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Antisemitismusforscher: Demjanjuk "war ein Henker"

Der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Wolfgang Benz, ordnet den ausgelieferten John Demjanjuk als Henkersgehilfe der SS ein. Ob der "bedauernswerte alte Mann" letztlich Haftverschonung bekomme, sei nicht das Wichtigste, sagt Benz.

Wolfgang Benz im Gespräch mit Dirk Müller | 12.05.2009
    Dirk Müller: John Demjanjuk soll in wenigen Stunden auf dem Münchener Flughafen der deutschen Justiz übergeben werden. Die Amerikaner haben den mutmaßlichen KZ-Wächter ausgeliefert.
    Am Telefon ist nun Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Guten Morgen!

    Wolfgang Benz: Guten Morgen!

    Müller: Herr Benz, ist John Demjanjuk der letzte mutmaßliche Kriegsverbrecher auf der Liste, dem der Prozess gemacht werden muss?

    Benz: Das ist er vielleicht nicht, aber er ist inzwischen einer der prominentesten und angesichts dessen, was man ihm vorwirft, ist er sicherlich auch einer der gefährlichsten Kriegsverbrecher, die noch vor Gericht zu stellen sind.

    Müller: Gehen Sie, Herr Benz, davon aus, dass die deutsche Justiz gut vorbereitet ist?

    Benz: Davon gehe ich aus. Die deutsche Justiz hatte ja ziemlich viel Zeit. Gegen Demjanjuk ist schon sehr oft verhandelt worden. Das Verfahren an sich dürfte keine Probleme aufwerfen.

    Müller: Wir hatten in den 80er-Jahren ja schon einmal einen inhaftierten und verurteilten John Demjanjuk in Israel. Das hat sich dann hinterher als Missverständnis herausgestellt. Er war nicht "Iwan der Schreckliche". Warum ist man sich jetzt so sicher, dass das der richtige Mann ist?

    Benz: Man ist sich natürlich noch nicht sicher. Gegen den Angeklagten gibt es ja immer nur den Schuldvorwurf und erst das Urteil erweist es dann. Aber dass es sich bei John Demjanjuk um einen der Täter im Lager Sobibor handelt, das ist ja, glaube ich, ganz unbestreitbar. Das bestreitet er selbst auch nicht. Er gehört zu den Hilfswilligen der SS, die sich jetzt auf ihre Kriegsgefangeneneigenschaft herauszureden versuchen. Also so viele Beweise gegen ihn gibt es, dass er als Mordgehilfe der SS im Vernichtungslager Sobibor und in anderen Konzentrationslagern tätig war.

    Müller: Wenn Sie sagen, Herr Benz, er war ein Helfershelfer, ein Hilfswilliger der SS, ist das ein Mann gewesen, der hohe politische Verantwortung getragen hat?

    Benz: Nein. Der hat überhaupt keine politische Verantwortung getragen, das war ein Henker. Das war ein ausführendes Organ. Man muss sich das in der Realität so vorstellen: in einem Gefangenenlager im Ort Trawniki in Polen in der Nähe von Lublin wurden sowjetische Kriegsgefangene ausgesucht, um als Hilfstruppen der SS eingesetzt zu werden. Das waren natürlich relativ privilegierte Leute gegenüber den anderen sowjetischen Kriegsgefangenen, die unendlich schlecht behandelt wurden, aber sie waren keineswegs gleichberechtigt mit den SS-Männern. Sie wurden bewaffnet, aber hinter ihnen stand immer SS, um sie zu kontrollieren, und sie hatten die Aufgabe, die schmutzigste Aufgabe überhaupt, die im Vernichtungslager Ankommenden in die Gaskammern zu treiben, sie vorher ihrer Kleider und ihrer Habe zu berauben, dann die Gasmaschinerie anzustellen, also die niedrigsten Henkersdienste. Von politischer Verantwortung kann da gar keine Rede sein, wohl aber von Beihilfe zum Mord und von Mord selbst, denn die wenigen Überlebenden der Vernichtungslager beschreiben diese Trawniki-Männer (meist wurden sie auch Ukrainer pauschal genannt) als ganz erheblich brutal, als sadistisch, als bösartig.

    Müller: Beihilfe zum Mord in 29.000 Fällen, das wird John Demjanjuk vorgeworfen. Sie haben gerade die Umstände skizziert. Ist das angebracht, gegen diesen Mann in diesem Alter so vorzugehen?

    Benz: Ja, selbstverständlich. Wenn wir das Instrument Rechtsstaat ernst nehmen, dann ist Mord Mord und muss von der Justiz untersucht und gesühnt werden, ganz egal wie lange das her ist - in Deutschland verjährt aus guten Gründen Mord nicht –, und ganz egal wie alt der Mann ist. Was dann für eine Strafe hinterher vollstreckt werden kann, das ist doch das Sekundäre, aber auf das Prinzip Rechtsstaat, auf das wir so stolz sind, das so wichtig ist für das Zusammenleben in einer großen Gemeinschaft, kann man nicht verzichten. Deshalb muss John Demjanjuk sich für seine Taten, auch wenn die 60 Jahre oder länger her sind, verantworten.

    Müller: Also auch Ihnen, Herr Benz, geht es nicht um die Strafe, sondern um die Schuld?

    Benz: Natürlich um die Schuld, um die Ahndung, um die Feststellung, was schuldhaft geschehen ist. Ob dieser möglicherweise bedauernswerte alte Mann dann seine letzten Jahre in einem Gefängniskrankenhaus zubringt, oder Haftverschonung kriegt, das ist, glaube ich, nicht das Wichtigste, was uns interessieren muss, aber was uns interessieren muss ist: Gegen Mord gibt es keine Verjährung und deshalb muss man dieses Gesetz ernst nehmen.

    Müller: Wolfgang Benz bei uns im Deutschlandfunk, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch.