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Apologie des modernen Künstlers

Jules Barbey d'Aurevilly war Exemplar einer männlichen Spezies, die es kaum mehr gibt: der Dandy. In seinem erstmals vollständig auf Deutsch erschienenen Essay "Über das Dandytum" analysiert er das Wesen der Dandys und gibt Ratschläge, wie man es zu gepflegter Exzentrik bringt. Übersetzer Gernot Krämer hat den ironisch kaltschnäuzigen Ton Barbeys glänzend getroffen

Von Richard Schroetter | 12.02.2007
    Dandys hat es immer gegeben. Manche denken dabei sofort an Karl Lagerfeld. Aber Harry Graf Kessler, Oscar Wilde, Fürst Pückler oder in der Antike der schöne Feldherr Alkibiades gehören genauso dazu. Doch der Begriff Dandy kam erst vor zirka 200 Jahren in England auf.

    Die tonangebenden Mitglieder des Macaroni-Clubs sollen ihn in Umlauf gebracht haben. Seine Herkunft ist unklar. Als Dandys bezeichnete man vor allem die Stöckchen tragenden sich stets langweilenden Müßiggänger aus vornehmen Haus. Einige Lexika führen den Begriff auf Molieres Monsieur Dandin zurück. "Das Dandytum" schreibt Barbey sei "beinahe genauso schwierig zu beschreiben wie zu definieren. Menschen, die nur das Vordergründigste sehen", mögen meinen, "es sei vor allem "die Kunst, sich gut anzuziehen, eine kühne und geglückte Diktatur in Sachen Putz und äußere Eleganz"; aber es sei noch viel mehr.

    Der Dandy ist ein äußerst kompliziertes Konstrukt, eine Art Kippfigur aus offizieller Gesellschaft und individueller Maske. Doch hatte Barbey eine ganz reale Person vor Augen, den genialen englischen Emporkömmling und Krawattenbinder, den späteren Bankrotteur Beau Brummell. Ohne Barbeys legendäre Studie wäre er wahrscheinlich nicht in die Geschichte eingegangen. Brummell lebte von 1778 bis 1840. Er kam aus kleinen Verhältnissen, doch verstand er es virtuos, der gelangweilten englischen High Society zu gefallen. Nach glanzvollen Jahren als der "König der Mode" verblasste plötzlich sein Stern. Er machte große Spielschulden und floh nach Frankreich ins Exil, wo er als spleeniger, trauriger "schmutziger" Alter verarmt starb.

    Dass Brummell so hoch aufsteigen konnte, verdankte er dem fragwürdigen Glück einem anderen Gecken, dem englischen Thronfolger als junger Fähnrich imponieren zu dürfen.

    "Der Prince war damals zweiunddreißig. Er war schön, aber von der lymphatischen Schönheit des Hauses Hannover. (...) Skrofulös an Leib und Seele, ohne dass seine Anmut, diese letzte Tugend der Höflinge Schaden genommen hätte, erkannte der spätere König George IV. in Brummell einen Teil seiner selbst, jenen nämlich, der strahlend und gesund geblieben war. Das ist das Geheimnis seiner Gunst."

    Anders als die große Virginia Woolf, die in einem einfühlsamen kleinen Aufsatz Brummells Niedergang sensibel beschreibt und ihm feine Tränen nachgeschickt, lässt Barbey D‘Aurevilly das persönliche Schicksal dieses Gentleman kalt, richtiger, er hält es für schlechten Stil, für unmanierlich und aufdringlich, "einfühlsam" mitzureden. Ihn fasziniert an diesem einzigartigen Fall einer hypertrophen mondänen Fassade das Räderwerk der Gesellschaft, wie sich unter bestimmten historischen Bedingungen ein spezieller Typus herausbildet und von der Bildfläche wieder verschwindet. Darin ist Barbey ganz Soziologe, als hätte er den von Zola und den Naturalisten geschätzten Gründer der Soziologie Auguste Comte studiert, den er jedoch nicht mochte. Alles erklärt sich aus den sozialen Funktionen und Bedürfnissen heraus. Sogar die Ironie dient diesem schnöden Mechanismus.

    "Brummells Herrschaft erscheint weniger märchenhaft, weniger unerklärlich, wenn man um die nicht genügend bekannte Wirkung seines Spotts weiß. Ironie ist eine Gabe, die alle anderen entbehrlich macht. Sie verleiht einem Menschen die Aura einer Sphinx, die Rätsel aufgibt und wie eine Gefahr beunruhigt. Brummell hatte sie und machte von ihr einen Gebrauch. Seine Schmeicheleien ließen die Eigenliebe jedermanns erstarren."

    Brummells extravagantes Äußeres verblüffte genauso wie seine provzierenden Bemerkungen. Er sei einer "der größten Spaßvögel" gewesen, "die England je hatte".

    "Es gab keinen Tierhüter, der bei der Nachahmung eines Affen geschickter war als er bei der Entlarvung der mehr oder weniger grotesken Seite jedes Menschen; sein Talent, das Opfer zu lenken und seine Lächerlichkeit auf die schmachvollste Weise vorzuführen, war ohnegleichen. Dieses Vergnügen ist, wenn man so will, ein wenig grausam; aber das Dandytum ist die Frucht einer Gesellschaft, die sich langweilt, und langweile macht nicht gütig."

    Aber damit hätte dieser englische Beau niemals die Sympathien des Franzosen gewonnen. Das Dandytum ist, und das mag für Barbey ausschlaggebend gewesen sein, auch eine Kunst, und Beau Brummell ein selbstloser Künstler.

    "Nur war seine Kunst an keine Gattung gebunden und wurde nicht zu festen Zeiten ausgeübt. (...) Er gefiel durch seine Person wie andere durch ihre Werke. (...) Er befreite - und das war schwer! - eine entsetzlich blasierte (...) Gesellschaft aus ihrer Erstarrung - und gab dafür kein bißchen seiner Würde preis."

    So avanciert dieses Dandy-Porträt zu einer verkappten Apologie des modernen Künstlers, der, so Barbey, in einer "verlogenen", "von Vorurteilen aller Art erstickenden Gesellschaft" leben muss. Damit hatte der aufmüpfige Bretone Barbey selbst zu kämpfen, der unbestechlich und unangepasst bis zu seinem Tod 1889 - und das imponierte der jüngeren Generation, die ihn verehrte - in einer Pariser Studentenbude wohnte und sich durch Ämter, Ehrungen und Preise nicht korrumpieren ließ. Seine wunderliche Exzentrik, sein provozierend reaktionärer Katholizismus, seine störrische Haltung gegenüber dem common sense und aufkommenden dem Massengeschmack, seine skurrile undemokratische Nächstenliebe waren Zielscheibe vieler Anekdoten und Karikaturen. Er machte sich nichts daraus. Er präsentierte sich, so wird überliefert (Paul Bourget),

    "in Hausgewändern, die noch gewagter waren als sein Aufzug außer Haus, darunter eine Bluse aus rotem Tuch mit Kreuzen aus grünem oder schwarzen Stoff, die als Applikationen auf die Schultern und Ärmel genäht waren, (...) die Hosen aus dem gleichen Stoff waren durch Fußriemen an seinen Schuhen aus grünem Leder und mit Schnallen aus Bleiglas befestigt. Das merkwürdigste war, dass man gar nicht daran dachte, über diese Verkleidung zu schmunzeln, so sehr fesselten einen Barbeys Worte."

    Solche Klatschgeschichten sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es mit einem bedeutenden Schriftsteller und unglaublich produktiven, ungeheuer fleißigen Kritiker und Journalisten des 19. Jahrhunderts zu tun haben. So illustre Geister wie Marcel Proust, Leon Bloy, Franz Blei, Robert Musil und Julien Green haben seine Bücher geschätzt. Sein Riesen-Oeuvre wird allmählich erst wiederentdeckt.

    Was für Schätze gibt es da zu sichten und zu lesen? Die zukünftige französische Barbey-Edition soll 38 Bände mit Literaturkritiken und Porträts umfassen, 15 Bände mit Romanen und Erzählungen sind geplant, davon unberücksichtig die enorme Korrespondenz und die Tagebücher. Barbey hat nicht viel weniger geschrieben als der von ihm mit so viel mit Aplomb verlachte deutsche Langweiler Johann Wolfgang von Goethe, über den er einen herrlich überheblichen Essay geschrieben hat, der auch im Matthes und Seitz Verlag vorliegt. Der jetzt in Berlin ansässige Verlag plant noch weitere Barbey-Werke zu veröffentlichen, wozu wir ihm nur beglückwünschen können.

    Das alles wäre wahrscheinlich ohne den engagierten Essener Romanisten und Übersetzter Gernot Krämer nicht zustande gekommen, der den ironisch kaltschnäuzigen Ton Barbeys glänzend getroffen hat. Jeder Satz Barbeys ist ja auch eine durchinszenierte Pose. Man muss das passende Deutsch dazu erst erfinden. Krämer ist das gelungen. Eine wirklich schöne Bescherung.