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Aramäisch
Eine Kultur, die vom Erdboden verschwindet

Vertreibungen, Hunger, Morde: Durch die Kämpfe im Nordirak und in Syrien gerät die aramäische Kultur immer mehr unter Druck. Die Spuren, die diese Kulturen in der Region hinterlassen hätten, würden systematisch entfernt, erklärte Dorothea Weltecke, Professorin für die Geschichte der Religionen an der Universität Konstanz im DLF.

Dorothea Weltecke im Gespräch mit Antje Allroggen | 21.08.2014
    Antje Allroggen: Zunächst blicken wir aber auf das kulturhistorische aramäische Erbe, das durch die aktuellen Kämpfe im Irak vorm Verfall mehr als bedroht ist. Es gibt eine mehr als 3.000 Jahre währende Geschichte der Aramäisch sprechenden Völker, die kulturell stets eine bedeutende Rolle gespielt haben.
    Die aramäische Kultur gibt es seit dem Jahr 200. So lange haben Sprache und Kultur der Aramäer überlebt, obwohl es seit dem siebten Jahrhundert keine organisierte Form dieser Völkerschaft mehr gibt.
    Dorothea Weltecke ist Professorin für Geschichte der Religionen an der Universität Konstanz und leitet dort die Forschungsstelle für Aramäische Studien.
    Was waren die Hauptgründe dafür, dass aramäische Sprache und Kultur so lange überleben konnten, habe ich sie gefragt. Schließlich hatte sich doch schon sehr früh das Arabische als dominierende Sprache im Vorderen und Mittleren Orient durchgesetzt?
    Dorothea Weltecke: Das stimmt. Aber gleichzeitig war das Arabische nie so dominant, dass nicht andere Kulturen, Sprachkulturen daneben auch ihren Platz gefunden hätten. Wenn Sie zum Beispiel auch an das Persische denken, das unter islamischer Herrschaft trotzdem sich wieder etablieren konnte, und das Hebräische, das in verschiedenen Stufen weiterhin geschrieben und gesprochen worden ist, und eben das Aramäische gehörte auch dazu.
    Und dass das Aramäische sich hat halten können, hat sicher mit der Vitalität und der Kultur und auch der Anzahl der Leute zu tun, die autochthon in diesen Regionen des mesopotamischen Raumes und des heutigen Irak und Syriens und Palästinas gelebt haben und die eben ihre Sprachen einfach weiter gesprochen haben, egal ob sie griechisch oder lateinisch oder persisch oder arabisch beherrscht wurden.
    Allroggen: Aramäisch begegnet uns ja als wichtige Sprache an der Wurzel der drei großen Religionen. Sie findet sich in Teilen des christlichen Alten Testaments oder in der jüdischen Thora. Und es war auch die Sprache, in der erste Grundlagen des Islam niedergeschrieben wurden. Wann begann der kulturelle aramäische Niedergang, und welche Gründe hatte er?
    Weltecke: Es bleibt eine wichtige Wissenschaftssprache im Laufe des Mittelalters, und es bleibt Liturgiesprache bis heute. Und natürlich führt die Beherrschung durch eine andere dominante politische Herrschaft, in diesem Fall eben dem Arabischen und der großen arabischen Wissenschaftswelt, dazu, dass sich bestimmte Dominanzen durchsetzen.
    Allroggen: Welche Kulturdenkmäler hat denn diese reiche Geschichte der Aramäer hervorgebracht? Sind es vornehmlich Klöster?
    Weltecke: Ja, also die klösterliche Kultur ist ganz, ganz wichtig, wobei die Klöster eben anders aussehen als in der lateinischen Welt, erheblich weniger gewaltig groß, sondern eben – oft sind es ganz unscheinbare Gebäude, in denen Einsiedler vielleicht in Winkeln wohnen, aber schon durchaus gab es im Mittelalter auch manifeste, große Klosterbauten.
    Es gab und gibt eigentlich bis in die Gegenwart Kirchen mit wichtigen Wandmalereien, sowohl im Libanon als auch bis vor Kurzem noch in Mosul, die auch als solche bekannt waren und untersucht worden sind.
    Und daneben kann man sagen, dass, anders als vielleicht die lateinische frühchristliche Literatur, die eigentlich nur von lateinischen Christen rezipiert wurde, die syrische ebenso wie die griechische frühe theologische Literatur aus der alten christlichen Zeit für das gesamte Christentum wichtig ist und für das gesamte Christentum prägend geworden ist.
    Da gibt es einen wichtigen Autor, der zu nennen ist, aus der syrischen Tradition, Ephräm der Syrer heißt der. Der war in allen Sprachen, sowohl in Europa als auch in der orthodoxen Welt als auch in der aramäischen Welt, bekannt und daher sehr viel stärker und weiter verbreitet als unser Augustinus, den wir hier eben doch für wichtiger halten.
    "Das sind ganz, ganz tragische und dramatische Entwicklungen"
    Allroggen: Sie waren auch dabei, als die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Maria Böhmer, eine Delegation von in Deutschland lebenden orientalischen Christen getroffen hat, um sich über die Situation der Christen im Irak zu informieren.
    Was haben diese Menschen Ihnen erzählt? Sie erwähnten gerade schon, dass es zu Zerstörungen in Mosul kam?
    Weltecke: Ja. Die Leute werden vertrieben, die Leute schlafen auf dem Boden, die Leute werden krank, haben Hunger, werden einfach umgebracht, schon seit Jahren. Jetzt im Bürgerkrieg in Syrien, aber auch im Irak ist das Problem, dass Leute entführt werden aus den christlichen Gemeinden, nicht zuletzt schon vor langer Zeit die beiden Erzbischöfe von Aleppo, darunter der syrisch-orthodoxe Erzbischof Gregorios Yohanna Ibrahim, der verschleppt worden ist und der eigentlich über Jahrzehnte ganz intensive interreligiöse Friedenspolitik in Aleppo gemacht hat und von dessen Verbleib bis heute nichts zu erfahren ist.
    Das sind ganz, ganz tragische und dramatische Entwicklungen, die jetzt nicht nur dazu führen, dass menschliches Leid geschieht, sondern dass diese alten Kulturen, von denen ich gerade gesprochen habe, diese alten Kirchen in Mosul und Alkosch und in der Ninive-Ebene, dass die eben einfach zerstört werden und damit letztlich auch die Kultur vom Erdboden verschwindet.
    Die Spuren, die diese Kulturen in dieser Region hinterlassen haben, werden systematisch entfernt. Es gibt dagegen einfach zu wenig Widerstand. Die Leute werden einerseits im Land zu wenig unterstützt, aber auch von hier aus fragt man sich, wo die Intellektuellen aus allen Religionen und auch aus Nicht-Religionen sind, die dagegen protestieren und ihrer Fassungslosigkeit Ausdruck geben, die wir einfach empfinden müssen.
    Allroggen: Dorothea Weltecke, Professorin für die Geschichte der Religionen an der Universität Konstanz, über das bedrohte Erbe der aramäischen Kultur.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.