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Antisemitismus
Erneute Vorfälle bei Fußballspielen in Sachsen

Lazio Rom macht Schule, auch deutsche Fans nutzen das Konterfei des jüdischen Mädchens Anne Frank um ihre Gegner zu verhöhnen. Vor der Partie Schalke gegen Borussia Dortmund wurden Aufkleber in Umlauf gebracht und auch in Sachsen zeigt sich, Antisemitismus im Fußball ist ein Problem.

Von Jennifer Stange | 05.11.2017
     Anhänger von Lok Leipzig stören das Spiel gegen Chemie Leipzig
    Anhänger von Lok Leipzig stören das Spiel gegen Chemie Leipzig (dpa/picture alliance/Sebastian Willnow)
    Martin Mieth ist Lok-Fan. Nicht einer von denen rechtsaußen, für die der 1. FC Lokomotive Leipzig über die Stadtgrenzen hinweg berüchtigt ist. Sondern einer derjenigen, die schon lange genug haben von der rechtsradikalen Blasiertheit, die sich in der Fanszene des Oberligisten jahrelang breit machen konnte.
    Mieth sagt: "Wir wollen Fußball spielen und haben unsere soziale Verantwortung und stehen dazu auch und lehnen natürlich jegliche Form von Antisemitismus ab. Entschieden. Und uns nervt das einfach, dass irgendwelche Leute uns versuchen wollen zu instrumentalisieren."
    Mieth ist mittlerweile Sprecher von Lok Leipzig. Allein dieser Umstand zeigt den Wandel, den die neue Vereinsspitze in den letzten vier Jahren vollzogen hat. Nicht zuletzt im Umgang mit rechtsradikalen Fans. Nazi-Mode und Kleidung mit einschlägigen Parolen sind im Bruno-Plache-Stadion seit 2014 offiziell verboten.
    Und auch außerhalb des Zuschauerraums gilt laut Mieth: Weggucken und betretenes Schweigen war gestern. Prompt regierte der Verein unlängst auf eine Fotomontage von Lok-Anhängern. Sie zeigt Anne Frank im Trikot des Erzrivalen BSG Chemie Leipzig, daneben ein hämisches "freut sich schon!", darunter der Verweis auf das Derby zwischen den beiden Leipziger Regionalliga-Rivalen Ende November.
    Lok Leipzig wehrt sich
    "Natürlich ging das nicht vom Verein aus. Wir wissen nicht von wem es ausging. Wir haben umgehend beraten, wie wir entsprechend reagieren und haben uns dann mit einem klaren Statement gegen Antisemitismus und Faschismus distanziert und eine Anzeige erstattet", so Mieth.
    Den bisher unbekannten Urhebern der Fotomontage ist wohl bewusst: Das jüdische Mädchen Anne Frank war nie in einem Fußballstadion, sie hätte im nationalsozialistischen Deutschland nicht in die Schule, nicht ins Kino gehen und nicht mal auf einer Parkbank sitzen dürfen. Sie verbrachte ihre Kindheit auf der Flucht und in einem Versteck in den Niederlanden. Bis sie dort aufgespürt und deportiert wurde.
    Mit 15 starb sie 1945 im KZ Bergen-Belsen. Dass dieses Mädchen ausgerechnet in Deutschland für antisemitische Häme herhalten muss, verurteilt auch Hermann Winkler, Präsident des Sächsischen Fußball-Verbands.
    Winkler sagt: "Ich bin froh, dass Lok klare Kante gezeigt hat, Anzeige erstattet hat und sich davon distanziert hat. Ich habe auch mit dem Lok-Präsidenten telefoniert die Tage und wir sind uns einig, dass wir gemeinsam gegen jede Art von Rassismus und Antisemitismus auftreten, gemeinsam im Sport. Und deshalb dulden wir solche Dinge nicht, die da passiert sind."
    Keine klare Haltung der Verantwortlichen
    Doch offenbar ist diese Episode nur die Spitze des Eisbergs. Das Kürzel "JDN CHM", zweimal drei fettgedruckte Großbuchstaben untereinander, taucht nicht nur auf der Anne-Frank-Fotomontage auf. Anstecker, Aufkleber, Banner, T-Shirts - der Code "JDN CHM" ist bei gegnerischen Fans der BSG Chemie Leipzig beliebt. Er steht für "Juden Chemie" und soll Provokation und Kränkung sein. T-Shirts mit diesem Druck tauchen regelmäßig auf - kürzlich beispielsweise auch bei der Partie Roter Stern Leipzig gegen TSV Schildau.
    Der Journalist Christoph Ruf hat über diese Begegnung für "Spiegel Online" berichtet: "Dann hat man aber auf Schildauer Seite natürlich die einschlägigen Nazikameradschaften mit Klamotten gesehen und auch einen Fan der genau dieses T-Shirt trug mit der Aufschrift Juden Chemie." Als "Judensterne" sollen Mannschaft und Fans des Roten Sterns während des Spiels von gegenerischen Fans beschimpft worden sein.
    Christoph Ruf vermisst eine klare Haltung der Verantwortlichen: "Es gab keine Anzeige wegen Volksverhetzung, kein Verein ist aktiv geworden, kein Sächsischer Fußballverband ist aktiv geworden. Und das würde man sich natürlich schon wünschen und in dem Fall können die von Lok Leipzig lernen."
    Sächsischer Fußballverband zeigt sich unwissend
    Fotos, die den Vorfall belegen sollen, stellte der Verein Roter Stern ins Netz. Verbandspräsident Hermann Winkler weiß davon nichts:
    Winkler: "Kenn ich so nicht, also ich meine wir haben am Wochenende 1.300 Fußballspiele in Sachsen."
    Stange: "Sie haben ja nun gesagt, Sie kümmern sich um sowas ganz intensiv."
    Winkler: "Ja genau."
    Stange: "Und wollen das ganz intensiv monitoren und wenn ich im Internet gucke, finde ich ganz viele Fälle von denen sie alle nichts wissen. Ist das ein Widerspruch?"
    Winkler: "Auf welcher Homepage haben sie da geschaut?"
    Stange: "Recherchieren sie sowas nach, oder nicht?"
    Winkler: "Ja. Ich habe eine Idee, ich danke Ihnen für das Gespräch. Ich finde das ist alles sehr tendenziös. Bin enttäuscht,wie oberflächlich der Deutschlandfunk hier recherchiert."
    Damit war das Gespräch nach fünf Minuten beendet. Weitere Recherchen haben ergeben: Die diffamierenden Sprechchöre tauchen immerhin im Bericht des Schiedsrichters und in dem des Spielbeobachters des Sächsischen Fußballverbands auf. Außerdem teilte der Rote Stern mit, der Verein muss sich nun selbst vor dem sächsischen Sportgericht verantworten, weil Fans ein Transparent mit der Aufschrift "Antifaschismus lässt sich nicht aussperren" aufgehängt hatten.
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