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Anwalt zu Numerus-Clausus-Urteil
"Länder sollten Mut haben, den Unis engere Regeln vorzulegen"

Der Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler kritisiert, dass das Numerus-Clausus-Urteil des Verfassungsgerichtes nicht für mehr Medizin-Studienplätze gesorgt hat. "Man kann da mit einfachen Mitteln schon viel erreichen", betonte er im Dlf. Die Professoren müssten schlicht mehr lehren, so der Anwalt.

Wilhelm Achelpöhler im Gespräch mit Sandra Pfister | 19.12.2017
    Studenten an der Fakultät Medizin der Universität Halle-Wittenberg.
    Studenten an der Fakultät Medizin der Universität Halle-Wittenberg (picture alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Sandra Pfister: Das Bundesverfassungsgericht hat heute entschieden: Bei der Zulassung zum Medizinstudium muss sich einiges ändern. Wilhelm Achelpöhler ist uns zugeschaltet, Herr Achelpöhler, Sie haben ja schon viele klagende Studierende vor Gericht vertreten. Die Richter dieses Mal haben den NC nicht gekippt, die haben die Wartezeiten auch nicht gekippt, auch nicht, dass die Unis selbst die Kandidaten auswählen können. Aus der Sicht eines Bewerbers um einen Studienplatz, der jetzt, sagen wir mal, keine 1,0 vor dem Komma hat, ist das eine halbherzige Sache?
    Wilhelm Achelpöhler: Ja, es ist natürlich eine Entscheidung, die ihm nicht unbedingt weiterhilft, weil das Grundproblem ja nicht beseitigt wird, dass es nämlich praktisch zu wenige Studienplätze gibt. Das Grundrecht auf freie Wahl des Ausbildungsplatzes und -ortes, auf freie Wahl des Berufes, geht nach wie vor für Zehntausende junge Menschen hierzulande ins Leere, weil es nicht die entsprechende Zahl von Studienplätzen gibt. Das ist das Grundproblem, das ist durch dieses Urteil überhaupt nicht angepackt worden. Aus meiner Sicht kann man da mit einfachen Mitteln schon viel erreichen und es muss auch gar nicht so viel Geld kosten, wie das Herr Montgomery gerade erklärt hat. Würde man sich in anderen Bundesländern beispielsweise an den Regeln für die Lehrverpflichtung orientieren, wie es die in Bayern und Baden-Württemberg gibt, und würde man genauso wie in Bayern und Baden-Württemberg für ein angemessenes Verhältnis von befristeten und unbefristeten Stellen sorgen, dann könnte man – das habe ich in einem Gutachten für den FZS, den Studentischen Dachverband dargelegt – auf einen Schlag über 400 Studienplätze schaffen und das würde nicht mal Geld kosten.
    "Wir hätten deutliche Zahlen von zusätzlichen Studienplätzen"
    Pfister: Sie meinen, Professoren sollen mehr lehren?
    Achelpöhler: Ja, wenn Professoren in allen Bundesländern neun Semesterwochenstunden unterrichten würden statt acht, wie das in fünf Bundesländern noch so geregelt ist, dann hätte man automatisch mehr Studienplätze. Und wenn man davon absehen würde, dass man so viele unbefristete Stellen von wissenschaftlichen Mitarbeitern in befristete Stellen umwandelt, dann würde man auch einen großen Teil von zusätzlichen Studienplätzen bekommen. Ein Verlust …
    Pfister: Aber die würden ja erst mal nicht mehr lehren, sondern die wären dann einfach nur unbefristet. Was würde das bringen?
    Achelpöhler: Nein, nein, die würden mehr lehren. Ein unbefristeter Mitarbeiter hat eine Lehrverpflichtung von acht Semesterwochenstunden, wie ein Professor. Und wer nur befristet tätig ist, hat die Hälfte der Lehrverpflichtung. Damit fallen dann aufs Jahr betrachtet vier Studienplätze quasi weg. Allein durch die Umwandlung einer Stelle, ohne dass diese Umwandlung irgendeinen Kostenvorteil hätte.
    Pfister: Langfristig natürlich schon, weil die Hochschulen sich unflexibel machen.
    Achelpöhler: Ja gut, die Hochschulen sind ein bisschen weniger flexibel. Aber wenn man sagt, wir wollen so flexibel sein wie die Hochschulen in Bayern und Baden-Württemberg, wenn das auch in Mainz oder in Köln gelten würde, wo es sehr viele befristete Stellen gibt, dann wäre doch schon ein Schritt nach vorne getan und wir hätten deutliche Zahlen von zusätzlichen Studienplätzen.
    Pfister: Das heißt, Sie sagen, die Unis beziehungsweise Länder müssten überhaupt gar nicht mehr Geld ausgeben, sie müssten sich eigentlich nur trauen, sich mit ihren medizinischen Fakultäten anzulegen?
    Achelpöhler: Genau, sie müssten einfach ein bisschen mehr Mut haben, den Hochschulen da ein paar engere Regeln vorzulegen, und dann könnte man auf einen Schlag noch viele Studienplätze schaffen. Man hätte nicht die 1.000, von denen Herr Montgomery gesprochen hat, dafür müsste man Geld in die Hand nehmen, das fände ich auch richtig. Aber man kann schon durch einfache Maßnahmen eine erhebliche Zahl von zusätzlichen Studienplätzen schaffen, wenn man das nur wollte. Wir haben ja heute mehr als 2.000 Studienplätze weniger, als wir sie noch 1990 hatten. Das heißt, wir haben in den letzten Jahren keinen Aufbau, Aufwuchs von Studienplätzen gehabt, sondern wir haben einen Abbau von Medizinstudienplätzen gehabt. Weil der Staat sich sagt – Herr Montgomery hat ja gesagt, die Studienplätze sind teuer –, da sparen wir lieber und unsere Ärzte importieren wir aus anderen Ländern, Europäischer Union und anderen Ländern, und gleichzeitig können ja die Studenten, wenn sie unbedingt wollen, auch im europäischen Ausland studieren und da ihr Studium selber bezahlen.
    "Die Wartezeit, vier Jahre und mehr, das ist eigentlich schon dysfunktional"
    Pfister: Abseits dieser finanziellen Aspekte und abseits des Rückbaus von Studienplätzen – kann es sein, dass es in Zukunft noch mehr Klagen gibt, mit Blick auf die Abiturnoten?
    Achelpöhler: Ja, genau. Einmal wird natürlich die Abiturnote … gewinnt natürlich jetzt ein bisschen mehr Durchschlagskraft durch diese Entscheidung, das ist im Prinzip auch nicht falsch.
    Pfister: Weil sie vergleichbar sein soll, ne?
    Achelpöhler: Genau, weil sie vergleichbarer wird. Und es gibt aber einen anderen Aspekt in diesem Urteil, der ja auch angesprochen worden ist, das ist die Wartezeit. Gegenwärtig ist es so, dass jeder sich sagen kann: Ich muss nur lange genug warten, dann bekomme ich am Ende meinen Studienplatz. Also, ich mache eine Ausbildung als Rettungssanitäter, ich mache noch weitere medizinische Fortbildungen. Und so schließt sich ein Jahr ans andere an und am Ende habe ich meinen Platz. Damit ist jetzt Schluss, nach diesem Urteil, oder wird Schluss sein. Das heißt, die Wartezeit – das hat das Bundesverfassungsgericht ja gesagt –, vier Jahre und mehr, das ist eigentlich schon dysfunktional. Also wird die Wartezeit nach, was weiß ich, sieben Semestern gekappt und alle Leute, die sieben Semester und mehr haben, kommen in einen Topf und unter denen werden dann die 20 Prozent der Studienplätze vergeben. Mit dem Ergebnis, dass nicht jeder, der in diesem Topf ist, auch einen Platz bekommen wird. Das heißt …
    "Entweder man geht ins Ausland oder klagt einen Studienplatz in Deutschland ein"
    Pfister: Also das Nadelöhr wird eher enger, als dass es jetzt weiter wird?
    Achelpöhler: Genau, es wird enger. Man kann also nicht mehr davon ausgehen, dass jeder durch Warten einen Platz bekommen wird. Sondern es wird so sein, dass diejenigen, die jetzt vielleicht eine Note hatten, die jetzt also knapp unter der Auswahlgrenze innerhalb der Abiturbestenquote oder knapp in einem Auswahlverfahren der Hochschulen gescheitert sind, dass die vielleicht durch eine entsprechende Wartezeit noch einen Platz bekommen können. Aber viele andere, die ja im Prinzip auch für das Studium geeignet sind, wenn da 2,7… so wie unser Beispiel hier, der Kläger, der am Anfang genannt worden ist, der sieben Jahre gewartet hat, der würde über diesen Weg keinen Studienplatz mehr ohne Weiteres bekommen. Nach dem Urteil ist quasi sicher, durch sieben Jahre warten wird es künftig keinen Medizinstudienplatz mehr geben. Und deshalb werden natürlich die Studenten, da der Weg der Wartezeit ihnen quasi verschlossen wird, sich überlegen, was sind die Alternativen. Und da gibt es nur zwei: Entweder man geht ins Ausland und bezahlt sein Studium quasi selbst oder man klagt einen Studienplatz in Deutschland ein.
    Pfister: Ganz kurz zum Schluss noch, Herr Achelpöhler: Welche Folgen hat das Studium über die Human- und Zahnmedizin hinaus?
    Achelpöhler: Ich glaube, dass diese Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht dort angesprochen hat, die gelten im Prinzip für alle Numerus-clausus-Studiengänge. Und das ist ja bedauerlicherweise so, dass diese Studiengänge nahezu flächendeckend sind. Es gibt ja kaum ein Fach, außer irgendwas mit Gott, was heutzutage nicht zulassungsbeschränkt ist. Und deshalb werden die Hochschulen und die Landesgesetzgeber jede Menge zu tun haben, um diese Kriterien künftig auch in den anderen Fächern, auch beispielsweise beim Zugang zum Masterstudium künftig zu beachten. Die Verfahren dort müssen deutlich transparenter sein.
    Pfister: Wilhelm Achelpöhler, Rechtsanwalt aus Münster mit Schwerpunkt Hochschulrecht, zum heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Numerus clausus im Medizinstudium. Danke Ihnen ganz herzlich!
    Achelpöhler: Bitte schön!
    Pfister: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.