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Antisemitismus in den USA
Muslime spenden für verwüsteten jüdischen Friedhof

Über einen Monat lang wurden jüdische Einrichtungen in den USA mit Bombendrohungen terrorisiert. Für Entsetzen sorgte zudem eine Orgie der Verwüstung jüdischer Friedhöfe. Ein Beispiel dafür ist der Friedhof in St. Louis/Missouri. Hier sorgten zahlreiche Spenden für schnelle Hilfe - die größte kam dabei von einer muslimischen Gruppe.

Von Sabine Adler | 12.04.2017
    Zerstörungen auf dem jüdischen Friedhof von St. Louis: Erst waren es Worte, dann kamen die Taten
    Zerstörungen auf dem jüdischen Friedhof von St. Louis: Erst waren es Worte, dann kamen die Taten (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Über 20.000 jüdische Gräber liegen dicht an dicht auf dem 1888 gegründeten Chesed-Shel-Emeth-Friedhof, auf den Steinen die Namen vieler deutscher und irischer Immigranten. Anita Feigenbaum von der Friedhofsverwaltung bleibt stehen.
    "Hier ist eine ganze Reihe von Grabsteinen, die runtergeschlagen worden sind. Und dort hinten und dort. Dieser Grabstein besteht aus Marmor. Er wurde umgestoßen und ist dabei zerbrochen, denn das war eine recht dünne Platte. Die jüdische Regel besagt, dass wir die kaputten Steine nicht einfach kitten können, sondern ersetzen müssen, und zwar nicht durch gleich-, sondern durch höherwertige Materialien."
    Viele jüdische Friedhöfe wurden verwüstet
    Nur noch 18 Grabsteine liegen so umgestoßen und zertrümmert da, wie die Vandalen sie verlassen haben. Ob ein Grab zu den geschändeten gehört, erkennt man bei den meisten nur noch an den bunten Steinen. Ein Mädchen aus Florida entschied sich, für jedes kaputte Grab einen Stein nach St. Louis zu schicken, US-weit waren über ein Dutzend Friedhöfe verwüstet worden.
    "Die Kleine hat 154 Steine bemalt. Und die wurden von hiesigen Schulkindern auf die betroffenen Gräber gelegt."
    Die Familien entscheiden, was mit den zerstörten Gräbern geschieht. Einige haben sich bis heute nicht gemeldet.
    "Viele Cohens haben bei uns nachgefragt, aber bislang war kein Verwandter von unserer Minnie Cohen hier dabei. Wir würden so gerne die Familie von Minnie Cohen finden, die 1925 im Alter von 35 Jahren gestorben ist."
    Sooft Andrew Rehfeld derzeit über den jüdischen Friedhof geht, lässt ihn dieses Zitat nicht los, immer wieder kommt es ihm in den Sinn.
    "Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."
    Die Warnung des deutschen Theologen und Antifaschisten Martin Niemöller ist heute so gültig wie damals, findet Andrew Rehfeld. Der Chef der jüdischen Föderation von St. Louis will nicht zulassen, dass Hass Amerika regiert, viele zeigen sich solidarisch, die jüdische Gemeinde ist überwältigt von der Hilfe, die sie im Moment erfährt.
    "Eine muslimische Gruppe mit dem Namen Celebrate Mercy aus Philadelphia hat sofort zu Spenden für den Wiederaufbau des Friedhofes aufgerufen und fast 200.000 Dollar gesammelt."
    Bombendrohungen gegen jüdische Einrichtungen
    Wochenlang wurden jüdischen Einrichtungen der Stadt im US-Bundesstaat Missouri mit Bombendrohungen terrorisiert, der Friedhof als einer von insgesamt 19 in Amerika verwüstet. Die 33-jährige Tanja, selbst Jüdin, konnte es nicht fassen:
    "Wie fühlt man sich, wenn das Grab der eigenen Großmutter zerstört wurde? Man könnte es als unsinnigen Vandalismus abtun. Aber wenn das ausschließlich auf jüdischen Friedhöfen passiert? Mich freut, dass die größte Spende ausgerechnet von einer muslimischen Gruppe kam. Damit hat das alles wenigstens etwas Gutes. Seitdem fühle ich mich wieder vorsichtig optimistisch."
    Die muslimische Spende für den jüdischen Friedhof wurde jedoch keineswegs von allen begrüßt, erinnert sich Andrew Rehfeld.
    "Es gab einige Vertreter unserer Gemeinde, nicht in St. Louis, darüber hinaus, und Artikel in einigen Zeitungen, in denen gefordert wurde, das Geld abzulehnen. Leider passt das unglaublich zu der Zeit, in der wir gerade leben. Es widerspricht diametral dem, was nötig wäre für eine sichere Gesellschaft."
    St. Louis nahm die Spende dankend an. Steve Bayme vom American Jewish Commitee in New York fordert Fairness. Wenn es heiße, Trump habe den Antisemitismus in den letzten Monaten angefacht, die extremen Stimmen in der Gesellschaft entfesselt, dann stimme das nicht ganz, denn Juden gegenüber sei Trump ohne Vorurteile.
    "Alles soll plötzlich mit Trump und dem Trump-Klima zu tun haben, doch Friedhofsschändungen gibt es seit Jahren. Mich besorgt sehr viel mehr die immer stärker werdende Anti-Israel-Stimmung, die natürlich zum Teil auf Antisemitismus zurückzuführen ist. Juden in Amerika leben im Grunde unglaublich sicher. Aber auf die Bombendrohungen mussten wir reagieren, wenn auch nur eine ernst gewesen wäre, es Tote gegeben hätte - nicht auszudenken. Wir müssen wachsam bleiben, denn der Antisemitismus ist nicht verschwunden."
    2.500 Freiwillige halfen auf dem Friedhof von St. Louis
    2.500 Freiwillige halfen, den Friedhof von St. Louis wieder in Ordnung zu bringen. Unter ihnen Mike Pence, der neue Vizepräsident, der für sich und Präsident Trump sprach.
    "Wir verurteilen diesen abscheulichen Akt der Zerstörung und die, die dafür verantwortlich sind, aufs Schärfste."
    So sehr Andrew Rehfeld von der Jüdischen Föderation in St. Louis diese klaren Worte schätzt, so sehr vermisst er sie an anderer Stelle, gegenüber Moslems zum Beispiel.
    "Worte haben Bedeutung. Wenn man an der Spitze steht, bestimmt man den Ton. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Administration unterscheidet ganz bewusst nicht zwischen Moslems und Terroristen, um Angst und Hass zu schüren. Das wäre beängstigend. Oder aber die Administration beziehungsweise die Person dort denkt überhaupt nicht über die Worte nach, die sie benutzt."
    Mit Trumps Einreisestopp für Bürger aus sieben vornehmlich islamischen Ländern haben Attacken und Drohungen gegen Muslime sichtbar zugenommen.