Dienstag, 19. März 2024

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Antisemitismus-Doku
"Der Film funktioniert nicht richtig gut"

Wurde die umstrittene Doku "Auserwählt und ausgegrenzt" zu Recht nicht gesendet? So hatten ARTE und WDR zunächst entschieden. Nachdem BILD.de aber die Urfassung für einen Tag lang veröffentlicht hatte, wurde der Film mit anschließender Diskussion darüber doch gezeigt. Erst in der ARD, dann zeitversetzt auch auf ARTE. Ein guter Entschluss?

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Sebastian Wellendorf | 22.06.2017
    Rolf Verleger (ehem. Mitglied Zentralrat der Juden in Deutschland ), Jörg Schönborn (WDR Fernsehdirektor). Gemma Pörzgen (Journalistin), Ahmad Mansour (Psychologe), Michael Wolffsohn (Historiker), Sandra Maischberger, Norbert Blüm (CDU Politiker) beim ARD Talk Maischberger am 21.06.2017 in Köln. Rolf Publishers Tech Member Central the Jews in Germany Jörg Schönborn WDR Television Gemma Pörzgen Journalist Ahmad Mansour Psychologist Michael Wolffsohn Historians Sandra Maischberger Norbert Bluem CDU Politicians the ARD Talk Maischberger at 21 06 2017 in Cologne
    Die Antisemitismus-Doku wurde schließlich doch gesendet - mit einer anschließenden Diskussion in der ARD bei Sandra Maischberger (imago stock&people)
    Eine paradoxe Situation: Da distanzieren sich gleich zwei Sender von der Versendung einer Fersehdokumentation. WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn sprach von "gravierende(n) journalistische(n) Mängel(n)". Gesendet wurde der Film schließlich doch. Während auf BILD.de nur die Urfassung des Films von Joachim Schröder und Sophie Hafner zu sehen gewesen war, präsentierten ARTE und WDR ihren Zuschauerinnen und Zuschauern am Mittwochabend eine kommentierte Fassung. Außerdem gab es immer wieder den Hinweis darauf, dass der Fernsehabend im Netz weiter fortgeschrieben werde. Dort gab es auch einen umfangreichen Faktencheck zur Doku, der viele Mängel des Films zusammentrug. Für Rüdiger Suchsland ein plausibles Verfahren, die Kritik an der Doku transparent werden zu lassen. "Da (wurde) zum Beispiel dem PLO-Vorsitzenden Mahmud Abbas ein Zitat unterlegt, und im Film sieht man ihn reden". Aus dem Off werde Abbas dann weiter zitiert, aber "de facto hat er das gar nicht in seiner Rede gesagt", moniert Suchsland die Montage an dieser Stelle des Films. Dadurch erscheine Abbas an dieser Stelle "viel einseitiger".
    Behauptungen statt Belege
    Zwar sei es, so Suchsland, bei der journalistischen Arbeit durchaus üblich, einzelne Aspekte stärker herauszuarbeiten als andere. In diesem Film fehle es aber immer wieder an Belegen. Stattdessen würde das Autorenteam mit Behauptungen arbeiten. Agitatorische Dokumentarfilme hätten durchaus ihre Berechtigung. "Aber der Film kommt daher, als würde er uns wirklich nur Fakten präsentieren", sagte Suchsland im Gespräch mit @mediasres. Eine intensivere redaktionelle Begleitung hätte diese Tonalität vielleicht verhindern können. Am Ende jedenfalls seien ARTE und WDR wohl zu Recht mit dem Ergebnis der Doku nicht zufrieden gewesen.
    "Thema verfehlt"
    Auch auf inhaltlicher Ebene kommt es Suchsland zufolge zu einer Schieflage: "Das ist ein Film, der sagt, es geht um Hass auf Juden in Europa", so lautet auch der Untertitel. Trotzdem spiele der Film "mindestens zur Hälfte" nicht in Europa, sondern in Palästina, erzähle also vom arabischen Antisemitismus. "Das ist wirklich etwas ganz anderes", sagt Suchsland. "Außerdem erzählt er überhaupt nicht vom rechtsextremen Judenhass, den es ja zum Beispiel in Ungarn, in Polen, der Slowakei und in Österreich gibt. Nur da ist der Antisemitismus halt dezidiert rechtsextrem. Und das passt den Machern anscheinend nicht so richtig ins Konzept. Da wird der Film tendenziös." Der Film funktioniere also nicht richtig gut.
    "... gerne ein bisschen Streit inszenieren"
    Einige Medien - Rüdiger Suchsland nennt hier die Neue Zürcher Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung - hätten besonders negativ über den Streit um die Antisemitismus-Doku berichtet. Seiner Meinung nach handele es sich hier um einige "bekannte Allianzen", zu denen auch der Historiker Michael Wolffsohn gehöre, der im Anschluss an die Doku an der von Sandra Maischberger moderierten Diskussionsrunde teilnahm. "Man möchte hier vielleicht auch gerne ein bisschen einen Streit inszenieren. Dann verkauft man die Zeitung besser." Und kreiere damit einen neuen Feuilleton-Streit, vielleicht sogar einen neuen Historikerstreit.