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Antisemitismus in der Schule
Lehrer lernen Umgang mit radikalen Haltungen

Antisemitische Sprüche oder Beschimpfungen haben offenbar an vielen Schulen zugenommen. Oft gingen sie von muslimischen Schülern aus, klagt der Zentralrat der Juden. Und viele Lehrer stehen diesem Problem offenbar etwas hilflos gegenüber. Ein Fortbildungsprogramm soll helfen.

Von Claudia van Laak | 05.10.2017
    Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind am 09.06.2013 an einer Gedenkstätte am Nordbahnhof in Berlin zu sehen.
    Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern an einer Gedenkstätte in Berlin. Antisemitismus ist auch an Schulen ein Problem. (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Du Jude. Als Beschimpfung gemeint gehört dieser Spruch an bestimmten Schulen anscheinend bereits zum Alltag. Kein schamhaft verdeckter, sondern offener Judenhass - geäußert oft von männlichen, muslimischen Jugendlichen.
    "Bruder, ich habe etwas gegen Juden. Ich mag Juden einfach nicht. Scheiße einfach. Sie sind das Problem. Sie sind einfach so schlimm. Bastards."
    Das American Jewish Committee in Berlin prangert diesen Judenhass nicht nur an, es hat auch reagiert. Mit einer qualitativen Studie zum Thema "Salafismus und Antisemitismus an Berliner Schulen" und einer Seminarreihe für Lehrerinnen und Lehrer. Leiterin Deidre Berger:
    "Hier ist ein Problem im Entstehen und die Lehrer wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Und das ist der kritische Punkt dabei. Und deshalb ist es dringend Zeit - und wir sind sehr froh, dass Berlin das erkannt hat - neue Werkzeuge dafür zu entwickeln. Wir sind dabei, ein Curriculum zu entwickeln, dass wir eine noch größere Zahl von Lehrern erreichen."
    Die Lehrer waren entweder zu tolerant oder zu wenig tolerant
    Das American Jewish Commitee in Berlin, Potsdamer Platz. Die 18 anwesenden Politik-, Sozialkunde- und Geschichtslehrer sollen an ihren Schulen künftig Ansprechpartner sein für die Themen "Salafismus und Antisemitismus". An diesem Tag ist ein Aussteiger zu Gast. Irfan Peci war Propaganda-Chef der "Globalen Islamischen Medienfront". Die Seminarteilnehmer wollen von ihm wissen - wie war es in seiner Schulzeit - haben Lehrer auf seine radikalen Äußerungen reagiert?
    "In meiner eigenen Schulzeit habe ich die Erfahrung gemacht, wo Lehrer entweder zu tolerant waren oder zu wenig tolerant. Zum Beispiel Irakkrieg und solche politischen Themen. Da äußerten sich Schüler ganz klar USA-feindlich oder Israel-feindlich. Ich habe auch Lehrer erlebt, die das verharmlosen, relativieren und den Schülern auch Recht geben."
    Bernhard Kessel nickt. Der mittlerweile pensionierte Politiklehrer hatte zwei Schüler, die von Berlin aus in den Djihad zogen und vermutlich in Pakistan ermordet wurden. Er sei immer in die politische Konfrontation mit diesen jungen Männern gegangen, erzählt Kessel.
    "Insgesamt hat mein Verhalten unter Umständen, das muss ich selbstkritisch sagen, bei Einzelnen dazu beigetragen, sich mit diesen vereinzelten Radikalen eher zu solidarisieren, weil sie dachten, das könnte ein Angriff auf Muslime schlechthin sein."
    Position beziehen, aber nie den Kontakt aufgeben
    Den Faden nicht abreißen lassen zu Schülern, die sich radikalisieren, die ihren Judenhass offen zur Schau tragen - so der Rat von Experten.
    "Man muss beides machen. Sich deutlich verhalten, Position beziehen, aber nie den Kontakt aufgeben, beziehungsweise den Kontakt erst mal suchen. Da haben mich andere Kollegen davon überzeugt, die das sehr erfolgreich gemacht haben, um Blockaden zu verhindern und auch die Klassen stärker ins Gespräch einzubinden, das ist sehr entscheidend."
    Die Politiklehrerin Christiane Böhm berichtet von einem Pilotprojekt an ihrer Schule. Externe Berater werden zu Hilfe gerufen, wenn das Kollegium den Eindruck hat, dass schnell gehandelt werden muss - wenn zum Beispiel jüdische Mitschüler gemobbt werden.
    "Und da ist es unheimlich gut, wenn man jemand Externen hat, der sofort eingreifen kann. Der geht in die Klasse rein, macht eine Unterrichtseinheit zu Geschlechterrollen oder Meinungsfreiheit, so kriegt der schnell mit, wie äußern sich die Schüler, und so kriegt er diejenigen, um die es sich dreht, ins Gespräch und trifft sich dann mit denen. Und das ist eine unheimliche Entlastung. Ich würde mir wünschen, dass es das an jeder Schule gäbe."
    Gezielte Unterstützung für betroffene Schulen
    Elfmal haben sich die Berliner Lehrer in den Räumen des American Jewish Commitee getroffen - in pädagogischen Werkstätten werden sie nun versuchen, das Gelernte in der Schule umzusetzen. Das Landesinstitut für Schule und Medien, Lisum, hilft dabei – Michael Rump-Räuber vom Lisum:
    "Das nächste Jahr dieser Fortbildung, da wird es in erster Linie darum gehen, dass wir mit den Lehrkräften gemeinsam Unterrichtsmaterialien entwickeln zu diesem Thema. Dass die im Unterricht erprobt werden, dass die dann weiterentwickelt werden und dass wir es schaffen, gezielter Unterstützungssysteme für einzelne betroffene Schulen aufzubauen."
    Finanziert wurde all dies unter anderem vom Bundesprogramm "Demokratie leben". - Dass die neue Bundesregierung dieses Programm weiterführt, hoffen nicht nur die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer.