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Appell an Deutsch-Türken
Deutsche Reaktionen auf Erdogan-Angriff

Der türkische Präsident Recep Tayip Erdogan hat vor laufenden Kameras an wahlberechtigte Deutsch-Türken appelliert, CDU, SPD und Grüne bei der Bundestagswahl nicht zu wählen. Die Spitzenkandidaten der großen Volksparteien reagierten prompt und fanden dabei deutliche Worte.

Von Nadine Lindner | 19.08.2017
     title: Der Grünen-Chef Cem Özdemir bei einem Interview mit DLF-Redakteur Jasper Barenberg im DLF.
    Auf den Aufruf des türkischen Ministerpräsidenten an Deutsch-Türken, bei der Bundestagswahl nicht die großen Volksparteien zu wählen, haben die Grünen mit dem Tweet: " "Erdogan ärgern, Özdemir wählen" reagiert. (dpa-Bildfunk / Presidential Press Service / Kayhan Ozer)
    Anmerkung der Redaktion: In diesem Beitrag sind uns Fehler unterlaufen, die wir im Text richtiggestellt haben. Sie sind mit einem Asterisk * gekennzeichnet. Die Audioversion wurde neu produziert und enthält die fehlerhaften Passagen nicht mehr.
    Für die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen ist Erdogans Motiv klar: Er möchte mit seinem Angriff auf deutsche Parteien eigene, AKP-nahe Strukturen in Deutschland festigen. Dazu zählt sie auch die Kleinparteien ADD und BiG, die zum AKP-Netzwerk gehörten:
    "Es geht ihm vor allem darum, dass seine, von der AKP mitinitiierten und gesteuerten Parteien hier gewählt werden sollen."
    Das sagte Dagdelen am Vormittag dem Deutschlandradio Hauptstadtstudio. Beide Parteien – ADD und BiG sind nicht zur Bundestagswahl 2017 zugelassen, stehen nicht auf der Liste des Bundeswahlleiters. (*Anmerkung der Redaktion: Hier ist uns ein Fehler unterlaufen: Die ADD, die Allianz Deutscher Demokraten, steht auf der Liste des Bundeswahlleiters als eine von 42 für die Bundestagwahl zugelassenen Parteien. Das haben wir übersehen und bedauern den Fehler.) Beide traten jedoch bei der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an.
    "Es geht darum, dass man hier eine eigene Partei hat, in der deutschen Parteienlandschaft, die eins zu eins die Interessen der AKP hier in Deutschland vertritt."
    Dagdelen befürchtet trotzdem, dass sich die gesellschaftlichen Spannungen verschärfen könnten. Dagdelen hatte Erdogan in den vergangenen Monaten bereits öfter heftig kritisiert. Auch jetzt spricht sie von einem Angriff auf die demokratische Souveränität. Auf die Frage, warum die Linke nicht im gleichen Atemzug wie SPD, CDU und Grüne als türkeifeindlich genannt wurde, sagte sie:
    "Ich glaube, er hat den Sprechzettel einfach nicht umfassend wiedergegeben."
    Ähnlichkeiten zwischen AKP und AfD
    Der Linkspartei könne man wohl kaum Türkeifreundlichkeit unterstellen, so Dagdelen. (*Anmerkung der Redaktion: Frau Dagdelen hat das so nicht gesagt und wurde von uns falsch indirekt zitiert. Wir bedauern den Fehler.) Auch in ihrem aktuellen Wahlprogramm fordert die Linke die Aufhebung des PKK-Verbots.
    Dass die AfD nicht auftaucht, wundert Dagdelen. Sie sieht jedoch auch strukturelle Ähnlichkeiten zwischen AfD und AKP–Anhängern:
    "Weil ideologisch gehören sie auch dorthin. Sie sind konservativ. Sie sind reaktionär. Sie sind rechtspopulistisch. Das ist die AKP-Anhängerschaft."
    Der türkische Präsident Recep Tayip Erdogan hatte gestern vor laufenden Kameras an wahlberechtigte Deutsch-Türken appelliert und sie aufgefordert, CDU, SPD und Grüne nicht zu wählen. Diese machten aus Wahlkampfgründen "Stimmung gegen die Türkei".
    Die Reaktion der Spitzenkandidaten von CDU und SPD, Angela Merkel und Martin Schulz, kam gestern Abend prompt.
    "Wir werden uns von niemandem, auch nicht von Präsident Erdogan, da hinein reden lassen. Dass unsere deutschen Staatsbürger, egal welcher Abstammung sie sind - auch die türkisch-stämmigen deutschen Staatsbürger - ein freies Wahlrecht haben."
    "Das ist ein Schritt zu viel. Es ist nicht das Recht eines Staatsoberhauptes eines anderen Landes, sich in die Innenpolitik einzumischen, gerade in Wahlkampfzeiten."
    So Merkel und Schulz in der ARD. Die Grünen reagierten zudem via Twitter: "Erdogan ärgern, Özdemir wählen" schrieben sie gestern im Kurznachrichtendienst.
    Türkische Gemeinde zeigt sich irritiert
    Irritiert zeigte sich auch die türkische Gemeinde in Deutschland, Vize-Vorsitzender Atila Karabörklü in der "Tagesschau": "Er möchte auch die Stimmung hier aufheizen. Auch in der deutschen Bevölkerung. Und dann möchte er auch am Ende wieder punkten in der Türkei."
    Er forderte dazu auf, jetzt erst recht demokratische Parteien zu wählen.
    Die Einmischung in den deutschen Wahlkampf reiht sich ein in eine Reihe von Verstimmungen im bilateralen Verhältnis. Da sind die verhafteten Deutschen bzw. Deutschtürken Yücel, Tolu und Steudtner. Immer wieder werden deutschen Parlamentariern Besuchsrechte für Bundeswehrsoldaten auf türkischen Luftwaffenbasen verweigert. Zudem warf Erdogan der Bundesregierung im Frühjahr Nazi-Methoden vor, nachdem ihm vor dem Referendum Wahl-Auftritte in Deutschland verweigert wurden.