisch-stämmige Labour-Abgeordnete Naz Shah aus der Fraktion ausgeschlossen worden. Sie hatte, bevor sie Unterhausabgeordnete wurde, einen Facebook-Eintrag gepostet, in dem die geographischen Umrisse des Staates Israel auf die Landkarte der USA projiziert wurden. Dazu der Text: Siedelt Israel in die USA um!
    "Ich akzeptiere und verstehe, dass das die jüdische Gemeinde aufgebracht und verletzt hat. Ich bedauere das zutiefst. Antisemitismus ist Rassismus. Punkt."
    Entschuldigungsversuche
    Die Entschuldigung nutzt nichts mehr, Shah wird aus der Labour-Fraktion ausgeschlossen. Livingston wollte ihr mit seinem kryptischen Hitler-Vergleich beispringen – und erntet Kopfschütteln überall.
    "Hitler, den größten Antisemiten der Geschichte, einen Zionisten zu nennen, ist grotesk", meint Anthony Beevor, preisgekrönter Historiker und Bestseller-Autor.
    "Aber es gibt einen kleinen Funken von Wahrheit. Im November 1937 ist Adolf Eichmann nach Israel gereist, um sich von der jüdischen Masseneinwanderung ein Bild zu machen. Hitler legte aber ein Veto gegen diese Idee ein."
    "Gibt es eine Verbindung zwischen Nazismus und Zionismus?",
    fragt der Moderator Andrew Marr die Labour-Politikerin Diane Abbott. Sie steht Parteichef Jeremy Corbyn nahe und gehört zum linken Flügel der Partei. Abbott reagiert empört.
    "Wollen Sie damit etwa sagen, dass Labour ein besonderes Problem mit Antisemitismus hat? Die anderen Parteien, die Konservativen sollen das nicht haben?"
    "Das sage ich nicht", entgegnet der Moderator, "aber die Labour-Partei hat es jetzt."
    Diane Abbott wirft den Vertretern des rechten Labour-Flügels vor, bloß Parteichef Corbyn stürzen zu wollen. Der tiefe Riss bei Labour ist wieder vollends aufgebrochen – zwei Tage vor den Regionalwahlen in Großbritannien.