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"Antisemitismus, der sich identifiziert mit den Palästinensern"

Eine teilweise Judenfeindlichkeit im linken Spektrum ist nichts Neues, sagt Götz Aly, das sei auch bei der alten Sozialdemokratie der Fall gewesen. Antisemitismus sei kein Privileg der politisch Rechten oder der Konservativen.

Götz Aly im Gespräch mit Dina Netz | 20.06.2011
    Dina Netz: Einen pathologischen, blindwütigen Israel-Hass hat der Zentralrat der Juden Teilen der Linkspartei vorgeworfen. Die Israel-Kritik überschreite immer wieder die Grenze zum Antisemitismus. So schreibt es der Präsident des Zentralrats, Dieter Graumann, heute in der Süddeutschen Zeitung. Einige Abgeordnete hätten sich zum Beispiel geweigert, einer Erklärung gegen Antisemitismus zuzustimmen. Eine Abgeordnete sei mit einem Schal aufgetreten, der die Nahost-Region ohne den Staat Israel zeige. Bei der Begrüßung des israelischen Präsidenten Schimon Peres vergangenes Jahr vor dem Bundestag seien drei Abgeordnete sitzen geblieben.
    Der Historiker Götz Aly hat sich intensiv mit Antisemitismus der politischen Linken beschäftigt. Ich habe ihn gefragt: Wie ist Ihr Eindruck von der aktuellen Linkspartei? Gibt es da Antisemitismus und auch nicht nur als Einzelfall?

    Götz Aly: Es gibt innerhalb der Linkspartei diese Minderheit, und das hat auch innerhalb der deutschen, auch der neuen deutschen Linken immer wieder Tradition gehabt. Das ist im Grunde eine Verschiebung des alten Antisemitismus, hin zum Antisemitismus, der sich identifiziert mit den Palästinensern und daraus meint, ableiten zu können, dass man gegen den Staat Israel agitiert.

    Netz: Dass die politische Linke an ihren Rändern auch antisemitische Tendenzen zeigt, das ist ja nicht erst seit heute ein Thema. Seit wann beobachten Sie das in Ihrer historischen Arbeit?

    Aly: Ach, ich habe es auch in meiner praktischen Arbeit immer wieder beobachtet. Also es war so: Während der Studentenbewegung, da hat man ja ganz blindwütig zum Beispiel gegen den ersten israelischen Botschafter in Deutschland agitiert und Veranstaltungen gestört und "Sieg im Volkskrieg für die Palästinenser" gerufen. Das waren alles Linke.
    Dann hat es das auch bei der TAZ, wo ich lange Redakteur war, immer wieder gegeben, diese Auseinandersetzung. Es gab immer zwei Fraktionen und es hat mehr als ein Jahrzehnt gedauert, bis dieser Streit einigermaßen beigelegt worden ist.
    Also es ist nichts Neues, es hat das auch in der alten Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg gegeben, denken Sie zum Beispiel an den berühmten Franz Mehring. Das war ein ausgesprochener Judenfeind. Der hat immer wieder im Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei antisemitisch geschrieben. Das ist nicht ungewöhnlich und das ist nichts Neues, es ist vielmehr eine Einbildung zu denken, dass Antisemitismus ein Privileg der politisch Rechten oder der Konservativen sei.

    Netz: Trotzdem war es ja gerade nach dem Zweiten Weltkrieg, gerade im Rahmen von '68 so, dass die Intention ja genau war, sich von der Elterngeneration, also von der Verstrickung in die NS-Zeit, zu distanzieren. Da passte eigentlich Israel-Hass doch überhaupt nicht dazu?

    Aly: Na ja, das Merkwürdige an '68 ist, dass es ja eine Flucht aus der deutschen Verantwortung war, eine, die man vielleicht verstehen kann, wenn man daran denkt, das war die erste Generation, die nach dem Krieg aufgewachsen ist, die in diesen Abgrund Auschwitz schauen musste. Und da hat man den Faschismus sozusagen nach außen verlegt, der wohnte plötzlich in Teheran, beim Schah von Persien, in Hanoi und in den USA und musste dort weltweit als weltweites und nicht als deutsches Phänomen bekämpft werden, ähnlich hat man übrigens in der DDR politisch und ideologisch verfahren, und das hat dazu geführt, gerade die Identifikation mit den unterdrückten Völkern der Welt (damals gab es überall Kolonialkriege) sich mit der Sache der arabischen Revolution gegen Israel zu identifizieren und auch so aus dem vermeintlich, aus dem deutschen Schuld- und aus heutiger Sicht Verantwortungszusammenhang zu entrinnen. Das ist gründlich fehlgeschlagen und die Meisten, die damals diesen Weg gegangen sind, haben das später eingesehen.

    Netz: Herr Aly, es gibt ja heute Historiker, die beobachten, dass sich besonders seit dem 11. September 2001 so eine ideologische Angleichung des Judenhasses von ursprünglich ganz verschiedenen Lagern vollzieht: also Neonazis, Islamisten und Linksextreme rücken immer weiter zusammen in diesem Punkt. Teilen Sie diese Beobachtung?

    Aly: Dass sich rechte und linke Ideologien, die ja sozusagen beide Momente des Gleichheitsprinzips, nämlich des sozialen und des nationalen Gleichheitsprinzips verfolgen, dass die sich geschichtlich gesehen immer wieder getroffen und vereinigt haben, das ist eine Tatsache. Sie sehen das etwa in Russland, in Ungarn, wo sich sozusagen neue Nationalisten und alte Kommunisten in ihren Ressentiments treffen. Es ist ja auch traditionell, auch in Deutschland so, dass rechte Parteien eigentlich immer dort Erfolge haben, wo zuvor linke Hochburgen, also sozialdemokratische oder in Frankreich kommunistische Hochburgen waren. Also diesen Zusammenhang zwischen rechtem und linkem Flügel in der politischen Gesellschaft gibt es durchaus.

    Netz: ... , sagt der Historiker Götz Aly.